| Erfahrungsbericht

Djamila Böhm: Aufgeben ist keine Option

Wie erleben Athleten die Zeit der Coronavirus-Pandemie – mit verschobenen Olympischen Spielen, in die Ferne gerückten sportlichen Zielen, finanzieller Unsicherheit, der Notwendigkeit umzuplanen und doch weiterzutrainieren trotz geschlossener Sportstätten? Jeder und Jede von ihnen hat unterschiedliche Strategien. Halt gibt vielen der tägliche Sport. Auch Djamila Böhm (ART Düsseldorf), der Deutschen Meisterin von 2017 über 400 Meter Hürden, ergeht es so. In einem Gastbeitrag gibt die 25-Jährige Einblick in ihre Gefühlswelt und erklärt, wie sie es schafft, ihre positive Einstellung zu bewahren.
Djamila Böhm

Links um die Kurve, über den kleinen Hügel und dann bis zum zweiten Baum auf der linken Seite. Es knackt unter den Füßen, als ich über den Waldweg renne. Ich spüre die Geschwindigkeit und fühle mich frei. Frei, obwohl ich viel zu dick eingepackt bin für eine solche Trainingseinheit und statt Spikes meine Laufschuhe trage.

Pustend stehe ich an der Ziellinie, die mein Trainer Sven Timmermann quer über den Waldweg gezogen hat, nachdem er die 185 Meter lange Strecke mit einem Maßrad ausgemessen hat. Mein Kopf wird nass. Es fängt an zu regnen, zusammen mit dem Wind wird es nun unangenehm und kalt. Die Sonne hat sich verzogen. Ich fange an zu frösteln. Typisches April-Wetter. In solchen Momenten, zwischen Kälte, Übelkeit und schmerzenden Beinen, schließe ich kurz meine Augen und denke an meine Ziele.

Auf einmal rückt das große Ziel wieder in weite Ferne

Das fällt mir normalerweise ganz leicht. Es macht mir Spaß auf ein Ziel hinzuarbeiten, mich auf dem Weg dahin zu verausgaben und das Allerbeste aus mir herauszuholen. Ziele sind im Leben einer Leistungssportlerin immer klar definiert. Kleine, schnell zu erreichende Zwischenziele und ein großes, das über allem steht: Die Teilnahme an den Olympischen Spielen. Als Athletin richtet man sein komplettes Leben danach aus, für die eventuelle Möglichkeit, einmal an dem größten Multi-Sportevent der Welt teilnehmen zu können.

Doch das große Ziel wurde verschoben. Die Nah-Ziele sind ungewiss. Niemand weiß, wie dieses Jahr weitergeht. Wie die Coronavirus-Pandemie sich weiterentwickelt und unser aller Leben in jeglichen gesellschaftlichen Bereichen beeinflussen wird. Niemand kann aktuell Planungen erstellen. Sagen, ab wann wieder Normalität in unser Leben eintreten wird. Natürlich hat diese Entwicklung auch Einfluss auf das Sportlerleben. Fitnessstudios, Schwimmhallen und Trainingsstadien auf der ganzen Welt wurden geschlossen, Gruppentraining ist nicht mehr erlaubt. Athleten wurden aus ihren Trainingslagern zurückgeflogen. 

Disziplinspezifisches Training: Fehlanzeige

Seit dem 13. März sind die Düsseldorfer Leichtathletikhalle und auch mein Trainingsstadion auf unbestimmte Zeit gesperrt. Nun muss man kreativ werden und improvisieren. Konditionsübungen, Sprints und Tempoläufe können im Wald absolviert werden, Koordination und Sprungkraft an Treppenstufen. Deutlich schwieriger sind die fehlenden Technikeinheiten zu kompensieren. Als Hürdenläuferin benötige ich eine hohe Anzahl an Hürdenüberquerungen im Training, um die erlernte Technik automatisiert im Wettkampf abrufen zu können. In der aktuellen Trainingsphase würde ich auf rund 250 Hürdenüberquerungen in der Woche kommen. Normalerweise. Genauso fehlen einem Hochspringer die spezifischen Sprünge oder einem Speerwerfer die Würfe mit seinem Wurfgerät.

