| Hallen-DM Leipzig

Über Mannheim nach Eugene und München: HSV-Sprintduo startet durch

Im Männersprint regierte bei der Hallen-DM in Leipzig der Hamburger SV: Mit je einmal Gold und Bronze glänzten Lucas Ansah-Peprah und Owen Ansah. Sie sind Ende 2021 ihrem Trainer, dem früheren Weitsprung-Europameister Sebastian Bayer, an den Bundesstützpunkt nach Mannheim gefolgt. Von dort aus nehmen sie die Herausforderung an, sich auf dem Weg zu WM und EM in der deutschen Spitze zu beweisen. Ihr Sprinterherz schlägt jedoch nach wie vor für die Hansestadt.
Svenja Sapper

Hamburger Glücksmomente in der Leipziger Quarterback Immobilien Arena: Bei den Deutschen Hallenmeisterschaften erklommen am vergangenen Wochenende zwei Sprinter des Hamburger SV den Sprint-Thron. Zuerst flog am Samstagabend Lucas Ansah-Peprah auf den letzten Metern des 60-Meter-Finales am Deutschen Rekordler Kevin Kranz (Sprintteam Wetzlar) vorbei und sank, überwältigt von Titel und Bestzeit (6,58 sec), auf der blauen Laufbahn zu Boden.

Einen Tag später stürmte sein Vereins- und Trainingskollege Owen Ansah, über 60 Meter mit Bronze dekoriert, über 200 Meter in 20,55 Sekunden auf Rang vier der ewigen deutschen Hallen-Bestenliste und zu Gold. Ansah-Peprah belegte in 21,11 Sekunden Platz drei – eine fast nahtlose Fortsetzung des Aufstiegs in die deutsche Sprintspitze, der für die beiden Freunde im vergangenen Jahr begonnen hat. Bei den Deutschen Meisterschaften 2021 in Braunschweig hatte sich Owen Ansah (21) bereits im Freien die 200-Meter-Krone geholt, Ansah-Peprah (22) gewann Silber über 100 Meter.

Beide waren zwar mit Medaillenambitionen nach Leipzig gereist. Damit, dass sie sich an diesem Wochenende je einmal Gold und Bronze um den Hals hängen durften, hätte im Vorfeld jedoch keiner der Beiden gerechnet. „Ich wusste zwar, dass ich über 200 Meter unter den ersten Drei bin, aber dass es Gold wird, hätte ich nicht gedacht“, meint Owen Ansah. „Ich hatte auf eine 20er-Zeit hintrainiert. Dass es 20,55 Sekunden geworden sind, ist auf jeden Fall top.“

„Ein bisschen wie auf einer Welle“

Auch der Trainer der beiden Sprinter war von den pfeilschnellen Zeiten seiner Schützlinge überrascht. Sebastian Bayer, bis vor wenigen Jahren als Weitspringer aktiv und mit mehreren EM-Titeln sowie einem Hallen-Europarekord erfolgreich, erläutert: „Etwa mit einer 20,70er-Zeit habe ich bei Owen schon gerechnet. Dass dann alles zusammenkommt, war ein bisschen wie auf einer Welle. Sie haben den Rückenwind von den 60 Metern genutzt.“

Gerade über 60 Meter, sagt Bayer, hätten beide Athleten ihn enorm überrascht. „Da lag ich bei beiden zwei oder drei Hundertstel in meiner Prognose falsch. Ich habe bei Lucas gesagt, es könnte eine niedrige 60er-Zeit werden, 6,61 oder 6,62 Sekunden. Er ist dann eine 6,58 gerannt. Er weiß auch, dass er über sich hinausgewachsen ist. Dass er dazu in der Lage ist, hat er wieder mal bewiesen.“

Neue Stärken

Mit 21,11 Sekunden im Finale war Ansah-Peprah nach der schnelleren Vorlaufzeit (20,97 sec) nicht hundertprozentig zufrieden. Sebastian Bayer hingegen schätzt Ansah-Peprahs Leistung über die längere Sprintstrecke „ähnlich stark ein wie die von Owen“. „Ich glaube, dass das eine der schnellsten Zeiten ist, die jemals in Deutschland auf Bahn drei gerannt wurden“, meint er.

Ebenfalls bemerkenswert für den Trainer: Owen Ansahs neue Stärke am Start. In allen vier Läufen, die der 21-Jährige mit Vorläufen und Finals bestritt, erzielte er die schnellste Reaktionszeit. „Owen hat mir gesagt, irgendwie hat er das Gefühl, dass er am Wochenende verstanden hat, was ich die ganze Zeit von ihm wollte“, erklärt der Bundestrainer über 100 Meter Hürden, der das schnelle Duo Ende 2019 unter seine Fittiche nahm.

