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Yannick Wolf – Unverhofft an die Spitze gesprintet

© Theo Kiefner
In Kassel haben im vergangenen Sommer zehn Athletinnen und Athleten erstmals bei Deutschen Meisterschaften ganz oben gestanden. Dazu zählen viele junge, neue Gesichter in der DLV-Spitze. Wir stellen sie vor. Heute: Sprinter Yannick Wolf (LG Stadtwerke München).
Jan-Henner Reitze

Yannick Wolf

LG Stadtwerke München

Bestleistungen: 

60 Meter: 6,60 sec (2023)
100 Meter: 10,16 sec (2023)
Weitsprung: 7,53 m (2018); 7,64 m (Halle; 2023)

Erfolge:

Fünfter U23-EM 2021
U23-Europameister 2021 (Staffel)
Deutscher Meister 2023

In seiner Leichtathletik-Laufbahn ist bisher nicht immer alles so gekommen, wie es sich Yannick Wolf vorgestellt hatte, im positiven wie im negativen Sinn. Mehrfach wechselten sich Fortschritte und vor allem verletzungsbedingte Rückschläge ab. Seine eigentliche Lieblingsdisziplin, den Weitsprung, hat der 23-Jährige inzwischen hinten angestellt. Hinter ihm liegt nicht nur ein verletzungsfreies Jahr, das ihm ermöglicht, seine leistungssportlichen Ziele weiter zu verfolgen. Unverhofft holte er seinen ersten deutschen Meistertitel im Sprint und war in der Halle sowie im Freien jeweils beim internationalen Saisonhöhepunkt dabei. Überraschend gelang ihm damit der nächste Karriereschritt.

Hinter diesem Erfolg stecken verschiedene Faktoren. Dazu gehört die Einsicht, dass purer Wille und das Ankämpfen gegen die eigenen Grenzen nicht zum Ziel führen. Es braucht auch Spaß am täglichen Training. „Der war zwischenzeitlich nicht immer da“, erzählt der Athlet der LG Stadtwerke München. Ins Bewusstsein gerückt ist auch, dass der Körper aktiv bei der Regeneration unterstützt werden möchte. „Es reicht nicht, nur dann zum Physiotherapeut zu gehen, wenn man Schmerzen hat.“ Mit der Fernbetreuung durch Sebastian Hess hat er außerdem das für ihn passende Trainingskonzept gefunden.

Der angehende Polizist ist gespannt, zu welchen Leistungen er noch fähig sein wird, wenn er sich nach dem bevorstehenden Abschluss seiner Ausbildung bei der Landespolizei Bayern noch stärker auf den Sport konzentrieren kann. Er möchte sich auch auf internationaler Ebene beweisen. „Ich habe immer zu anderen Athleten aufgeschaut und es nicht für möglich gehalten, irgendwann mit ihnen mitzuhalten.“ Das waren in der Vergangenheit ältere Athleten in seiner Trainingsgruppe oder die DLV-Spitze im Sprint, die er mittlerweile ein- oder sogar überholt hat.

Vielseitiges sportliches Interesse

In seiner Kindheit konnte sich Yannick Wolf nicht für nur eine Sportart entscheiden, er hatte Spaß an Fußball, Tennis, Ski fahren oder Windsurfen. Zum Leichtathletik-Training ging der damalige Grundschüler ab dem Jahr 2009 in seinem Heimatort in Bayern beim SC Baierbrunn in der Nähe von München. Die Grundlagen aller Disziplinen lernte er bei Werner Tüting kennen.

Einen großen Leistungssprung brachte das Jahr 2015, als der Nachwuchsathlet im Weitsprung und Sprint in die nationale Spitze seiner Altersklasse vorstieß und sich für die U16-DM in Köln qualifizierte. Im Weitsprung belegte der M15-Athlet mit 6,43 Metern den sechsten Platz und erreichte über 100 Meter das B-Finale, in dem er in 11,58 Sekunden als Vierter durchs Ziel lief. Leichtathletik rückte damit endgültige in den Mittelpunkt der eigenen sportlichen Ambitionen.

Mit dem Wechsel zur LG Stadtwerke München erfolgte daraufhin der erste Schritt in Richtung einer leistungssportlichen Karriere. In der leistungsstarken Gruppe von Richard Kick entwickelte sich der Neuzugang schnell weiter. In seinem ersten U18-Jahr sprang er erstmals genau 7,00 Meter weit, belegte Rang vier bei der Jugend-DM in Mönchengladbach (6,84 m) und gewann dort die Silbermedaille mit der Staffel (41,89 sec). Ein Jahr später in Ulm stand Yannick Wolf dann in beiden Disziplinen ganz oben auf dem Treppchen: Im Weitsprung dank windunterstützten 7,43 Metern und in der Staffel in 41,80 Sekunden gemeinsam mit Fabian Olbert, Florian Knerlein und Lukas Moser. In seiner Trainingsgruppe waren auch weitere starke Nachwuchsspringer wie etwa Dreispringer Paul Waschburger, der sich inzwischen auf den Bobsport konzentriert.

