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Tim Holzapfel – Überraschungssieger möchte weiter durchstarten

Ein Jahr mit vielen Leichtathletik-Höhepunkten neigt sich seinem Ende entgegen. Auf nationaler Ebene waren die Deutschen Meisterschaften in Berlin das Highlight des Sommers, bei denen acht Athletinnen und Athleten erstmals in ihrer Karriere ganz oben standen. Wir stellen sie vor. Heute: 800-Meter-Läufer Tim Holzapfel (Unterländer LG).
Jan-Henner Reitze

Tim Holzapfel
Unterländer LG

Bestleistung:
800 Meter: 1:49,09 min (2022)

Erfolge:
Deutscher Meister 2022

Für keinen der Sieger der Deutschen Meisterschaften von Berlin kam der Titel so überraschend wie für Tim Holzapfel. Für den 800-Meter-Läufer war es der erste Start bei einer nationalen Meisterschaft in der Männerklasse überhaupt. Der 25-Jährige trainiert erst seit zwei Jahren gezielt für die Mittelstrecke und hatte sich für 2022 eigentlich ausgerechnet, auf Landesebene um Medaillen mitzulaufen. Seine Teilnahme an der EM in München hatte er sich gemeinsam mit seiner Pliezhäuser Trainingsgruppe frühzeitig klar gemacht – als Volunteer. Unerwartet lief es sportlich sehr viel besser.

Trotz schwieriger Vorbereitung wegen Corona und Trainingsausfall im Winter explodierte die Leistungsfähigkeit. Im taktischen DM-Finale im Berliner Olympiastadion hatte der Athlet der Unterländer LG den schnellsten Endspurt. Mit neuer Bestzeit (1:49,25 min) ließ er etwa den international erfahrenen und mehrfachen nationalen Titelträger Marc Reuther (Eintracht Frankfurt; 1:49,67 min) hinter sich. Dieser startete zwei Monate später vor den Augen des Volunteers Tim Holzapfel in München im EM-Vorlauf. „Da haben die Füße ordentlich gekribbelt“, erinnert sich der Aufsteiger an den Moment auf der Tribüne. „Ich hätte so gern auch auf der Bahn gestanden. Das nächste Mal möchte ich das schaffen.“

Um noch konkurrenzfähiger zu werden, soll der Sport im Alltag zur ersten Priorität werden, was er bisher nicht war. Der Zeitpunkt ist günstig, das Studium gerade abgeschlossen. Die Suche nach einem Teilzeit-Job läuft, der sich mit dem Training vereinbaren lässt. Trainer Thomas Jeggle hat den Plan dazu. Hinzukommen wird etwa eine spezialisierte Betreuung im Sprint- und Krafttraining. Die Motivation ist riesig, die sportlichen Grenzen komplett auszutesten.

Früher Beginn, aber ohne Gedanken an Karriere im Leistungssport

Zu Hause ist Tim Holzapfel in der Leichtathletik schon seit frühester Kindheit. „Meine Familie ist in der Leichtathletik aktiv. Schon als Neugeborener bin ich bei 10-Kilometer-Straßenläufen im Kinderwagen mitgeschoben worden.“ In seiner Heimat Heilbronn besuchte der heutige Mittelstreckler schon seitdem er laufen konnte das Kindertraining beim TV Flein. Bis heute besteht eine enge Verbindung zu seinem Verein und Abteilungsleiter Hannes Eberenz, dessen Stellvertreter Tim Holzapfel inzwischen sogar ist. Ein langjähriger Unterstützer dort war auch der im Februar verstorbene Gustav Jenne.

Im Alter von 13 Jahren wurde die Begeisterung für die Leichtathletik allerdings kurz unterbrochen, als das Training etwas spezieller werden sollte. „Ich hatte noch einen sehr kindlichen Körper und zum Beispiel Krafttraining war mir viel zu anstrengend. Da habe ich aufgehört und drei Jahre lang Tischtennis gespielt“, erinnert sich der 800-Meter-Spezialist. Unzufriedenheit mit einem Cooper-Test brachte ihn zurück zum Training auf der Kunststoffbahn.

„In der Oberstufe habe ich Sport als Leistungskurs gewählt und war mir sicher, in der Leichtathletik werde ich ordentlich punkten. Beim Cooper-Test habe ich dann aber nur eine 2- geschafft und deshalb wieder mit dem Training begonnen.“ Bei einem Mannschaftswettkampf entdeckte der damals 17-Jährige kurz darauf die 800 Meter für sich, auf denen er sich bis zum Saisonende auf 2:01,54 Minuten steigerte. Das Training übernahmen Martina und Harald Ehlke. Tempoläufe gehörten zwar auch mal dazu, das Training war aber vor allem auf Sprint- und Sprungdisziplinen ausgerichtet.