Denn eigentlich ist Lucas Ansah-Peprah der stärkere Starter der „Hamburger Jungs“. „Lucas hat einen sehr starken Fuß, den Owen so nicht hat“, sagt Sebastian Bayer. „Owen ist ein bisschen größer, hat längere Hebel, das hindert ihn ein bisschen am Start.“ Für den Trainer, aber auch für die Athleten, spielen gerade diese Unterschiede eine nicht zu unterschätzende Rolle für den Erfolg. „Ich kann von jedem Tempolauf mit Owen zusammen profitieren“, sagt Lucas Ansah-Peprah.

Perfekte Balance zwischen Freundschaft und Konkurrenz

„Unser Erfolgsrezept ist, dass ich versuche, ihn zu pushen und er mich. Er ärgert mich manchmal am Start, ich versuche dafür hinten raus, gegenzuhalten. Wir gönnen uns die Erfolge gegenseitig.“ Entscheidend ist jedoch auch, dass vor jedem gemeinsam bestrittenen Lauf für ein paar Minuten die Freundschaft ruht. „Eine halbe Stunde vor dem Finale haben wir uns viel Glück gewünscht und dann war jeder für sich“, berichtete Lucas Ansah-Peprah in Leipzig. Ihre inhaltlich ähnlichen Aufwärmprogramme absolvierte jeder für sich, Sebastian Bayer betreute seine Athleten abwechselnd.

„Sie ähneln sich in ihrer Zielsetzung, in ihren Vorstellungen, was sie erreichen wollen“, beschreibt der Trainer seine Schützlinge. „Sie unterscheiden sich wiederum darin, wie sie es erreichen wollen. Beide sagen: Bei 150 Meter-Tempoläufen fühlen sie sich gleichberechtigt behandelt. Ab 150 Meter plus ist das dann Owens Disziplin. Und alles unter 150 Meter ist Lucas‘ Disziplin. Es ist ein sehr angenehmes Arbeiten mit den Beiden.“

Das empfinden auch die Sprinter so. Der gemeinsame Trainer ist nämlich der Grund dafür, dass die beiden Sprint-Talente im vergangenen Herbst Hamburg den Rücken kehrten und ins rund 500 Kilometer entfernte Mannheim übersiedelten. Seit 2021 hat Sebastian Bayer die Position als DLV-Bundestrainer für den Hürdensprint der Frauen inne und nun am Bundesstützpunkt auch die Wirkungsstätte seines Vorgängers Rüdiger Harksen, der sich in den Ruhestand verabschiedete, übernommen.

Hamburg im Herzen und auf der Brust

Für die Sprint-Talente stand außer Frage, dass beide ihrem Coach nach Baden-Württemberg folgen. „Ich hatte gar keine Zweifel“, sagt Lucas Ansah-Peprah. „Ich habe auch mit meiner Familie und meinen Freunden darüber gesprochen und hatte deren volle Unterstützung. Wenn wir unsere Familien und Hamburg zu sehr vermissen, können wir auch ein Wochenende mal hoch in den Norden fahren.“

Die Verbundenheit der zwei Hamburger zu der Stadt, in der sie mit der Leichtathletik begannen und ihre ersten Schritte in die deutsche Spitze machten, ist groß. Beide haben ihre Verträge beim HSV bis 2024 verlängert – wenngleich Baden-Württemberg für Lucas Ansah-Peprah kein gänzlich neues Terrain ist: Der 22-Jährige ist in Stuttgart geboren. „Der Bezug zu Stuttgart ist immer noch da“, meint er. „Die meisten aus meiner Familie wohnen noch dort.“ Für einen Besuch bei seiner Stuttgarter Verwandtschaft sei bislang keine Zeit gewesen, aber: „Das habe ich auf jeden Fall vor.“

Ein vertrautes Umfeld haben sich beide auch in Mannheim geschaffen: Ihre Freundinnen haben Lucas Ansah-Peprah und Owen Ansah an den neuen Wohnort begleitet. „Da unternimmt man etwas miteinander, geht in schöne Cafés oder in Parks“, sagt Owen Ansah. Und auch die enge Bindung zu Trainer Sebastian Bayer hat sich nun noch einmal verstärkt, der 35-Jährige ist zu einer Vaterfigur für seine Schützlinge geworden.

