| Interview

Ines Geipel: "Für die Opfer wird es schlimmer"

Ines Geipel gehörte in den 80er-Jahren zu den besten DDR-Sprinterinnen, erzielte mit der Vereinsstaffel des SC Motor Jena den noch heute gültigen deutschen Rekord für Vereine über 4x100 Meter. Vor fast zehn Jahren ließ sie ihren Namen wegen des Staatsdopings in der DDR aus den Rekordlisten des DLV streichen. Schon vorher begann sie für die Dopingopfer zu kämpfen, die 25 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer beim nahenden Jubiläum keinerlei Anlass zur Freude empfinden. Im Interview prangert die 54-Jährige den Umgang von Sport und Politik mit den Geschädigten an.
Ewald Walker

Ines Geipel, wie ist die Situation der Dopingopfer 25 Jahre nach der Wende?

Ines Geipel:

Die Situation ist katastrophal. Die Todesliste ist mittlerweile lang, die Situation der Geschädigten wird permanent und drastisch schlechter.  Das Innenministerium, das Justizministerium und der organisierte Sport müssen endlich handeln. Bislang haben sich 700 Doping-Opfer in unserer Beratungsstelle in Berlin gemeldet. Der Anteil der West-Athleten ist dabei marginal. Das liegt daran, dass Doping im Westen im Gegensatz zum Staatsdoping in der DDR individualisiert war. Das Tabu, sich bei uns zu melden, ist entsprechend hoch.

Welche Gründe gibt es für die Situation?

Ines Geipel:

Vor allem politische. Der deutsche Sport nach 1990 war ganz scharf auf das Know-how des Ostens. Es ging um die sogenannten Vereinigungseffekte, denn auch die neue Bilanz sollte wieder stimmen. Was störte – die schweren Hypotheken und die Schäden – blieb außen vor. In Sachen Doping haben sich Mentalitäten, Strukturen und Affinitäten von Ost und West in aller Ruhe vereinigen können. Dopingopfer? Die standen doch eh auf der Verliererseite.

Können Sie die gesundheitliche Situation der Doping-Opfer etwas konkreter beschreiben?

Ines Geipel:

Es gibt ganz typische Krankheitsmuster, je nach Substanz. Steroide bedeuten neben Hormonveränderungen auch höhere Trainingsbelastungen und damit auch extremen Verschleiß der Körper. Der Rücken ist kaputt, der Skelettapparat, und es gibt oft Arthrosen in den Gelenken. Die Organe sind krank: das Herz, die Nieren, Leber, Lungen, Magen. Häufig sind auch Erkrankungen des Kreislaufs und des Stoffwechsels, da geht es um Venenverschlüsse oder gestörte Lymphsysteme. Auffällig ist auch die hohe Zahl der psychischen Erkrankungen, die Psychosen, Depressionen, Bulimie, Suizidversuche. Bei Athletinnen gibt es häufig gynäkologische Erkrankungen: entfernte Eierstöcke, Fehlgeburten, Missbildungen in der zweiten Generation. Auffällig hoch ist auch die Zahl der Tumor- und Krebserkrankungen. 

Welche Ziele verfolgen Sie als Vorsitzende des Doping-Opfer-Hilfevereins?

Ines Geipel:

Wir fordern eine andere Haltung zum Sport und eine Struktur, die unsere Talente maximal schützen kann. Als Grundlage für diese Forderung haben wir jetzt Hunderte Fälle systematisch zusammengetragen. Die Entschädigung, die es 2002 nach dem Doping-Opfer-Hilfe-Gesetz gegeben hat, war wichtig, aber einmalig. 9.000 Euro für einen völlig kaputten Körper – das reicht beileibe nicht aus. Wir kämpfen nach wie vor um eine politische Rente für die DDR-Opfer, weil es die Anerkennung staatlicher Willkür bedeuten würde. Bitter, dass sie sich vor den Sozialgerichten heute noch immer anhören müssen: Was Staatsdoping? So was hat es doch gar nicht gegeben.

Hören Ihre Aktivitäten bei den vor 1990 zum Opfer gewordenen Athleten auf?

Ines Geipel:

Nein. Wir sind dabei, einen Hilfsfonds für Akutfälle aufzubauen, in den vor allem der Sport investieren müsste. Und wir arbeiten am Aufbau einer tragfähigen Nachsorgestruktur. In letzter Zeit melden sich immer häufiger Athleten, die nach 1990 aktiv waren und heute in Not sind. Es geht schon lange nicht mehr um Vergangenheit allein, sondern immer stärker um das Jetzt.

<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift

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