| Interview der Woche

Christopher Linke: "Ich will meine erste internationale Medaille"

Vier Tage nach dem Trainingslager in Flagstaff, Arizona (USA) glänzte Christopher Linke (SC Potsdam) beim Geher-Meeting im tschechischen Podebrady mit einer Spitzenzeit. Über 20 Kilometer verfehlte er den deutschen Rekord in 1:18:59 Stunden nur um 17 Sekunden. Am Sonntag ließ er bei den Deutschen Meisterschaften in Naumburg seinen vierten Titel folgen. Warum sein DM-Start am seidenen Faden hing, wie ein Experiment glückte und welche Erkenntnisse der fünfte Platz in Rio brachte, verrät der 28-Jährige im Interview.
Sandra Arm

Christopher Linke, herzlichen Glückwunsch zum vierten DM-Titel im 20 Kilometer Gehen. Was bedeutet Ihnen dieser Erfolg?

Christopher Linke:

Es ist schön, wenn man Deutscher Meister wird – nicht mehr und nicht weniger. Wenngleich es der erste Titel ist, den ich über 20 Kilometer verteidigen konnte. Bisher waren die ungeraden Jahre nicht so mein Ding. 2012, 2014 und 2016 habe ich gewonnen, und bis zu diesem Sonntag ist es mir nicht gelungen, meinen Titel zu verteidigen. Nach guten Wettkämpfen im Vorfeld wurde ich jedes Mal krank, wenn es um die Titelverteidigung ging.

Auch diesmal hingen Ihr Start am Sonntag und die damit verbundene Titelverteidigung am seidenen Faden...

Christopher Linke:

Der Start stand wieder auf der Kippe – ungerades Jahr (lacht). Das ist so ein kleiner Fluch, der mich begleitet. Meine Mutti meinte vor dem Start: 'Du bist heute da, um diesen Fluch zu brechen.' Ich habe ihr gesagt: 'Na, mal sehen.' Eigentlich fühlte ich mich fit, aber ich merkte schon ein Kratzen im Hals und einen leichten Husten. Ich habe erst am Morgen entschieden, an den Start zu gehen. Noch dazu hatte ich das Training an den vergangenen drei Tagen komplett runtergeschraubt und mich geschont. Dass es so gut wird, hätte ich ehrlicherweise nicht gedacht.

Ab dem dritten Kilometer gab es das Potsdamer Spitzenduo Christopher Linke und Nils Brembach. Gab es eine Absprache, eine Taktik?

Christopher Linke:

Nach zehn Kilometern hat Nils zu mir gesagt: 'Scheiß auf den deutschen Meistertitel, ich will die WM-Norm.' Okay, wenn es dir egal ist, dann gehe ich bis zum Ende mit dir mit und dann werde ich Deutscher Meister. Nach 15 Kilometern habe ich ihn gefragt: Steht das Angebot noch oder soll ich jetzt schneller machen?

Sie haben sehr mannschaftsdienlich gearbeitet und Nils Brembach zur WM-Norm geführt. Über was freut man sich am meisten: über den eigenen Titel oder über den Erfolg des Teamkollegen?

Christopher Linke:

Wenn ich ehrlich bin, dann natürlich über den Titel. Ich bin Sportler und möchte selbst gewinnen. Natürlich ist es ein schönes Gefühl, wenn man seinen Teamkameraden dazu führt, dass er die Norm geht. Er hätte es auch allein geschafft, seine Form ist ebenfalls sehr gut. Es haben alle in Podebrady und jetzt in Naumburg gezeigt, dass sie in einer sehr guten Verfassung und wir ein sehr gutes Team für den Europacup [21. Mai; Podebrady] sind.

Wie lässt sich die starke Form bei Ihnen erklären?

Christopher Linke:

Das weiß ich nicht. Nach den Olympischen Spielen in Rio war ich etwas länger im Urlaub und musste ab Oktober für zwei Monate zum Bundeswehr-Lehrgang. Dadurch kam es quasi zu einem Monat Trainingsausfall. Wir fangen meist Anfang November wieder mit dem Training an. Aufgrund des Lehrgangs war es mir erst im Dezember möglich. Dass mir sechs Wochen fehlen, merke ich im Training, aber nicht im Wettkampf.

Woran es liegt, kann ich nicht erklären. Das Training haben wir nicht großartig umgestellt. Ich habe in letzter Zeit nicht besonders gut trainiert. Ich merke irgendwo diesen Trainingsausfall, kann aber von Woche zu Woche besser trainieren. Das Niveau im Vergleich zum vergangenen Jahr habe ich noch nicht erreicht. Die Zeit in Podebrady lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass wir direkt aus der Höhe gekommen sind. Jetzt sind es zwei Wochen, da kann man immer noch vom Höheneffekt sprechen.

