| Interview

Schirrmeister: „Nicht gemerkt, dass es zu viel wurde“

Er hatte die EM-Norm in der Tasche und die DM im Blick. Dann bremste ihn ein grippaler Effekt aus – wohl nur eine von vielen Folgen einer allgemeinen Überlastung. Hürdenläufer Silvio Schirrmeister (LAC Erdgas Chemnitz) zog die Notbremse und nahm sich eine Auszeit. Zwei Monate später spricht der Deutsche Meister von 2013 im Interview über die Doppelbelastung von 30-Stunden-Job und Spitzensport, Lustlosigkeit im Alltag und den ersten richtigen Urlaub seit dreieinhalb Jahren.
Silke Morrissey

Silvio Schirrmeister, fangen wir einfach mal mit einer banalen Frage an. Wie geht es Ihnen?

Silvio Schirrmeister:

Sehr gut! Die Auszeit, die ich mir genommen habe – beziehungsweise zwangsläufig nehmen musste – hat mir sehr gut getan. Sie hat mir viel Klarheit verschafft. Psychisch und physisch bin ich jetzt wieder auf einem guten Level.

Warum mussten Sie sich die Auszeit nehmen?

Silvio Schirrmeister:

Ich habe seit 2011 einen 30-Stunden-Job, arbeite bei der Sparkasse Dresden als Finanzierungsberater. Der Leistungssport fordert sicher noch mal 30 Stunden pro Woche. Montags war ich meist zehn Stunden im Büro, um mir für den Rest der Woche Freiraum fürs Training zu verschaffen. Wenn ich in der Wettkampf-Phase im Job Minusstunden gesammelt habe, dann habe ich die nach dem Ende der Saison aufgearbeitet. Da war keine Zeit für Urlaub, höchstens mal für vier, fünf Tage Städtetrip. Fast dreieinhalb Jahre ging das so, das summiert sich.

Ihr letzter Wettkampf der Saison war am 8. Juli in Lignano. Was ist danach passiert?

Silvio Schirrmeister:

Danach habe ich auf die Deutschen Meisterschaften hintrainiert. Das Trainingsniveau war hoch und vielversprechend. Aber dann kam auf einmal die Angst zu versagen, die eigenen sportlichen Ziele nicht mehr zu erreichen – obwohl ich fit war! Ich habe mich da so reingesteigert, dass ich an die DM und an die EM gedacht und gemerkt habe: Ich habe keinen Bock da hinzufahren! Das war keine Wettkampf-Angst. Mit der lernt man mit der Zeit umzugehen. Dass ich auf einmal keinen Antrieb mehr hatte, davor hatte ich Angst!

Also haben Sie sich dazu entschieden, die weiteren Wettkämpfe abzusagen?

Silvio Schirrmeister:

Ich habe viel mit meinem Arzt Dr. Detlef Schlegel gesprochen, zu dem ich ein sehr gutes Vertrauensverhältnis habe. Der hat gesagt, dass es sicher klappen würde, die Saison weiter zu bestreiten. Aber er hat auch gesagt: Wenn du das wirklich länger machen willst, ist es vielleicht an der Zeit für eine Auszeit. Hinzu kam, dass ich einen grippalen Infekt hatte, mit dem ich bei der DM in Ulm ohnehin nicht hätte starten können. Ich lag noch bis Dienstag, Mittwoch danach flach. Vielleicht war das auch ein Teil der Überlastung.

Wie ging es dann weiter?

Silvio Schirrmeister:

Ich war vier Wochen krankgeschrieben, wegen des Infekts und wegen der Überlastung. Danach bin ich wieder arbeiten gegangen, habe aber alles ruhig angehen lassen. Gelaufen bin ich nur zum Fithalten.

Hatten Sie in dieser Zeit auch psychologische Unterstützung?

