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Ariane Friedrich: „Die Erinnerung ist kaputt“

Verspätete Medaillen. Seit der bestätigten Sperre von Hochspringerin Anna Chicherova weiß auch die deutsche Rekordhalterin Ariane Friedrich wie es sich anfühlt, aufgrund von Dopingvergehen anderer nachträglich in den Ergebnislisten nach oben zu klettern. Von Olympia-Platz-Sieben auf Platz vier. Von WM-Bronze zu Silber: Ein Gespräch über den Wert verspäteter Medaillen, zwiespältige Gefühle und was ihr hilft, trotzdem mit der Situation Frieden zu schließen.
Alexandra Dersch

Ariane Friedrich, nach der nun offiziellen Sperre der Russin Anna Chicherova, der bei Nachtests der Olympischen Spiele 2008 Doping nachgewiesen werden konnte und die demnach auch bei der WM 2009 nicht hätte starten dürfen, sind Sie seit letzter Woche nun offiziell Vize-Weltmeisterin. Können Sie sich da heute, neun Jahre später, noch drüber freuen?

Ariane Friedrich:

Im ersten Moment, ja, tatsächlich. Vize-Weltmeisterin, das Schwarz auf Weiß zu lesen, das hat schon was. Aber das war in der Tat nur ein winzig kleiner Moment. Seitdem ärgere ich mich tierisch.

Worüber am meisten? Weil Sie sich betrogen fühlen von dopenden Athleten?

Ariane Friedrich:

Weil sie mir meinen Moment kaputt gemacht haben. Meine Erinnerung an den einen, den ganz besonderen Wettkampf. Natürlich, ich hatte viele schöne Wettkämpfe, keine Frage. Aber Berlin? Das war für mich „der Wettkampf“. Weltmeisterschaft im eigenen Land. Ich vorne mit dabei. Es war gigantisch. Und immer etwas, an das ich mit ganz viel positivem Gefühl zurück gedacht habe. Und jetzt bekommt diese Erinnerung einen negativen Beigeschmack. Weil es ja eigentlich ganz anders war, als es damals schien. Und das nehme ich ihr wirklich übel.

Wie war Ihr Verhältnis zu Anna Chicherova damals?

Ariane Friedrich:

Ich habe sie respektiert. Sie war immer professionell, wir haben uns die Hand geschüttelt, aber zusammengekommen, das sind wir nie, schon gar nicht auf einer freundschaftlichen Ebene. Im Nachhinein kann man ja immer sagen, wir haben es geahnt. Das bringt ja aber nun mal auch nichts.

Was diesen Fall ja auch noch besonders macht: Wir sprechen hier ja strenggenommen nicht von einer einzelnen dopenden Athletin, sondern laut der aktuellen Recherchen von Staatsdoping.

Ariane Friedrich:

Genau das beschäftigt mich momentan sehr. Ich habe dazu ganz zwiespältige Gefühle. Wissen wir, inwieweit es den Athleten bewusst war, dass sie gedopt haben? Hätten sie sich widersetzen können? Wissen wir, was den Sportlern von klein auf erzählt wurde, was sie als ihre Wahrheit mit Blick auf die gesamte Welt des Sports betrachtet haben? Welche Lebensumstände können grundsätzlich zu Doping führen? Und hat mich in diesem Fall nicht das System betrogen? Es ist eine ganz schwierige Situation und ich bin noch dabei, meine Gedanken zu ordnen. Ich bin eine absolute Verfechterin des Anti-Doping-Kampfs. Wir haben das Glück, dass wir in Deutschland in der Luxusposition sind, dass wir nicht dopen müssen, um unsere Familie ernähren zu können. Dass es in anderen Nationen vielleicht anders aussieht, das vergessen wir schnell. All‘ diese Gedanken machen mir persönlich die Verarbeitung nur nicht leichter.

Neben den Erinnerungen ist Ihnen aber ja auch finanziell geschadet worden. Denken wir nur an Preisgelder, Prämien und Meeting-Startgelder, die sich natürlich auch an Medaillen orientieren. Haben Sie schon eine Idee, ob und was Sie diesbezüglich unternehmen könnten?

