| Athleten-Umfrage

Die große Hoffnung vieler Leichtathleten ruht auf einer "Late Season"

Leichtathletik-Wettkämpfe im Jahr der Corona-Pandemie? Wir haben uns im Kreise der Topathleten umgehört und sie nach ihren Wünschen hinsichtlich einer "Late Season" befragt. Im Kern sind sich fast alle einig: Für die Olympia-Vorbereitung auf 2021 wären Wettbewerbe im Jahr 2020 ein wichtiger Baustein – notfalls auch ohne Zuschauer.
Peter Schmitt

Derzeit ist bei vielen Leichtathleten aufgrund der Einschränkungen in der Coronakrise kein geordneter Trainingsprozess möglich. Obwohl Sebastian Coe, Präsident des Weltverbandes, World Athletics, mitgeteilt hat, dass der Qualifikationszeitraum für Olympia 2021 in Tokio (Japan) bis Ende November ausgesetzt wird, hofft die Sportliche Leitung des DLV mit den Cheftrainern Annett Stein und Dietmar Chounard noch immer auf die Möglichkeit einer "Late Season", damit die Sportler Wettkampfpraxis sammeln können. leichtathletik.de hat die DLV-Cheftrainer und die Athletinnen und Athleten gefragt, was sie von einer „Late Season“ halten und auch, ob sie bei Wettkämpfen ohne Zuschauer starten würden. Ein Großteil der Sportler hat sich bei dieser Blitzumfrage für eine "Late Season" ausgesprochen.

Annett Stein
(DLV-Chef-Bundestrainerin)
Sehr bald war klar, dass sich unser leistungssportlicher Alltag durch Corona extrem verändert hat. In einer Zeit, in der unsere Gesundheit bedroht wird, ändern sich die Prioritäten. Bemerkenswert haben unsere Athletinnen und Athleten in der gesamten Zeit das Training fortgeführt. Während an einigen Bundesstützpunkten das Training durch Ausnahmeregelungen noch möglich war, trainierten andere Athleten alternativ in Parks oder im Wald. Die Leitenden Bundestrainer berichten in unseren Videokonferenzen, wie sehr sich die meisten eine Wettkampfsaison wünschen. Wir möchten den Athletinnen und Athleten Wettkampfstarts und gemeinsam mit unseren Partnern eine späte Wettkampfsaison ermöglichen, um nach dieser schwierigen Krise die Motivation, Fokussierung und Wettkampfkompetenz hochzuhalten und mit dem „back on track“ einen Abschluss dieser Saison zu gestalten. Auch wenn der Qualifikationszeitraum für Olympia von World Athletics bis Ende November ausgesetzt worden ist, gelingt es uns mit einer kurzen Wettkampfsaison, eine bessere Ausgangsposition für den Start in die Trainingsvorbereitung auf das Jahr 2021 zu erhalten – ein Jahr mit den Olympischen Spielen und weiteren internationalen Nachwuchshöhepunkten.

Niklas Kaul
(USC Mainz; Weltmeister im Zehnkampf)
Es ist wichtig, dass man ein Ziel hat, auf das man hintrainieren kann. Das kann eine Late Season im späten Sommer sein, oder auch eine frühe Hallensaison von November bis Januar zu machen und danach noch einmal einen langen Aufbau bis zu den Olympischen Spielen. Das wäre für uns Athleten schon sehr gut, damit man eine Art Zwischenziel hat.

An Wettkämpfen würde ich nur teilnehmen, wenn keine Gefahr für alle Beteiligten besteht, sei es Trainer, Betreuer oder auch Kampfrichter in irgendeiner Art. Und Organisatoren des Wettkampfs. Ich gehe da gar nicht auf die Athleten ein, die müssen das am Ende selbst für sich entscheiden, ob es ihnen das Risiko wert ist. Gerade für Betreuer wäre es wichtig auch wenn keine Zuschauer dabei sind, dass wir ein sehr geringes Risiko fahren. Anders wäre es für mich nicht tragbar, Wettkämpfe zu bestreiten.

Tim Nowak
(SSV Ulm 1846; WM-Zehnter im Zehnkampf)
Eine Late Season wäre für mich sehr wichtig. Ich bin jemand, der immer eine sehr lange Saison hatte, und habe die letzten Jahre immer noch Wettkämpfe im September gemacht. Ich halte es für sehr wichtig, weil ich den Wettkampf-Flow nicht ganz verlieren möchte. Ich denke, in anderen Disziplinen ist es auch so: Wenn man einfach so lange raus ist, dann wird es umso schwieriger, nächstes Jahr wieder einzusteigen. Dem möchte ich eben gerne vorbeugen und in diesem Jahr noch einen Zehnkampf machen. Ich würde auch ohne Zuschauer teilnehmen, was man von kleineren Wettkämpfen gewohnt ist, auch wenn nicht so viel "Feeling" aufkommt. Es wäre mir wichtiger einen Wettkampf machen zu können, als dass die Atmosphäre stimmen muss. Deshalb würde ich so einen "Geisterwettkampf" zustimmen.

