| Porträt

Melat Kejeta träumt von Marathon-Zeit unter 2:20 Stunden

Die gebürtige Äthiopierin Melat Kejeta hat beim BMW Berlin-Marathon mit 2:23:57 Stunden die schnellste Debüt-Zeit einer deutschen Läuferin aller Zeiten hingelegt. Seit Frühling besitzt die 27-Jährige die deutsche Staatsbürgerschaft. Zur Vorbereitung auf ihren ersten Lauf über die 42,195 Kilometer war die Athletin vom Lauf-Team Kassel im Höhentrainingslager in Kenia – unter Anleitung von Erfolgscoach Patrick Sang.
Pamela Lechner / Jörg Wenig

In der ewigen deutschen Bestenliste sortierte sich Melat Kejeta mit ihrem Rennen beim BMW Berlin Marathon Ende September auf Anhieb auf Rang drei ein – nur die Deutsche Rekordhalterin Irina Mikitenko (2:19:19 h) und Uta Pippig (2:21:45 h) sind jemals schneller gewesen. Irina Mikitenko war es auch, die bislang mit 2:24:51 Stunden das beste Debüt einer deutschen Marathonläuferin hingelegt hatte, 2007 ebenfalls in Berlin.

„Ich bin sehr froh über meine Leistung, ich habe lange davon geträumt," sagte Melat Kejeta nach ihrem ersten Marathon, den sie in 2:23:57 Stunden als Sechste beendete. Vorgenommen hatte sie sich eine Weltklasse-Zeit. "Ich wollte 2:22 Stunden laufen, weil ich hart trainiert habe, das war mein Ziel. Es hat nicht geklappt, aber ich bin trotzdem sehr zufrieden." Bereits vor eineinhalb Jahren hatte sie in der Hauptstadt überrascht: Damals gewann sie den Berliner Halbmarathon. 2018 war Melat Kejeta noch als Äthiopierin am Start, diesmal kam sie als Deutsche zurück.

Im März erhielt die Athletin des Lauf-Team Kassel die deutsche Staatsbürgerschaft. Vor sechs Jahren ist sie aus politischen Gründen nach Deutschland geflüchtet. Einen Start in Italien nutzte sie, um sich abzusetzen. Sie kam dann nach Kassel, wo sie der frühere Marathon-Bundestrainer Winfried Aufenanger coacht. "Ich war positiv überrascht, wie souverän Melat diese Leistung in Berlin erbracht hat. Sie ist nicht auf der letzten Rille gelaufen, sondern hat Stabilität gezeigt", berichtet der erfahrene Trainer.

Vorbereitung bei Patrick Sang in Kenia

Auf den Berlin-Marathon bereitete sich Melat Kejeta von Ende Juli bis Ende September zwei Monate lang intensiv in Kenia vor. Dort schloss sie sich über Kontakte der Trainingsgruppe von Patrick Sang an und konnte mit vielen starken Kenianerinnen trainieren, darunter auch WM-Teilnehmerinnen für Doha (Katar). Der ehemalige Spitzen-Hindernisläufer Patrick Sang betreut auch Kenias Olympiasieger Eliud Kipchoge, der am Samstag als erster Mensch den Marathon unter zwei Stunden gelaufen ist. Das historische Rennen in Wien (Österreich) hat die Wahl-Kasselerin am TV verfolgt. "Ich habe den Lauf gesehen, das war unglaublich."

Melat Kejeta war kurz nach dem Höhentrainingslager in Kaptagat, das 25 Kilometer östlich von Eldoret liegt, nach Berlin gekommen. Ursprünglich war das Ziel, die internationale Olympia-Norm für Tokio (Japan) von 2:29:30 Stunden zu unterbieten. Doch das Training in Kenia lief so gut, dass die 27-Jährige wesentlich schneller lief. "Dass Melat in der Gruppe von Patrick Sang trainieren kann, ist natürlich super. Dort wurde sie auch physiotherapeutisch betreut, so dass sie überhaupt diese hohen Umfänge machen konnte. Das Höhen-Training bekommt ihr gut, sie kommt auch aus der Höhe", erzählt Winfried Aufenanger. Vor ihrer Flucht nach Deutschland hat sie in den großen Talent-Gruppen von Äthiopien trainiert. 