Staffel-Rekord, Länderkampf-Sieg, aber auch Verletzungsprobleme

Die Vereinsstaffel blieb ein Erfolgsgarant, mit ihr verbesserte Yannick Wolf mehrfach den deutschen U20-Rekord. Zuletzt beim sechsten Platz in der Männerklasse bei der DM 2019 in Berlin in 40,33 Sekunden. Im Weitsprung sammelte er bei Deutschen Jugendmeisterschaften als U20-Athlet zwei Silber- und eine Bronzemedaille. Für die Qualifikation zu U20-WM oder -EM reichte es trotz der Steigerung der Freiluft-Bestleistung auf 7,53 Meter knapp nicht.

Größter internationaler Erfolg der U20-Zeit war der Weitsprung-Sieg beim Hallen-Länderkampf in Nantes (Frankreich) im Jahr 2018 mit der Bestleistung von 7,62 Metern. „In dem Winter haben aber auch Verletzungsprobleme angefangen. Ich hatte zwei Muskelfaserrisse und habe mir erstmals die Schulter ausgekugelt.“ Das passierte später noch zwei weitere Male und musste jeweils bei Operationen behoben werden.

Sportlich nach vorne ging es im zweiten U20-Sommer 2019 vor allem im Sprint. Die Steigerung auf 10,58 Sekunden führte in Ulm erstmals ins Finale einer Jugend-DM über 100 Meter und im Endlauf auf Rang vier (10,64 sec).

Ausbildung bei der Landespolizei und Wechsel zu Sebastian Hess

Nach dem Abitur war die Aufnahme in die Sportfördergruppe der bayerischen Landespolizei ein wichtiger Schritt, um weiter an den sportlichen Zielen zu arbeiten. Seit Herbst 2019 wechselt die Vollzeitausbildung in Dachau von Oktober bis Januar jeweils mit acht Monaten ab, in denen ganz der Sport im Mittelpunkt steht. „Es gibt aus meiner Sicht keine bessere Möglichkeit, wie man in Deutschland Sport und berufliche Karriere vereinbaren kann.“

Das erste Corona-Jahr 2020 brachte vor allem weitere Fortschritte im Sprint mit der Steigerung der 100-Meter-Bestzeit auf 10,27 Sekunden. Es kam aber auch der Wunsch auf, mit einem Trainerwechsel noch einmal neue Impulse zu setzen, damit endlich auch im Weitsprung der Knoten platzt.

So wandte sich Yannick Wolf an Sebastian Hess, der schon den früheren Dreisprung-Weltmeister Charles Friedek und den Zweiten der Hallen-EM 2009 im Weitsprung Nils Winter betreut hatte. Dieser lebt zwar im Schwarzwald, begann aber aus der Ferne das Training zu steuern. „Für mich hat sich das als sehr gute Variante herausgestellt. Ich kann meine Trainingszeiten nach meinen Terminen ausrichten und muss auf keine Gruppe Rücksicht nehmen“, erzählt der Athlet.

Weiter Schwierigkeiten im Weitsprung, nächster Staffel-Rekord

Die Ambitionen im Weitsprung wurden allerdings schnell erneut ausgebremst. Ein Riss der Patellasehne im Knie des rechten Absprungbeins verhinderten Wettkämpfe in dieser Disziplin. Dafür war die Form im Sprint konstant stark wie nie. Zeiten im Bereich von 10,3 Sekunden sicherten die Qualifikation für die U23-EM in Tallinn (Estland). Im Einzelrennen belegte der damals 21-Jährige dort als bester DLV-Athlet Rang fünf (10,42 sec). Staffel-Gold krönte er als Startläufer gemeinsam mit Luis Brandner (LC Top Team Thüringen), Milo Skupin-Alfa (LG Offenburg) und Joshua Hartmann (ASV Köln) mit dem U23-Europarekord von 38,70 Sekunden.  

Diese Erfolge sprachen zwar für eine Konzentration auf den Sprint, dennoch fiel Yannick Wolf das Zurückstellen des Weitsprungs schwer. Denn in dieser Disziplin sieht er Vorteile, die ihm mehr Spaß bringen. „Ich kann im Weitsprung selbst entscheiden, wann ich loslaufe, und habe bestenfalls sechs Chancen, die bestmögliche Leistung abzurufen. Im Sprint ist die Drucksituation am Start viel größer.“

2023 überraschend erfolgreich

Nach einem verletzungsbedingt erneut durchwachsenen Jahr 2022 wollte der Münchner eigentlich nur einen guten Aufbau hinlegen, um seinen Verbleib in der Sportfördergruppe der Landespolizei abzusichern. Seine Verletzungsprobleme hat er auch dank der Zusammenarbeit mit Physiotherapeut Thomas Hendricks besser in den Griff bekommen. „Ich habe viele gute Physiotherapeuten kennengelernt, mit Thomas passt es menschlich besonders gut, und sein Engagement ist außergewöhnlich“, erzählt Yannick Wolf, der auch etwa mit Sauna-Besuchen oder seinem Lymphomat die Verletzungsprophylaxe ausgebaut hat.