Silvio Schirrmeister:

Einen Psychologen brauchte ich in der akuten Situation nicht. Da war ich ehrlich gesagt nur froh, wenn mich alle in Ruhe gelassen haben. Erst anschließend bin ich den Weg zum Sportpsychologen Dr. Dietmar Reinhold gegangen, den ich schon vorher kannte. Mit ihm zusammen arbeite ich jetzt daran, Belastungssituationen früher zu erkennen, damit sie nicht eskalieren.

Man hört immer häufiger von Spitzenathleten, die aufgrund der Doppelbelastung von Sport und Studium, Ausbildung oder Job vor dem Burnout stehen. Können Sie rückblickend Anzeichen ausmachen, die bei Ihnen auf eine Überlastung hingedeutet haben?

Silvio Schirrmeister:

Mir haben der Sport und mein Job immer sehr viel Spaß gemacht. Dass beides zusammen zu viel geworden ist, habe ich lange nicht gemerkt. Die ersten Anzeichen dafür gab es aber schon im Frühjahr nach dem jährlichen Trainingslager in Südafrika. Normalerweise bin ich zurückgekommen und habe mich darauf gefreut, auf die Arbeit zu gehen. Dieses Mal war es anders, da hatte ich absolut keine Lust. Dieses Zeichen habe ich ignoriert, da war ich nicht ehrlich zu mir. Ein anderes Beispiel: Ich lese für mein Leben gern, Bücher, Zeitungen, Magazine… Aber ich hatte auf einmal keine Lust mehr darauf. Meine Freundin und ich treffen gerne Freunde zu Spieleabenden – aber mir war nicht mehr danach, ich wollte nicht dorthin gehen oder dass Freunde zu uns kommen.

Ihre Freundin Sara Jäpel kennt sich aus mit Doppelbelastungen. Sie studiert Medizin und ist 400-Meter-Läuferin beim Dresdner SC 1898. Wie konnte sie Ihnen in den vergangenen Wochen helfen?

Silvio Schirrmeister:

Sie ist für mich die wichtigste Stütze, die ich habe. Ich weiß nicht, ob ich es ohne sie geschafft hätte, so schnell wieder gesund und fit zu werden. Nur wenige Menschen können nachvollziehen, wie es mir wirklich geht – sie ist eine davon.

Der breiten Öffentlichkeit haben Sie erst in der vergangenen Woche auf Ihrer Webseite erzählt, warum Sie in dieser Saison nicht mehr in den Startblöcken standen. Wie waren die Reaktionen darauf?

Silvio Schirrmeister:

Die Resonanz auf den Bericht war extrem hoch und positiv! Viele Nachrichten, die ich erhalten habe, waren sehr rührend. Viele Leute haben Anteil genommen. Das hat mir gezeigt, dass es viele gibt, denen es nicht nur um den Sportler Silvio Schirrmeister geht, sondern um den Menschen.

Sie haben zu Beginn des Interviews den fehlenden Urlaub angesprochen. Der ist doch jetzt sicher überfällig!

Silvio Schirrmeister:

Unser Urlaub stand dieses Jahr schon im Januar fest. Wir fliegen am Montagabend nach Dublin. Dort wollen wir uns die Stadt ansehen und haben dann zehn Tage ein Auto gemietet, um an der Küste entlang zu fahren und das Land zu erkunden. Das wird eine gute Sache! Alle, mit denen wir bisher gesprochen haben, haben sich für uns gefreut und uns gesagt, dass uns Irland gefallen wird.

Und danach? Sehen wir Sie 2015 auf der Bahn wieder?

Silvio Schirrmeister:

Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Ich hatte in meinem Alltag alle Abläufe so gut optimiert, wie es nur möglich war, mehr Freiräume waren nicht drin. Daher werde ich versuchen mein Arbeitspensum zu reduzieren. Wie genau wir das machen, steht noch nicht fest. Aber ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass ich dem Sport treu bleiben und noch einmal richtig Gas geben will.

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