| Interview der Woche

Christoph Harting: „Kein Grund zum Ausrasten“

Diskuswerfer Christoph Harting ist am Sonntag stark in die WM-Saison eingestiegen: Beim Werfer-Cup in Wiesbaden gelangen ihm die zwei weitesten Würfe seiner Karriere, mit 67,53 Metern setzte sich der Berliner vorläufig an die Spitze der Welt. Im Interview sprach der 24-Jährige anschließend über aufwendige Umstellungen, erfolgreiche Prüfungen und zwei besonders wichtige Fans.
Silke Morrissey

Christoph Harting, herzlichen Glückwunsch zu 67,53 Metern. Der Wettkampf begann ja direkt mit einem Knaller!

Christoph Harting:

Naja – das wären 69 oder 70 Meter gewesen.

67 Meter sind für Sie also noch kein Grund zum Ausflippen…

Christoph Harting:

Grund zum Ausrasten wären 68 Meter gewesen. Aber klar: Das war Weltjahresbestleistung, damit bin ich zufrieden. Damit habe ich meine Bestleistung um zweieinhalb Meter gesteigert, darüber brauchen wir uns gar nicht zu unterhalten.

Haben Sie sich so einen Saisoneinstieg zugetraut?

Christoph Harting:

Ich war schon drauf und dran abzusagen, da ich seit vorgestern Adduktorenprobleme habe. Aber dann habe ich mich doch für den Start entschieden.

Dass Sie Probleme hatten, hat man während des Wettkampfs gesehen. Sie haben sich immer wieder an den Oberschenkel gefasst, haben Dehnübungen gemacht und waren ständig in Bewegung. Wie sehr haben Sie die Schmerzen beim Werfen behindert?

Christoph Harting:

Beim Einwerfen habe ich maximal 10, 20 Prozent gegeben. Dann habe ich einfach nur versucht locker zu bleiben. Der erste Wurf war auch relativ locker. Aber wie es eben so ist: Wenn man im Wettkampf merkt, es geht was, dann will man weiter werfen. Und dann macht alles fest. Das ist der Moment, in dem die Muskulatur aussteigt. Schade. Aber gut: Bescheidenheit, Bescheidenheit, Bescheidenheit. Ich denke, das war ein guter Anfang. Ich bin selbstbewusst und freue mich auf die Saison.

Ihre alte Bestleistung von 64,99 Metern stammt aus dem Jahr 2013. Viele haben Ihnen im Jahr darauf den nächsten Leistungsschritt zugetraut, aber der blieb aus. Woran lag das?

Christoph Harting:

Da kommt eine Summe an Faktoren zusammen. Die einzeln zu beleuchten, würde hier zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Grob gesagt waren das: ein Trainerwechsel von Werner Goldmann zu Torsten Schmidt, ein Technikwechsel vom Stützabwurf zum Sprungwurf und eine Umstellung der Ernährung, der Austausch bestimmter Eiweiße beziehungsweise Proteinkomplexe gegen kohlenhydratreiche Kost beziehungsweise Energiespender. Das alles auf einmal umzuwerfen kostet eine Menge Energie und Zeit. Das letzte Jahr war das einzige, in dem wir das hätten machen können, denn jetzt sind wir im vorolympischen Jahr und nächstes Jahr sind die Olympischen Spiele.

Konnten Sie die Leistungen des vergangenen Jahres, in dem Sie nicht zum DLV-Aufgebot für die EM in Zürich zählten, daher recht entspannt betrachten?

Christoph Harting:

Ich habe mir die Zeit gegeben und mich nicht verrückt gemacht, auch wenn ich natürlich kritisch mit mir war. Was aber aus der Umstellung resultiert ist, dass ich jetzt mit dem Rücken zur Wand stehe. Dieses Jahr muss ich Leistung bringen, sonst bin ich hier raus, hier raus, da raus ... Aber ich denke, das wird spätestens jetzt kein Problem mehr sein.

Sie haben bei Ihren Würfen die Musik laut aufdrehen lassen und damit für gute Stimmung gesorgt. Brauchen Sie das für gute Leistungen?

Christoph Harting:

Musik ist nicht alles – aber ohne Musik ist alles nichts (lacht). Natürlich braucht man einen gewissen Flow, einen Rhythmus, alles, was Bass-lastig ist, aus der Elektroszene kommt – was gute Laune macht! Mit Musik werden positive Emotionen transportiert, die helfen dir, weit zu werfen, lassen den Druck abfallen.