Carolin Schäfer
(LG Eintracht Frankfurt; EM-Dritte im Siebenkampf)
Natürlich würde ich mich über eine verspätete Wettkampf-Saison sehr freuen. Möglich wären ja noch die Europameisterschaften in Paris und das Mehrkampf-Mmeeting in Talence in Frankreich. Beide Veranstaltungen stehen noch auf dem Prüfstand. Ich bereite mich unter Einhaltung aller Bedingungen bestmöglich vor und hoffe, bei einem dieser beiden Mehrkämpfe starten zu können.

Ja, ich würde auch starten, wenn Wettkämpfe ohne Publikum stattfinden müssten. Wie sich so etwas auf eine Leistung auswirken wird? Kann ich nicht abschätzen. Mir ist es wichtig, meine gute Form unter Wettkampfbedingungen testen zu können.

Malaika Mihambo
(LG Kurpfalz; Weltmeisterin im Weitsprung)
Wenn es die Situation erlaubt, dann würde ich natürlich gerne an einer Late Season teilnehmen. Gerade Höchstleistungen bei technischen Disziplinen, wie Weitsprung, sind ohne Wettkampf schlecht zu üben. Nur dort kommt man zu seinen 100%. Ja natürlich würde ich auch an Wettkämpfen ohne Zuschauer teilnehmen, wenn es nicht anders möglich ist. Es wäre nickt das gleiche aber man könnte vielleicht auch noch mehr mit Livestreams arbeiten. Das würde sicher auch die Leichtathletikfans zu Hause freuen.

Johannes Vetter
(LG Offenburg; WM-Dritter im Speerwurf)
Ich bereite mich nach wie vor auf mögliche Wettkämpfe dieses Jahr vor. Daher wäre es für mich wichtig, die Chance zu bekommen meine Form zu beweisen. Im Training kann ich auch weit werfen ohne Zuschauer. Im Wettkampf ohne Zuschauer hätte ich zumindest eine offiziell gemessene Weite.

Thomas Röhler
(LC Jena; Olympiasieger und Europameister im Speerwurf)
Wettkämpfe spielen definitiv eine wichtige Rolle in der Vorbereitung, dementsprechend wäre es sicherlich spannend, in einer späten Saison, wenn es sichere Umstände gibt, Wettkämpfe zu haben. Für mich persönlich ist es nicht essentiell. Ich würde mich nicht in gefährliche Grauzonen bewegen, um unbedingt zu reisen und Wettkämpfe zu machen. Dann lieber ein gesichertes Training. Ein gesichertes Trainingsumfeld ist mir wichtiger als die Late Season. Für mich sind Wettkämpfe ohne Zuschauer keine Wettkämpfe, dann kann ich auch trainieren.

Raphael Holzdeppe
(LAZ Zweibrücken; WM-Sechster im Stabhochsprung)
Für mich persönlich wäre es sehr wichtig, da ich bewusst wegen denr Olympischen Spiele keine Hallensaison gesprungen bin. Daher würde mir jeder Wettkampf, der dieses Jahr noch stattfinden würde, helfen bei der Vorbereitung auf die Spiele 2021. Ich würde auch an Wettkämpfen ohne Zuschauer teilnehmen, auch wenn dies alles andere als optimal für die Stimmung während eines Wettkampfes wäre – vorausgesetzt die Durchführung des Wettkampfes ist unter gesundheitlichen Aspekten vertretbar.

Gregor Traber
(LAV Stadtwerke Tübingen; Olympia-Halbfinalist über 110 Meter Hürden)
Eine Late Season ist wichtig, um im Hinblick auf eine erfolgreiche Teilnahme an den Olympischen Spielen 2021 möglichst im Flow zu bleiben und Wettkampf-Erfahrung zu sammeln. Wettkampf ist das beste Training! Am besten Wettkämpfe auf allerhöchstem Niveau gegen die Konkurrenten, gegen die man auch bei Olympia bestehen möchte. Allerdings sollte der Beginn der Late Season nicht allzu spät sein. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, nehme ich natürlich auch an Wettkämpfen ohne Zuschauer teil, auch wenn ich finde, dass Zuschauer dem Sport den Extra-Kick geben. Ohne Zuschauer ist es komisch und lahm, aber da es mein Beruf ist und ich nächstes Jahr bei Olympia starten möchte und nur die eine Karriere habe, würde ich auch Wettkämpfe ohne Zuschauer in Kauf nehmen. Auch wenn ich nicht hoffe, dass es so sein wird.