Beim Geher-Meeting in Podebrady stand mit 1:18:59 Stunden eine Wahnsinnszeit – nur 17 Sekunden über dem deutschen Rekord – auf der Anzeige. Denkt man im Ziel daran?

Christopher Linke:

Nein, überhaupt nicht. Am Anfang sind wir sehr langsam losgegangen – den ersten Kilometer sind wir mit 4:17 Minuten angegangen. Ich hatte einen Kilometerschnitt von 3:57 Minuten. Am Ende fehlten mir 17 Sekunden zum deutschen Rekord. Da weiß man, wo man die Zeit verloren hat.

Wie hat sich der Wettkampf angefühlt?

Christopher Linke:

Für mich sehr entspannt, ich habe mich gut gefühlt und hatte richtig viel Kraft. Für mich war es ein relativ leichter Wettkampf mit einer super Zeit und dem Sieg. Manchmal hat man so einen Wettkampf, der einfach läuft und in dem man trotzdem super gut ist.

"Einfach" ist also das Geheimrezept?

Christopher Linke:

Die einfachen, das sind die besten Wettkämpfe – die locker von der Hand gehen, ohne Druck. Ich habe keinen Druck verspürt. Wir hatten zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit auszusteigen. Das war ein kleines Experiment nach dem Trainingslager in Flagstaff. Gerade nach der Höhe und der Zeitumstellung – zwei Dinge, die gar nicht zusammenpassen. Man sagt, der dritte Tag nach der Höhe oder zehn Tage oder nach drei Wochen ist ideal. Jetzt war es der vierte Tag. Es waren mehrere Sachen, die gegen den Wettkampf gesprochen haben.

Ich empfinde den Wettkampf und die Bedingungen als sehr gut und war zuletzt sehr erfolgreich. Das hat mich mit einem guten Gefühl dorthin fahren lassen. Bei der Durchsicht der Startliste waren keine Leute dabei, vor denen ich Angst zu haben brauchte. Für mich waren sie schlagbar und in meinem Bereich einzuordnen. Ich war motiviert, wollte gewinnen und die Zeit wäre mir egal gewesen. Ich brauchte keine Norm mehr für die WM, ich hatte sie vorher schon abgehakt. Von daher bin ich relativ entspannt und locker in das Rennen gegangen.

Mit dem Europacup am 21. Mai in Podebrady steht ein erster Saisonhöhepunkt an. Mit welcher Zielstellung werden Sie in die 20 Kilometer gehen?

Christopher Linke:

Ich möchte meine erste internationale Medaille gewinnen. Ich kann mich nicht als aktuell schnellster Europäer hinstellen und sagen, ich will in die Top Acht. Das wäre einfach unter meinen Erwartungen. Ich will im Einzel unter die ersten Drei kommen, und mit der Mannschaft möchten wir gern unseren Titel verteidigen. Das wird bei der Konkurrenz wie den starken Spaniern oder der Ukraine und Frankreich, die gute Geher haben, nicht einfach. Es ist machbar, wenn alle ihre Leistungen abrufen.

Die Weltmeisterschaften in London sind der große Saison-Höhepunkt. Denken Sie schon daran und haben Sie sich Ziele gesteckt?

Christopher Linke:

Die Saison wird nur nach der WM ausgerichtet. Die anderen Wettkämpfe sind lediglich Zwischenstationen. Ich habe natürlich klare Ziele, die ich wahrscheinlich öffentlich nicht äußern werde. Ich habe mir vor Rio ein gutes Ziel gesetzt, was am Ende gut gepasst hat. Ich möchte gut durch die Saison kommen, sehr gut trainieren und wenn ich gut durchkomme, gesund bin, dann bin ich sehr leistungsfähig und durchaus konkurrenzfähig.

Beflügelt Sie in der Situation ein fünfter Platz aus Rio?

Christopher Linke:

Beflügeln nicht unbedingt. Ich habe gemerkt, was den Unterschied zwischen dem fünften und dem dritten Platz ausmacht. Der fünfte Platz interessiert keinen, der dritte interessiert jeden. Das war so der Moment, in dem ich mit mir selbst gehadert habe: Hätte ich mich doch mehr angestrengt. In Rio wäre mehr drin gewesen. Ich habe taktische Fehler begangen, ich war nicht so mutig und hatte nicht das Selbstvertrauen, um zu sagen, ich kann alle schlagen beziehungsweise die zwei, die noch vor mir waren. Den Mut werde ich dieses Jahr durch die bisherigen Wettkämpfe haben. Ich bin hinten heraus unheimlich stark, ich kann es eigentlich und muss es mich nur trauen.

Mehr:

<link news:56132>Christopher Linke siegt und führt Nils Brembach zur WM-Norm

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