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Julian Weber – Fast jedes Jahr ein Comeback

Einige junge Aufsteigerinnen und Aufsteiger, ein Außenseiter, aber auch Athletinnen und Athleten, die schon seit Jahren zur DLV-Spitze zählen, haben bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig im zurückliegenden Sommer ihren ersten Titel auf nationaler Ebene gewonnen. Wir stellen sie vor, heute Speerwerfer Julian Weber (USC Mainz).
Jan-Henner Reitze

Julian Weber
USC Mainz 

Bestleistung:

Speerwurf: 88,29 m (2016)

Erfolge:

Olympia-Vierter 2021
WM-Sechster 2019
Fünfter U23-EM 2015
U20-Europameister 2013
Deutscher Meister 2021

Eigentlich hatte Julian Weber der Leichtathletik in seiner frühen Jugend schon den Rücken gekehrt. Seine sportliche Leidenschaft widmete er stattdessen dem Handball, mit Ambitionen in Richtung Leistungssport. Spontan griff er im Alter von 16 Jahren doch wieder einmal zum Speer. Innerhalb von zwei Jahren stieg der Rheinhesse dann zum U20-Europameister auf und der Handball rückte in den Hintergrund.

Schon in dieser Anfangsphase hatte der junge Speerwerfer mit zahlreichen Verletzungen zu kämpfen, die sich in seiner Karriere bis heute mit Erfolgen abwechseln. Knorpelschaden, Daumenbruch, Meniskusrisse, Ellbogenverletzungen, Bandscheibenvorfall, gleich drei OPs am linken Stemmfuß. „Eigentlich war bei mir fast jedes Jahr ein Comeback-Jahr“, bilanziert der 27-Jährige. Umso erstaunlicher, dass er in der Weltspitze mitmischt.

Nach Olympia-Platz neun in Rio de Janeiro (Brasilien) und Rangs sechs bei der WM in Doha (Katar) 2019 belegte der Athlet des USC Mainz in diesem Jahr bei den Olympischen Spielen in Tokio (Japan) den vierten Platz, nur 14 Zentimeter fehlten zu Bronze. In Braunschweig sicherte er sich 2021 außerdem seinen ersten deutschen Meistertitel und mit 87,03 Metern beim zweiten Platz beim Diamond League-Finale in Zürich (Schweiz) war auch die Bestleistung (88,29 m) nicht weit entfernt.

Ermöglicht wurde diese erfolgreiche Saison durch einen endlich wieder verletzungsfreien Aufbau, federführend unter Trainer Burkhard Looks in Potsdam. Mit Stephan Kallenberg in seiner Heimat Mainz und Mark Frank in Rostock formten zwei weitere Trainer den heutigen Olympia-Vierten. Wenn der Körper es zulässt, soll es in den kommenden Jahren bei bei großen Meisterschaften aufs Podium gehen.

Quereinstieg vom Handball

Familiensport bei den Kindern der Webers, zu denen neben Julian auch sein Bruder Patrick und seine Zwillingsschwester Vanessa zählen, war in erster Linie Handball. Die drei Geschwister trainierten in ihrer Kindheit beim TV 1848 Bodenheim. Der Bewegungsdrang war so groß, dass die Drei auch noch ins Leichtathletik-Training gingen. Insbesondere im Ball- und Speerwurf ließ Julian Weber auch dort Talent aufblitzen, entschied sich aber zunächst, auf den Handball zu setzen. „Dort hätte ich es sicherlich auch zu etwas bringen können. Zumal mein Bruder später in der ersten Bundesliga gespielt hat“, erzählt der heutige Leichtathlet, dessen Ambitionen auf eine Karriere im Leistungssport wegen eines Knorpelschadens schon im Alter von 14 Jahren infrage gestellt wurden.

Schon damals interessierte sich der Jugendliche aber weniger für das, was sein Körper angeblich nicht kann. So sagte der damals 16 Jahre alte Handballer auch nicht nein, als ihn sein früherer Leichtathletik-Trainer Stephan Kallenberg im Jahr 2011 fragte, ob er mal wieder einen Speer in die Hand nehmen wolle. Ohne große Vorbereitung flog das 700-Gramm-Gerät gleich über die 50-Meter-Marke, und das Duo arbeitete immer intensiver und enger zusammen. Es ging rasant bergauf von der Landesebene über die Qualifikation zu Deutschen Jugendmeisterschaften, den Winterwurf-Jugendtitel auf nationaler Ebene bis hin zu Gold bei der U20-EM 2013 in Rieti (Italien), wo der Speer mit 79,68 Metern auch schon an der 80-Meter-Marke kratzte.

Diese Leistung erbrachte der damals 18-Jährige, obwohl ihn in der Vorbereitung ein Daumenbruch behindert hatte und vor Ort in Rieti das Knie nach einer Trainingseinheit schmerzte und im Wettkampf dick getapet werden musste. Im Nachhinein wurde ein Meniskusriss im linken Knie diagnostiziert, von dem sich der U20-Athlet aber nicht von seinem Goldwurf abhalten ließ.

Aufstieg in die Weltspitze trotz immer neuer Verletzungen

Erfolge und Rückschläge lösten sich auch 2014 gegenseitig ab. Das Jahr begann mit einem erneuten Meniskusriss beim Volleyballspielen in der Schule, diesmal im rechten Knie. Dennoch gelangen im folgenden Sommer die ersten 80-Meter-Würfe. 2015 mit der Steigerung auf 81,15 Meter und Rang fünf bei der U23-EM sowie insbesondere 2016, als mit DM-Bronze, mehreren Bestleistungen bis auf 88,29 Meter und Rang neun bei Olympia in Rio de Janeiro der internationale Durchbruch kam, zeigten, wohin die Reise bei weitgehend störungsfreiem Training gehen kann.