Sie standen heute nach Ihrem starken ersten Wurf von Anfang an im Mittelpunkt. Es schien, als hätten Sie das sehr genossen.

Christoph Harting:

Ach, beim Indoor ISTAF zum Beispiel war ich nicht der Beste, aber da habe ich genauso rumgetanzt und Faxen gemacht. Das ist meine Art, den Sport zu genießen, frei zu sein, Spaß zu haben. Viele gehen mit der Einstellung ran: Ich muss das, das und das. Dabei darf das, das und das nicht passieren. Außerdem muss ich das, das und das beachten. Ich sage mir: Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder es klappt, oder es klappt nicht. Und egal wie es aussieht: Du kommst nach Hause, deine Frau liebt dich, dein Kind wartet auf dich, dein Bett ist bequem. Im Privaten spielt der Sport bei mir überhaupt keine Rolle. Das nimmt einem so viel Druck, weil man daran überhaupt nicht gemessen wird.

Sie haben schon den Trainerwechsel zu Torsten Schmidt angesprochen. Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit?

Christoph Harting:

Das ist eine Frage, die könnte ich in anderthalb Stunden nicht beantworten! (lacht)

Vielleicht gibt es eine Kurzversion der Antwort?

Christoph Harting:

Torsten Schmidt ist ein hervorragender Trainer. Er ist absolut innovativ. Er ist in meinen Augen vielleicht der einzige Trainer, der nicht versucht ein bestimmtes Technikbild zu vermitteln, sondern gemeinsam mit dem Athleten ein individuell perfektes Technikbild sucht. Das betrifft Robert, das betrifft Julia, das betrifft mich: Keiner trainiert die gleichen Technikschemata. Sicherlich gibt es Grundpfeiler. Aber kein Bild kannst du eins zu eins übereinander legen. Das alles erfordert Zeit, Energie und vor allem Kommunikation. Ich mag Torsten als Menschen und als Trainer, die Zusammenarbeit macht einfach Freude.

Ihr älterer Bruder, Olympiasieger Robert Harting, konnte nach seinem Kreuzbandriss keine normale Saisonvorbereitung absolvieren. War da für Sie Zeit für eine intensivere Zusammenarbeit mit Torsten Schmidt, hat sich auch in Ihrem Trainingsalltag etwas verändert?

Christoph Harting:

Ich bin ja erst seit Ende Februar wieder in Berlin. Vorher habe ich den Laufbahn-Lehrgang für staatlich geprüfte Polizeimeister der Bundespolizei absolviert. Dafür war ich seit Ende August in Kienbaum und habe dort mit Wolfgang Kurth zusammengearbeitet, dem Leichtathletik-Trainer der Bundespolizei. Nur am Wochenende war ich ab und zu in Berlin.

Seit Februar sind Sie nun Polizeimeister. Das bedeutet sicher eine Sorge weniger...

Christoph Harting:

Da fällt natürlich eine Last ab – wenn da beruflich nichts mehr im Wege steht, wenn alles abgesichert ist, wenn man jeden Monat sein Geld auf dem Konto hat. Und die Ausbildung kostet ja auch eine Menge Energie. In der Prüfungsphase war mit Training nicht viel. Aber dafür habe ich meine Prüfungen sehr gut abgeschlossen.

Und wie geht es sportlich jetzt für Sie weiter? Müssen wir uns wegen Ihrer Adduktorenprobleme Sorgen machen?

Christoph Harting:

Nee, nee, da ist alles gut. Die sind einfach ein bisschen überlastet. Wir haben viel trainiert, darauf springt der Köper natürlich an. Das geht weg, wenn man nicht mehr so viel trainiert.

Wie bewerten Sie die Ausgangslage für die Weltmeisterschaften in Peking nach diesem Saison-Auftakt? Robert Harting hat als Weltmeister eine Wild Card, wenn er rechtzeitig fit werden sollte. Dahinter gibt es derzeit vier Kandidaten für drei WM-Tickets.

Christoph Harting:

Nach dem Wettkampf heute sehe ich das relativ entspannt. Aber nach Peking zu fahren war ohnehin nicht meine oberste Prämisse. Ich bin nicht der Typ der sagt: Ich will das gewinnen, ich will das gewinnen, ich will das gewinnen. Nein. Ich will dahin werfen, wo kein anderer mehr hinkommt.

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