Am 30. März dann Gewissheit. Die Olympischen Spiele wurden um ein Jahr verschoben, Juli bis August 2021. Natürlich hatte ich diese Möglichkeit im Kopf und wusste, dass dies die einzig richtige Entscheidung war. Aber im Herzen war es doch noch lange nicht angekommen. Ich hatte in den letzten Jahren alles dafür getan, um in diesem Jahr, zu diesem Zeitpunkt, bereit zu sein und mich bereits im Vorjahr vielversprechend im World Ranking positionieren können. Die Olympischen Spiele – ein Fixpunkt im Leben eines Sportlers. Ich bin es gewohnt, hart für das zu arbeiten, was ich will. Ich setze mir ein Ziel und tue alles dafür, um dieses zu erreichen. Nicht immer klappt es, aber ich weiß, dass ich alles in meiner Macht stehende getan habe, um meine Träume wahr werden zu lassen.

In der aktuellen Situation ist es anders. Die Coronavirus-Pandemie lässt sich nicht wegarbeiten. Alles was ich tun kann, ist zuhause bleiben.

Und jetzt?

Während sich so viel in meinem Training geändert hat, ist mein Tagesablauf ziemlich gleich geblieben und gibt mir in dieser außerordentlichen Zeit eine gewisse Normalität. Ich kann meiner Arbeit, dem Leistungssport, weiter nachgehen, vermisse aber natürlich auch die Gesellschaft beim Training, abends zusammen essen zu gehen, meine Familie und Freunde zu treffen. Das Laufen aber bleibt meine Konstante im Alltag.

Auch mein Leben um den Sport herum muss ich neu sortieren, umplanen. Ich befinde mich im Masterstudium, bald sollte das vierte Semester beginnen. Der Semesterstart wurde erst einmal für alle auf Ende April verschoben. Nun werde ich die frei gewordene Zeit nutzen und in diesem Jahr mehr Kurse belegen. Meine für 2021 geplante Masterarbeit werde ich angesichts des neuen Olympiatermins weiter nach hinten hinausschieben. Und es bleiben noch viele offene Fragen. Es war schwierig, die Finanzierung für dieses Jahr zu sichern. Wie es nun weitergeht, ist noch unklar. Die finanzielle Unterstützung durch Sponsoren ist aktuell ungewiss.

Und jetzt?

Ich trainiere weiter. Weil ich vielleicht in diesem Jahr noch die Möglichkeit haben werde Wettkämpfe zu laufen. Für die Deutschen Meisterschaften wird aktuell ein neuer Termin in der zweiten Sommerhälfte gesucht, und auch die Europameisterschaften in Paris Ende August sind noch nicht abgesagt. Weil ich jetzt nicht aufhören kann, wenn ich im nächsten Jahr meine Chance auf Olympia ergreifen möchte. Im Leistungssport kann sich niemand eine monatelange Trainingspause erlauben.

Ich bin bei meinem letzten Lauf angekommen. Es hat mittlerweile aufgehört zu regnen und die Sonne blitzt wieder hervor. Genau wie die dunklen Wolken, wird auch die aktuelle Situation vorüberziehen. Ich habe keine Kontrolle darüber, wie die Welt am 24. Juli aussehen wird, dem ursprünglich angedachten Termin der Eröffnungszeremonie in Tokio. Aber ich habe die Kontrolle über meine innere positive Einstellung. Denn ich weiß, ich werde wieder vom Waldtraining zurück auf die Tartanbahn kommen und im Startblock sitzen. Und wenn ich den ersten Startschuss höre, werde ich bereit sein.

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