Ariane Friedrich:

Da habe ich noch gar keinen Überblick. Das wird sicher sehr schwierig, da überhaupt noch etwas zu bekommen. Für die Zukunft wäre etwas wie eine Versicherung für alle sauberen Athleten eine Möglichkeit, um diese Problematik zu lösen, denn ich bin ja nicht die erste und sicher nicht die letzte Athletin, die durch dopende Konkurrenten betrogen wurde. Eine Art Dopingopfer-Entschädigungsfond wäre da eine Überlegung wert. Ein Fond, in den alle Verbände für ihre Athleten einzahlen. Und aus denen dann die Athleten entschädigt werden könnten, die durch dopende Athleten geschädigt wurden.

Tröstet es ein bisschen, dass Sie, anders als die damals viertplatzierte Italienerin Antonietta Di Martino, die Siegerehrung aktiv miterleben konnten?

Ariane Friedrich:

Auf jeden Fall, alles andere wäre noch schlimmer, das mag ich mir nicht ausmalen. Antonietta Di Martino hat mich auch schon angeschrieben, gratuliert und nach der Bronzemedaille gefragt, die ja nun ihr gehört. Und es ist ja auch ein großer Trost, dass diese Dopingfälle nun überhaupt ans Licht kommen. Dafür möchte ich auch ehrlich Danke sagen. Den Journalisten, den sauber arbeitenden Dopinglaboren, den Kontrolleuren, dem Verband. Ihre ehrliche Arbeit sorgt für Gerechtigkeit. Das macht mir Hoffnung für die Zukunft. Denn ich wünsche keinem Athleten, der jetzt im Sommer bei der EM in Berlin startet, dass er so betrogen wird.

Betrogen ja auch um ein Stück gesellschaftliche Anerkennung, die mit neun Jahren Verspätung natürlich eine andere ist als direkt im Anschluss. Merken Sie auch in Ihrem Umfeld, dass das Thema Doping den Blick auf den Sport verändert hat, oder welche Reaktionen haben Sie auf die neusten Meldungen bekommen?

Ariane Friedrich:

Nach der Veröffentlichung zur Silbermedaille von Berlin habe ich durchweg positive Reaktionen bekommen. Viele konnten sich noch an meinen Wettkampf erinnern, viele haben mir liebe Nachrichten geschrieben, dass ich sie zur Leichtathletik gebracht hätte, dass ich sie inspiriert hätte. Das berührt mich sehr. Aber die breite Masse, die interessiert sich dafür heute natürlich nicht mehr. Das kann ich auch total verstehen. Das Schlimme an diesen Doping-Meldungen ist ja, dass die meisten Menschen daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass es ohne Doping nicht geht. Dass Olympia nur noch dopingverseucht ist. Ich habe Angst, dass unsere Sportart an Faszination einbüßt, weil Doping so ein großes Problem ist. Eine Teufelsspirale. Wir kommen da nur durch sauberen Sport wieder heraus.

Sehen Sie deshalb in dieser Silbermedaille auch einen kleinen Appell für alle sauberen Athleten?

Ariane Friedrich:

Ich möchte diese Medaille nutzen, um allen sauberen Athleten Mut zu machen. Ich weiß, dass man zwei Meter und höher sauber springen kann. Oder in anderen Disziplinen vergleichsweise Top-Leistungen bringen kann. Es ist hart, keine Frage, aber bitte: Lasst euch nicht entmutigen von Doping-Meldungen. Sauber und Weltklasse! Das geht!

Kann es in Ihrem Fall denn so etwas wie eine Genugtuung geben?

Ariane Friedrich:

Eine Genugtuung im Hinblick auf die Medaille wäre es, wenn ich meine Silbermedaille in einem würdigen Rahmen, in einem großen Stadion bekommen würde. Bitte nicht per Post! Im Sommer findet doch eine Europameisterschaft in Berlin statt. Das würde den Kreis für mich schließen. Aber wissen Sie, welche Erkenntnis mir aktuell hilft?

Verraten Sie es mir.

Ariane Friedrich:

Dass ich Kinder und Jugendliche inspiriert habe. Dass sie wegen mir den Weg in die Leichtathletik gefunden haben. Ich finde: Wenn dir das gelingt, dann hast du es geschafft als Sportler. Und das ist doch mehr wert als die Farbe der Medaille.

Mehr:

<link news:61675>Berlin 2009: Ariane Friedrich nachträglich Vize-Weltmeisterin

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