„Vollstes Vertrauen“ zum Trainer

„Wenn wir Probleme haben, können wir immer zu Basti kommen. Das hat zu 100 Prozent für den Umzug nach Mannheim gesprochen“, meint Ansah-Peprah. Owen Ansah ergänzt: „Wir haben vollstes Vertrauen.“ Und auch Bayer möchte nicht nur Trainingsinhalte vermitteln, sondern eigene leichtathletische Erfahrungen weitergeben: „In ihnen erkenne ich mich schon in gewisser Weise wieder. Ich versuche das, was ich an positiven sowie negativen Dingen erfahren habe, an die Jungs weiterzugeben, sodass sie aus meinen Fehlern lernen.“

In der neuen Stadt haben sie sich gut eingelebt. Was ihr Lieblingsort in Mannheim ist, daran besteht jedoch für keinen der Beiden auch nur der geringste Zweifel: „Die Halle!“, sagen beide übereinstimmend. Dort absolvieren die Youngster ihre Trainingsprogramme. Der neue Standort hat den Vorteil, dass die Wege kürzer sind. So findet etwa die Physiotherapie direkt auf der Anlage oder gleich ums Eck statt. In Hamburg musste das Trainer-Athleten-Gespann längere Wege auf sich nehmen.

Wann immer es möglich ist, trainieren Lucas Ansah-Peprah und Owen Ansah gemeinsam mit der Deutschen Meisterin über 100 Meter Hürden Ricarda Lobe (MTG Mannheim), deren Betreuung Sebastian Bayer übernommen hat. „Sie ist die Erfahrene, ist strukturierter und organisierter“, meint der Coach. „Die Jungs sind ‚jung und wild‘ – davon kann auch Ricarda lernen, indem sie die Komfortzone ab und zu verlässt.“

Über Mannheim nach Eugene und München

Sowohl die Trainingsstätte Mannheim als auch die Hallen-DM in Leipzig sollen jedoch nur Zwischenstationen auf dem Weg zu den Weltmeisterschaften in Eugene (USA; 15. bis 24. Juli) und der EM in München (15. bis 21. August) gewesen sein. Auf die Hallen-WM in Belgrad (Serbien; 18. bis 20. März) verzichtet das Duo trotz erfüllter 60-Meter-Normen.

Für einen Einzelstart in München sind 10,16 Sekunden über die 100-Meter-Strecke gefordert. „Das ist auf jeden Fall drin“, erklärt Lucas Ansah-Peprah. Auf die WM-Norm (10,05 sec) macht er sich noch keine Hoffnungen und möchte stattdessen über das World Ranking ins Starterfeld rutschen.

Seine Bestzeit steht bei 10,20 Sekunden, im vergangenen Sommer zauberte er bei zu viel Windunterstützung in La Chaux-de-Fonds (Schweiz) 9,98 Sekunden auf die Bahn – die schnellste Zeit, die ein deutscher Sprinter je erreichte. Ein tolles Erlebnis für den 22-Jährigen. „Das spornt mich noch mehr an, das auch mit gültigem Wind zu laufen. Diesen Weg will ich gehen und früher oder später auch mit gültigem Wind unter 10 bleiben. Wann? Da lasse ich mich überraschen.“

Bescheiden bleiben

Owen Ansah hat mit 20,35 Sekunden in La Chaux-de-Fonds die geforderte EM-Norm (20,43 sec) bereits unterboten. Für den WM-Richtwert müsste in 20,24 Sekunden ein neuer Hausrekord her. „Für die 200 Meter in Eugene muss ich mich strecken. Ich denke schon, dass es möglich sein könnte, wenn ich einen Wettkampf erwische, bei dem ich mich richtig gut fühle. Dann könnte ich mir vorstellen, dass ich die Norm knacke“, ist der 21-Jährige optimistisch.

Im vergangenen Sommer waren beide bereits als Teil der 4x100-Meter-Staffel bei den Olympischen Spielen in Tokio (Japan) dabei. Owen Ansah kam nicht zum Einsatz, sein Trainingskollege hingegen brachte die Staffel auf Platz sechs ins Ziel. „Das war eine große Verantwortung“, blickt er auf dieses Erlebnis zurück. „Gefühlt erhält der Schlussläufer die meiste Aufmerksamkeit.“ Die Schlussposition: eine ehrenvolle Aufgabe, wobei ihm die Staffelkollegen vermittelt hätten, „dass alles entspannt ist und ich Spaß haben soll. Es ist immer noch nur ein Sport und man sollte mögliche Fehler nicht persönlich nehmen.“

Nach dem Rücktritt des Deutschen 100-Meter-Rekordlers Julian Reus, der nun beim Deutschen Leichtathletik-Verband als Leistungssport-Referent tätig ist, werden in diesem Sommer die Karten neu gemischt. Beide Athleten nehmen die Chance an, sich im Kampf um Einzel- und Staffelplätze zu beweisen. Dennoch bleiben sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Als die Gejagten im deutschen Sprint sehen sie sich trotz der in Leipzig gewonnenen Titel nicht. „Es kann so viel passieren in einem Sprintrennen“, ist sich das Duo einig. „Alles ist möglich.“

Im Video: Lucas Ansah-Peprah überrascht als 60-Meter-Sieger
Im Video: 20,55 Sekunden: Owen Ansah holt sich auch den Hallentitel

Hallen-DM 2022 Leipzig

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