Christina Schwanitz
(LV 90 Erzgebirge; EM-Dritte im Kugelstoßen)
Da die Gesundheit aller derzeit im Vordergrund steht und das Training für viele noch sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich ist, würde ich für keine Wettkämpfe plädieren. Das wäre für die Leichtathletik eine sehr bittere Pille, aber fair! Für die Veranstalter wäre es ein Mammutprojekt, viel Geld zu investieren und keine Zuschauereinnahmen zu bekommen, wovon die meisten Veranstaltungen ja leben... Als Vorbild geht man bei Wettkämpfen ohne Zuschauer sicher nicht an den Start! Dennoch mache auch ich meinen Sport, um mich im Wettkampf zu messen, und einer gewissen Verpflichtung unterstehen auch wir Leichtathleten.

David Storl
(SC DHfK Leipzig: Hallen-Vize-Weltmeister im Kugelstoßen)
Es wäre für mich sehr wichtig, noch den ein oder anderen Wettkampf zu haben dieses Jahr. Wir bereiten uns aktuell darauf vor, in der zweiten Hälfte des Jahres einzusteigen und wollen direkt einen raushauen. Gerade nach dem letzten Jahr ist es für mich sehr wichtig zu sehen, dass unser Training sich auszahlt und das wir Erfahrungen und Wettkampfhärte sammeln, um Olympia gestärkt und mit Selbstvertrauen anzugehen. Mir würde was fehlen, wenn keine Zuschauer dabei wären, aber wahrscheinlich würde uns nichts anderes übrig bleiben als dennoch teilzunehmen, um mit einem guten Ergebnis aus dem Jahr 2020 in die Vorbereitungen auf die OS zu starten. Außerdem will ich auch sehen was ich drauf habe. Vielleicht muss man, wenn es Wettkämpfe ohne Zuschauer gibt andere Varianten nutzen, so wie Livestreams auf Facebook, Instagram oder twitch und YouTube. Dass wir den Fans der LA die Möglichkeit geben dabei zu sein. Auch Livestreams über unsere Fernsehsender wären cool.

Lisa Mayer
(Sprintteam Wetzlar; Olympia-Vierte 4x100 m)
Aus meiner Sicht wäre es aus verschiedenen Perspektiven wichtig, dieses Jahr noch ein paar Wettkämpfe bestreiten zu können. Zum einen natürlich um ein paar finanzielle Einnahmen durch Startgelder und Siegprämien zu haben. Ich bin als Sportsoldatin zwar finanziell abgesichert – und darüber sehr, sehr dankbar – aber das sind Gelder, mit denen wir Athleten, unabhängig von Sportförderstelle oder nicht, fest planen. Zum anderen um für das harte Training, das derzeit schon absolviert wurde, entlohnt zu werden und trotz der derzeit schwierigen Trainingsbedingungen einen "Ist-Zustand" zu ermitteln: Wo stehe ich nicht mehr ganz ein Jahr vor den Olympischen Spielen? An welchen Schwachstellen konnte die vergangenen Monate gearbeitet werden, an welchen nicht? Was gilt es noch zu tun?

Für mich persönlich hat es auch nochmal eine ganz besondere Bedeutung: Ich konnte die letzten zwei Jahre aufgrund von Verletzungen keine Wettkämpfe absolvieren. In der Hallensaison habe ich mich gerade erst wieder herangetastet und Routine gesammelt. Diesen Weg weiterzugehen ist für meine persönliche Entwicklung enorm wichtig. Um meine volle Stärke auf der Bahn zu zeigen, brauche ich noch einige Rennen. Aus diesen verschieden Gründen würde ich auch definitiv an Wettkämpfen ohne Zuschauern teilnehmen. Natürlich ist es schade, die "Macht der Zuschauer", die Wettkampfstimmung, ist nicht zu unterschätzen. Das ist ja auch das, was wir Sportler genießen. Aber besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen! Olympische Spiele ohne Zuschauer etc. wäre zu traurig gewesen, deshalb bin ich sehr froh darüber, dass diese verschoben wurden. Bei anderen Wettkämpfen kann man das fehlende Publikum in dieser Ausnahmesituation verkraften.

Dietmar Chounard
(Cheftrainer U20/U23 und duale Karriere)
Die aktuelle Saison und damit auch die Vorbereitung auf die Olympischen Spiel 2021 ist geprägt von großen Irritationen, die einen geordneten Trainingsprozess zur Hinführung einer Leistungsausprägung nicht zulässt. Umso wichtiger ist es, zur Standortsbestimmung des aktuellen Leistungsvermögen nach einer, wenn auch kurzen, Vorbereitungsphase auch hochwertige Wettkämpfe zu realisieren. Die gewonnenen Erkenntnisse können so in die Vorbereitung der Olympischen Spiele  einfließen und die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Abschneidens erhöhen.

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