Vergangenes Jahr war sie zur Vorbereitung auf den Berliner Halbmarathon zum ersten Mal in Kenia, damals noch mit einer Global-Gruppe. Nach ihrer Einbürgerung dieses Jahr im März flog sie nach Addis Abeba, um nach sieben Jahren ihre Familie wieder zu sehen. Den Aufenthalt in Äthiopien nutzte sie gleichzeitig für ein Höhentrainingslager in ihrem alten Heimatland. Im Sommer entschied sie sich aufgrund der dort herrschenden Regenzeit für ein Camp in Kenia, das sie zu Patrick Sang führte.

Olympia-Teilnahme in Tokio als Ziel

Dieser eigens initiierte Schritt hat sich ausgezahlt: 2018 wurde Melat Kejeta noch von Knieproblemen ausgebremst, dieses Jahr glänzte sie mit der Olympia-Norm im Marathon. Angesichts der schnellen Zeit dürfte ihr ein Startplatz bei den Olympischen Spiele in Tokio kaum zu nehmen sein. Wie der Weg dorthin aussieht ist noch offen. Sie verfolgt neben der Olympia-Teilnahme ein weiteres ehrgeiziges Ziel: "Ich möchte gerne irgendwann unter 2:20 Stunden laufen." So eine Zeit lässt sich am besten in den starken Feldern von großen City-Marathons laufen. Der London-Marathon (Großbritannien) ist daher ebenfalls ein Zukunftsthema.

Würde die gebürtige Äthiopierin tatsächlich in solche Regionen vorstoßen und die magische 2:20 Stunden-Barriere unterbieten, wäre eines Tages auch der deutsche Rekord von Irina Mikitenko in Gefahr. Doch für diese Steigerung muss sie zunächst ihre Leistungen auf den Unterdistanzen verbessern. "Meine Vorstellung wäre, dass Melat ihre Halbmarathon-Bestzeit deutlich steigert, in Richtung 67:00 Minuten. So eine Zeit braucht man, um letztlich unter 2:20 Stunden laufen zu können", weiß Winfried Aufenanger.

Laufen ist Freiheit

Auf dem Weg nach Tokio sind voraussichtlich weitere Höhentrainingslager geplant. Das viele Training in der Höhe mache die Läufer aus Äthiopien so schnell, meint Melat Kejeta, die in Afrika als Friseurin tätig war und sich bis heute ihre Zöpfe immer selber flechtet. Das Konzept mit zwei Trainern im Wechsel soll fortgeführt werden: Ist sie in Kenia, wird sie von Patrick Sang betreut, ist sie in Deutschland, trainiert sie in dem vor einem Jahr neu geründeten Lauf-Team Kassel bei Winfried Aufenanger.

Dem Lauf-Team gehört mit Jens Nerkamp auch der stärkste deutsche Läufer des diesjährigen Berlin-Marathon an. Er stellte auf Platz 37 eine neue Bestzeit von 2:14:54 Stunden auf. Ein Angriff auf die Olympia-Norm (2:11:30 h), zu der noch ein Stück fehlt, ist für das kommende Frühjahr angedacht. Derzeit befinden sich die beiden Kasseler Top-Läufer aber erst einmal in einer dreiwöchigen Erholungsphase. "Regeneration ist bei uns in Verbindung mit den hohen Belastungen ganz wichtig", sagt der ehemalige Bundestrainer. Melat Kejeta verbindet mit dem Laufen vor allem eines: "Die Freiheit, ich bin beim Laufen ganz frei."

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024