Nach einem vielversprechenden Auftakt ins Jahr 2017 mit dem Sieg beim Winterwurf-Europacup (85,85 m) folgte mit einem Innenbandriss am Ellenbogen die nächste langwierige Verletzung. In der Vorbereitung auf 2018 kamen auch noch gleich mehrere Bandscheibenvorfälle dazu, was dazu führte, dass es nicht für die Heim-EM in Berlin, aber dennoch zu einer Saisonbestweite von 86,63 Metern reichte. Klar wurde in diesem Sommer auch, dass eine Operation am Stemmfuß erforderlich war, daraus wurden letztlich drei. Was Julian Weber nicht davon abhielt, zwischenzeitlich noch WM-Sechter in Doha (Katar) zu werden.

Um neue Ansätze zu finden, wechselte der Sportsoldat im Herbst 2018 von seinem Entdecker Stephan Kallenberg in seiner Heimat Mainz zu Mark Frank in Rostock. Mittlerweile lebt der Leistungssportler und BWL-Student der Humboldt-Universität in Berlin und trainiert in der Gruppe von Burkhard Looks in Potsdam unter anderem mit Bernhard Seifert (SC Potsdam). „An allen Standorten habe ich extrem viel mitnehmen können und bin meinen Trainern und Begleitern sehr dankbar. Es besteht nach wie vor Kontakt und wir tauschen uns aus“, sagt der WM-Sechste, der seinem Verein, dem USC Mainz, aber treu geblieben ist.

Auf den Körper hören – aber auch Medaillen im Visier

Endlich wieder einigermaßen ohne Verletzungspausen lief das Training auf die zurückliegende Saison 2021. „Einige Übungen kann ich nicht mehr so ausführen wie früher. Das Training ist an der ein oder anderen Stelle limitiert. An der Stabilität meines Stemmfußes und des Rückens muss ich ständig arbeiten“, erzählt Julian Weber. „Wir haben in Potsdam aber einen guten Weg gefunden, an dem wir festhalten wollen.“ Auch die Technik hat sich im Laufe der Jahre etwas verändert, etwa der Aufsatzwinkel des Stemmfußes, der weniger stark belastet werden soll.

Die Signale des Körpers beachten ist die Vorgabe für die anstehenden Trainingsmonate. Wenn wieder alles nach Plan läuft, könnten Träume von internationalem Edelmetall und dem ersten 90-Meter-Wurf wahr werden. Die WM in Eugene (USA) oder die Heim-EM in München bieten die nächsten Chancen auf eine Medaillenjagd.

Eine OP hat der Deutsche Meister übrigens auch jetzt wieder hinter sich. Diese stand aber nicht im direkten Zusammenhang zum Speerwurf, es ging um die Nase und die Behebung einer chronischen Nebenhöhlenentzündung. „Jetzt bekomme ich im Training wieder richtig Luft.“ Die Krankenstation ist also wieder einmal besucht und abgehakt worden, ohne anschließend erforderliche lange Ruhephasen. Die Ausgangslage lässt also darauf hoffen, dass 2022 kein Comeback-Jahr sein wird, sondern eines, in dem der Speerwerfer auf den Erfolgen des Vorjahres nahtlos aufbauen kann.

Video: Julian Weber holt seinen ersten Speerwurf-Titel
Video-Interview: Julian Weber: "Nur wenn alles stimmt, kann es weit gehen"

Das sagt Bundestrainer Boris Obergföll:

„Julian hat in dieser Saison abgerufen, was er auch in den vergangenen Jahren schon zeigen konnte. Er ist an seine Bestleistung von 88,26 Metern mit dem Wurf in Zürich auf 87,03 Meter herangekommen. Mit seinem vierten Platz bei den Olympischen Spielen in Tokio hat er sich im Vergleich zu Rio um fünf Plätze verbessert. Das ist eine super Geschichte gewesen. Ein bisschen hat noch die Stabilität gefehlt und ich traue ihm insgesamt noch mehr zu.

Seine Stärken sind, dass er ein sehr gutes Gefühl fürs Werfen hat. Er weiß ganz genau, wann er was drauf hat. Dazu kommt sein extrem guter Spannungsaufbau. Er kann im Vergleich zu fast allen Werfen länger am Gerät ziehen. Das ist auch der Grund, warum er so weit werfen kann. Er hat eine super Bogenspannung. Potenzial gibt es vor allem im Kraftbereich und in der Belastungsverträglichkeit. Es ist noch so, dass sich Julian nach einer harten Krafteinheit erstmal zwei Tage zurückhalten muss. Da ist Burkhard Looks mit ihm dran, um auf ein höheres Niveau zu kommen. Und auch der mehrfach operierte linke Fuß ist ein Thema. Wenn er es schafft, den noch etwas stabiler hinzustellen, was schon besser geworden ist, kann er noch ein, zwei Meter drauflegen.

Für mich ist Julian absolut ein Kandidat für 90 Meter. Dafür muss er über einen längeren Zeitraum ein hohes Niveau im Krafttraining durchstehen können. Dann ist er auch in der Lage bei der WM in Eugene und der EM in München um die Medaillen mitzuwerfen. Das gilt auch darüber hinaus. Die nächsten Olympischen Spiele kommen schon in drei Jahren. Julian gehört auch da zu den Kandidaten für eine Medaille.“

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