| Interview

Robert Harting: „Mental an Belastungsgrenze"

Für Olympiasieger und Weltmeister Robert Harting hat die Freiluft-Saison begonnen: In Wiesbaden setzte er sich am Samstag mit 67,46 Metern vorläufig an die Spitze der Welt. Im Interview berichtet der Berliner von seinem neuen Trainer Torsten Schmidt, von körperlichen und mentalen Grenzen und von der neuen Freude am Werfen.
Silke Morrissey

Robert Harting, Sie haben vor Ihrem Saisonauftakt gesagt, man werde anschließend sehen, wohin die Reise in dieser Saison gehen kann. Wie bewerten Sie die erste Etappe auf dem Weg nach Zürich?

Robert Harting:

Die Feinabstimmung fehlt noch. Ich muss in den nächsten Wochen den Rhythmus finden, damit ich nicht mehr  überlege, an welchen technischen Punkten ich noch arbeiten muss. Das muss von selbst laufen. Alle Würfe, in die ich hier meine ganze Kraft gelegt habe, sind bei 60 Metern runtergefallen. Da sieht man, dass das Timing der Geschwindigkeit von Ober- und Unterkörper noch nicht stimmt. Daher nehme ich mich zurück, dann stimmt es wieder, aber ich werfe nicht so weit – das ist schade. Schade, aber nicht mehr. Es hätte auch schlechter werden können!

Mit der Siegesweite sind Sie also nicht zufrieden?

Robert Harting:

Ich habe die Würfe halt nicht richtig erwischt. Aber dafür, wie ich geworfen habe, ist die Weite gut. Es steckt noch viel drin, das beruhigt mich. Es war einfach wichtig, sich aus dem Winter heraus im Wettkampf zurecht zu finden, auch im Zusammenspiel mit dem neuen Trainer. Es gibt das Coaching im Training und das Coaching im Wettkampf. Das muss sich alles erstmal einschleifen. Aber ich bin da zuversichtlich.

Wie läuft es denn in der Zusammenarbeit mit Torsten Schmidt?

Robert Harting:

Gut! Wir haben ganz andere Motivationsstrecken, mit Freude! Die Erfolge der vergangenen Jahre konnte ich jetzt ein bisschen verarbeiten. Die Arbeit mit einem neuen Trainer ist interessant und bringt neue Reize. Das große Projekt für mich heißt Rio 2016. Wer zu spät auf Innovation setzt, verliert am Markt. Das sieht man auch an Martin Wierig, der sich kontinuierlich steigert. Ich war mit den vorhandenen Mustern ausgereizt. Man muss sich immer wieder neu erfinden. Wir sind auf einem guten Weg, aber wir haben noch viele Reserven.

Können Sie konkret etwas nennen, das Sie verändert haben?

Robert Harting:

Was heißt verändert… Wir haben uns erstmal um die Schäden gekümmert. Ich habe jetzt ein relativ fittes Knie, bin in der Hinsicht schmerzfrei und belastbar. In den letzten Jahren hatte ich mir eine Schonhaltung zugelegt, die zu Nervenquetschungen und dadurch zu Ausfällen im linken Bein geführt haben. Es war komisch, ein riesen Rätsel: Ich habe angefangen zu werfen und konnte mit dem linken Bein nicht stehen bleiben. Diese Ausfälle haben wir mit vielen osteopathischen Bemühungen hingekriegt.

Sie werden im Oktober Jahr 30 Jahre alt. Merken Sie, dass Sie mittlerweile bei der Belastung in Training oder Wettkampf früher die Bremse ziehen müssen als noch vor fünf oder zehn Jahren?

Robert Harting:

Auch das ist ein Grund, warum im Training neue Dinge einfließen müssen. Im Kopf ist man nach wie vor leistungsgeil und hat auch noch dieselbe Geschwindigkeit. Aber die Karosserie ist eine andere. Mit 30 hat man andere Regenerationszeiten. Wenn ich vier Tage durchbelaste, brauche ich jetzt leider vier Tage Pause. Vorher war es einer. Das muss man wissen. Sonst dreht sich der ganze Spieß um: Wenn man zu viel belastet, fällt man in ein zu tiefes Loch. Im Trainingslager ist mir das jetzt bedingt passiert, deswegen bin ich eigentlich mit den 67,46 Metern hier auch super zufrieden.

Sie haben sich in den vergangenen Monaten auch mit vielen anderen Projekten beschäftigt, zum Beispiel mit der Gründung einer Sportlotterie und Ihrem Uni-Abschluss… Das schlaucht doch sicher auch. Wie fit sind Sie mental?  

Robert Harting:

Mental fit? Das brauche ich nicht zu erklären, da laufen im Hintergrund viele Dinge, da bin ich wirklich an der Grenze der Belastung. Aber trotzdem: Ich habe plötzlich wieder Spaß an der Sache. Ich arbeite daran, dass ich mit Freude Leistung produziere. Dieser Weg ist neu für mich. Vorher lief das nach dem Prinzip Reiz – Reaktion. Man wird sehen, was am Ende dabei rauskommt. Aber ich will meinen EM-Titel verteidigen, dafür werde ich alles geben.

Ihren größten nationalen Konkurrenten, den WM-Vierten aus Magdeburg Martin Wierig, haben Sie in Wiesbaden jedenfalls schon mal hinter sich gelassen…

Robert Harting:

Es wird schon noch ein paar heiße Wettkämpfe geben mit Martin! Ich habe ja gesagt, dass ich in diesem Jahr der beste Werfer Sachsen-Anhalts werden will. Dort sind mit Halle, Dessau und Schönebeck drei Wettkämpfe, da will ich den Lokalmatadoren schlagen!

Welche Stationen stehen denn als nächste auf Ihrem Terminplan?

Robert Harting:

Am nächsten Wochenende ist Halle, dann kommt Turnov, da habe ich vor zwei Jahren 70,66 Meter geworfen. Ich will in diesem Jahr relativ viel machen. Ich nehme viele Wettkämpfe an um zu gucken, wie es läuft. Zwar nicht nur „Just for fun“, aber unverkrampft und nicht mit dem Zwang: „Ich will da unbedingt gewinnen!“ Ich weiß noch genau, wie es im letzten Jahr war – das war im Nachhinein wirklich ekelhaft. Da habe ich mich schon im Trainingslager in Portugal total schlecht gefühlt, weil ich diese Siegesserie dann doch haben wollte – obwohl ich eigentlich immer gesagt hatte, dass sie mich nicht interessiert. Dann kommt man hierher, ist gar nicht ansprechbar… Das ist in diesem Jahr viel, viel schöner gewesen.

<link news:34104>Robert Harting setzt sich an die Weltspitze
<link news:34110>Der Werfer-Cup auf leichtathletik.TV

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