Das Training lief im Saisonaufbau in Richtung 2023 endlich wieder planmäßig, und schon der erste Wettkampf-Start im Januar mit der 60-Meter-Bestzeit von 6,60 Sekunden war der Auftakt eines Jahres voller unerwarteter Erfolge. Da einige nationale Konkurrenten auf einen Start verzichteten, brachte ihm diese Zeit die Nominierung für die Hallen-EM in Istanbul (Türkei), wo es bis ins Halbfinale ging (6,70 sec). Und auch im Weitsprung waren wieder Wettkämpfe möglich sowie nach fünf Jahren endlich wieder eine Bestleistung: 7,64 Meter unter anderem als Vierter der Hallen-DM in Leipzig – mit links und damit einem Wechsel des Sprungbeins.

In der Freiluft-Saison sprintete der 23-Jährige dann konstant Zeiten im Bereich von 10,2 Sekunden oder knapp darunter. Diese Konstanz war auch ein Schlüssel zum DM-Titel (10,19 sec) über 100 Meter in Kassel. Schon mit der schnellsten Halbfinale-Zeit (10,18 sec) hatte der Münchner Selbstvertrauen getankt und ein Signal an die Konkurrenz gesetzt.

Eine Enttäuschung war dann der Staffelvorlauf bei der WM in Budapest (Ungarn), bei der Yannick Wolf als Schlussläufer wegen des Verlusts des Staffelstabs nicht in Aktion treten konnte. „Das war beim ersten Großereignis ein sehr schwerer Moment. Aber ich bin sicher, dass noch Gelegenheiten kommen werden.“

Auch auf internationaler Ebene mitmischen             

Den Spaß, der beim Weitsprung schon immer da war, hat sich Yannick Wolf inzwischen auch am Sprint „erarbeitet“. Im bevorstehenden Olympia-Jahr sollen die 100 Meter weiter im Mittelpunkt stehen. Der Weitsprung mit dem Ziel, einmal die acht Meter zu übertreffen, bleibt aber im Hinterkopf. Und natürlich bleiben Sprünge auch ein Trainingsinhalt, allein schon um die auch für den Sprint nötige Reaktivität am Boden zu fördern.

Stück für Stück ist der Deutsche Meister immer weiter in den Leistungssport hineingewachsen und hat für sich herausgefunden, welches Trainingsumfeld zu ihm passt. Mit dem Ende Januar bevorstehenden Abschluss seiner Ausbildung bei der Landespolizei steht ein weiterer Schritt der Professionalisierung bevor. „Dann kann ich mich elf Monate pro Jahr auf den Sport konzentrieren und habe auch in der Aufbauphase noch mehr Zeit für Regeneration.“

Seine Bestzeit (10,16 sec) möchte er möglichst um weitere Hundertstel nach unten drücken. „Meine Leistungsfähigkeit konstant abzurufen gehört schon zu meinen Stärken. Ich bin nicht der Typ, der einmal in der Saison eine besonders herausragende Zeit hinlegt.“ Die Staffel-Teilnahme bei der EM in Rom (Italien; 7. bis 12. Juni) und den Olympischen Spielen in Paris (Frankreich; 1. bis 11. August) sind das erklärte Ziel, und bestenfalls auch ein Einzelstart über 100 Meter. „Da möchte ich zeigen, dass ich auch auf ganz großer Bühne mein Niveau abrufen kann.“

Video-Interview: Yannick Wolf: "Ich hätte auch den fünften Platz genommen"

Das sagt Bundestrainer David Corell:

Yannick hat schon in der Hallensaison einen großen Schritt nach vorne gemacht. Auch vorher bestand schon dieses Potenzial. Verletzungen haben aber verhindert, dass er dieses Potenzial abrufen konnte. Gemeinsam mit seinem Trainer Sebastian Hess hat Yannick diese Probleme gut in den Griff bekommen und sich in allen Bereichen weiterentwickelt  ob in der Beschleunigung oder im fliegenden Bereich. Auch in der Staffel hat er bei der Team-EM oder der Diamond League in London einen guten Job gemacht und ist gegen internationale Konkurrenz locker geblieben. Bei der WM ist er leider nicht zum Zug gekommen.

Um noch schneller zu werden, ist das Wichtigste, über mehrere Jahre konstant durchzutrainieren. Natürlich sind bei einer Bestzeit von 10,16 Sekunden weitere Steigerungen immer schwieriger. Das Ziel ist es, sich immer weiter in Richtung 10,00 Sekunden zu verbessern. Dafür muss viel stimmen. Aber ich bin sicher, dass Yannick noch nicht bei seinem Maximum angekommen ist.

Yannick ist mit Leidenschaft dabei und hat sich bestens in die Staffel eingefügt. Er ist klar strukturiert und gut organisiert. Das macht es auch möglich, dass er viele Einheiten in Eigenregie trainiert.

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