| Masters-Hallen-EM

Gerd Westphal und Thomas Stewens: „Es waren bewegende Stunden in Braga“

Gleich zwei Medaillen konnte das deutsche Team bei der Masters-Hallen-EM im Fünfkampf der M55 gewinnen. Überraschend siegte Gerd Westphal, Favorit Thomas Stewens landete nach einem unglücklichen Start auf dem Bronze-Rang. Im Doppel-Interview haben wir mit beiden Athleten über ihren Wettkampf und die vergangenen Tage in Portugal gesprochen.
Jörg Valentin

Krimi-Altmeister Alfred Hitchcock hätte kaum ein spannenderes Drehbuch schreiben können wie es die Athleten beim Fünfkampf der Altersklasse M 55 im Rahmen der Masters-Hallen-EM in Portugal taten. Dabei hatte der große Favorit Thomas Stewens (SV Fun-Ball Dorteweil) zum Auftakt einen durch eine Kreislaufschwäche bedingten Blackout, als er die Hürden über 60 Meter mit den Händen umstieß und somit mit null Punkten in den Wettkampf startete.

Für Stewens kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken – im Gegenteil: nach einer fulminanten Aufholjagd holte sich der 56-Jährige noch Bronze. Was des einen Leid, ist des anderen Freud. In diesem Fall ist dieser bekannte Sinnspruch Gerd Westphal zuzuordnen. Der 57-Jährige vom LC Paderborn ließ sich die einmalige Chance nicht entgehen und holte Gold für das DLV-Team in Braga. Die Entscheidung fiel dabei erst beim abschließenden 1.000-Meter-Lauf.

Gerd Westphal, herzlichen Glückwunsch zum Gewinn der Goldmedaille und dem Gewinn des Europameistertitels im Fünfkampf der M55. Schildern Sie doch einmal den Verlauf des Wettkampfes und Ihr Wechselbad der Gefühle?

Gerd Westphal:

Vielen Dank. Ja, das waren schon bewegende Stunden in Braga. Mit dem Gewinn des Titels hatte ich nie gerechnet. Schon eine Medaille wäre ein Traum gewesen. Dass es am Ende Gold wurde, kommt für mich einer kleinen Sensation gleich. Für mich war Thomas Stewens der klare Favorit. Das war schon ein großes Pech, was ihm da beim Hürdenlauf passiert ist. Aber anstatt Trübsal zu blasen, hat er mich angespornt, die einmalige Chance zu ergreifen. Er hat mich zusätzlich motiviert. Selbst vor dem abschließenden 1.000 Meter-Lauf war ich noch unsicher, ob es reichen würde. Dann habe ich mein Herz in beide Hände genommen, bin offensiv gelaufen und das wurde belohnt.

Thomas Stewens, Sie galten als Weltrekordler im Zehnkampf als großer Favorit auf den Gesamtsieg im Fünfkampf. Dann das Malheur beim Hürdenlauf mit null Punkten und am Ende noch ein dritter Platz im Gesamtklassement. Was geht da in Ihnen vor?

Thomas Stewens:

Ich muss zugeben, dass ich mich trotz einer kurzen Vorbereitungsphase fit fühlte und schon das Ziel hatte, einen neuen Weltrekord in dieser Disziplin aufzustellen. Da ist ein Start mit null Punkten brutal und du würdest am liebsten im Boden versinken. Es war aber auch klar, dass ich, da ich keine Verletzung hatte, den Wettkampf bestmöglich beenden wollte. Meine Trainerin Amaliya Sharoyan lässt da auch keinen anderen Gedanken zu. Es ist dann aber erstmal schwierig sich zu motivieren und neue Ziele zu setzen. Das erste neue Ziel war dann einfach aufzuholen, und das hat gut geklappt. Vom letzten Platz über den 14. bis zum 10. und dann zum 6. Platz vor dem 1.000er.

Wie ging es dann weiter?

Thomas Stewens:

Was motivierend war, war die Tatsache, dass mein Freund Gerd Westphal mit der Punktzahl seines Lebens in den nun offenen Titelkampf eingriff. Wir haben uns dann schon in der dritten Disziplin, dem Kugelstoßen ein Podest mit doppelter deutscher Besetzung und Gold und Bronze zum Ziel gesetzt. Als David Deister vom DLV dann auch noch mit der Deutschland-Flagge zum Anfeuern kam, als sonst fast kein Zuschauer mehr in der Halle war, war die Marschrichtung klar. Vor dem 1.000er fehlten noch ca. 400 Punkte – 40 Sekunden im 1.000 Meter Lauf. Das war machbar. Zum Schluss haben wir, Gerd und ich, noch einmal alles in die Waagschale geworfen und jeder konnte sein Soll erfüllen. Gerd als Europameister und ich mit der Bronzemedaille. Nach einem harten und gut gelaufenen 1.000er ist man aber sowieso immer zufrieden. Man genießt die Stimmung, die Begeisterung der anderen Mehrkämpfer, gratuliert sich gegenseitig und hat dieses Gefühl, gemeinsam alles gegeben zu haben.

Gerd Westphal, wie bewerten Sie die Masters-EM in Braga? Was gibt es positiv und was negativ zu vermerken?

Gerd Westphal:

Was die Organisation auf die Beine gestellt hat, war schon bemerkenswert. So schnell eine solche Meisterschaft aus dem Boden zu stampfen, das verdient größten Respekt. Sicher rumpelt es da auch immer an der einen oder anderen Stellschraube, aber im Großen und Ganzen kann man doch sehr zufrieden sein. Einzig die Siegerehrungen hätte ich mir etwas würdiger vorgestellt. Überhaupt waren wir alle froh, endlich wieder starten zu können.

Thomas Stewens, Sie waren nur kurz in Braga. Trotzdem haben Sie sich sicher einen Eindruck von der Organisation und der Qualität der Titelkämpfe machen können. Wie bewerten Sie die Hallen-Masters EM in diesen sicher für viele nicht sehr einfachen Tagen?

Thomas Stewens:

Erstmal habe ich mich sehr gefreut, dass die EM überhaupt stattgefunden hat und ein Veranstalter und eine Kommune diese hohen finanziellen und organisatorischen Risiken eingegangen sind. Ich habe dann vor Ort viel, sicherlich zum Teil auch berechtigte Kritik gehört, aber persönlich nur gute Erfahrungen gemacht. Alle Anmeldungen und die Prozesse im Call-Room haben schnell geklappt, die Zeitpläne wurden eingehalten, die Läufe waren voll besetzt und die Anlagen waren in ordentlichem Zustand. Überall wurde man sehr freundlich und zuvorkommend behandelt und hat sich als geschätzten Gast gefühlt. Was mir besonders gefallen hat, war, dass unsere Kampfrichter mit uns Mehrkämpfern noch kurz vor Mitternacht alleine in der Halle die Disziplinen 200-Meter-Lauf und Hochsprung selbst getestet haben. Da haben dann wir die Kampfrichter angefeuert und so entstand in der Halle eine tolle Atmosphäre und ein sehr schöner Ausklang des langen Tages.

Wie sieht denn Ihr weiterer Saisonverlauf aus, Herr Westphal? Gibt es schon konkrete Pläne?

Gerd Westphal:

Nun geht es erst einmal darum, das Erlebte zu verarbeiten, um dann wieder motiviert das Training zu intensivieren. Meine Planung sieht vor, beim Zehnkampf Ende Mai in Stendal zu starten. Ob ich dann noch die Masters-WM in den Fokus nehme, kann ich noch nicht sagen. Da bin ich noch in einem Abwägungsprozess.

Thomas Stewens, nach den Meisterschaften ist immer auch vor den Meisterschaften. Wie können Sie die Erfahrungen von Portugal mit in die Vorbereitung auf die Stadion-WM der Masters Ende Juni/Anfang Juli in Finnland einfließen lassen?

Thomas Stewens:

Irgendwie kommen immer neue Herausforderungen dazu. Nach dem letzten Zehnkampf in Bad Nauheim dachte ich, dass die Arthrose im Knie der limitierende Faktor sein wird. Hier haben wir die richtigen Übungen und Behandlungsmethoden gefunden. Das neu hinzugekommene Kreislaufproblem beim Start muss ich jetzt auch irgendwie in den Griff bekommen. Wenn wir eine Lösung dafür gefunden haben, sollte einem Start in Finnland nichts entgegenstehen.

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