Dennoch gelangen auch auf den 800 Metern Steigerungen und etwa 2016 die Qualifikation für die Jugend-DM und eine Bestzeit von 1:56,28 Minuten. Auch nach dem Schulabschluss während des Bachelor-Studiums im Fach Erneuerbare Energien an der Hochschule Rottenburg blieb die Leichtathletik Hobby Nummer eins, ohne aber daran zu denken, dass mal mehr daraus werden könnte. Ein Highlight war die Teilnahme an der U23-DM 2018 in Heilbronn, ein Heimspiel. Das Jahr brachte außerdem die Steigerung auf 1:53,78 Minuten.

Neuer Studien- und Trainingsstandort, neue Leistungsdimensionen

Nach dem Bachelor-Abschluss und dem Entschluss, in Reutlingen den Master in Digital Industrial Management and Engineering zu absolvieren, bot sich ein Wechsel in die Mittelstrecken-Gruppe von Thomas Jeggle in Pliezhausen an. Zumal beim TV Flein, der überregional als Teil der Unterländer LG an den Start geht, keine gleichaltrigen Trainingspartner mehr verblieben waren. Erstmals in einer Läufergruppe gezielt für die 800 Meter zu trainieren, insbesondere mit gesteigerten Umfängen im Winter, brachte neue Motivation und einen Leistungsschub: 1:50,49 Minuten als neue PB und Titel bei den baden-württembergischen Landesmeisterschaften stehen aus dem Jahr 2021 zu Buche.

Alles andere als planmäßig verlief im Anschluss die Vorbereitung auf das Jahr 2022. Während eines Auslandssemesters im Winter in Südafrika waren mit Uni, Trainingspartner vor Ort und besserem Wetter als in Deutschland zwar alle Voraussetzungen geschaffen, im Dezember kam aber eine Corona-Infektion inklusive Sportverbot bis Februar dazwischen. Erst ab März nach der Rückkehr nach Deutschland konnte es wieder losgehen. Aber dann lief es richtig gut. Mit der Steigerung auf 1:49,95 Minuten gelang Ende Mai in Weinheim die Qualifikation für die Deutschen Meisterschaften in Berlin.

„Im Vorfeld der DM hat Tim sensationelle Einheiten abgeliefert. In meinen 45 Jahren als Trainer hatte ich noch nie einen Athleten, der so gut auf Trainingsreize anspricht. Dazu kommt, dass er sich in Berlin extrem gut auf seine Rennen fokussieren konnte“, erzählt Trainer Thomas Jeggle. „Ein echter Glücksfall.“ Dass es zum Titel reicht, sprengte aber nicht nur die Vorstellungskraft von Fans und Kennern der Szene, sondern auch von Tim Holzapfel und seinem Trainer.

Nach dem überraschenden Triumph unterbrach eine erneute Corona-Infektion wieder den Trainingsfluss. Geplante Starts im B-Lauf des Diamond League-Meetings in Lausanne (Schweiz) und bei den #TrueAthletes Classics in Leverkusen Ende August waren nicht möglich, weil Tim Holzapfel von seinem EM-Volunteer-Einsatz eine Erkältung mitbrachte. Doch noch ein versöhnlicher Saisonabschluss waren schließlich die Bestzeit (1:49,09 min) und der Sieg bei der BTC Track Night in Berlin Anfang September.

Später Einstieg in den Leistungssport, Traum von Start im DLV-Trikot

Die Erlebnisse des Sommers und der kurz bevorstehende Masterabschluss, für den nur noch die Verteidigung der Masterarbeit fehlt, haben zu der Entscheidung geführt, die Weichen in Richtung Sport zu stellen. „Für mich ist das noch etwas ungewohnt, weil ich meine Ziele für diesen Sommer so weit übertroffen habe. Aber das motiviert mich auch unglaublich, das Training weiter zu intensivieren und mir neue Ziele zu stecken. Ich bekomme nach wie vor viel positives Feedback. Die Freude am Sport ist noch einmal sehr viel größer geworden,“ erzählt Tim Holzapfel. „Der Sport ist jetzt an Prio eins, bisher war es die Ausbildung.“

Erste Auswirkung ist der Verzicht auf eine ursprünglich angedachte weitere Reise nach Südafrika. Stattdessen soll bestenfalls eine halbe Stelle bei einem Unternehmen in der Region genug Zeit fürs Training und Regeneration ermöglichen. Trainer und Athlet sind sicher: Das Potential ist noch nicht ausgeschöpft.

„Den Traum einmal international zu starten, habe ich schon im Hinterkopf gehabt. Mit meinem Sieg bei den Deutschen Meisterschaften ist dieser Traum greifbarer geworden“, sagt Tim Holzapfel. „Ich möchte bei den Europameisterschaften 2024 in Rom mitlaufen. Und wenn es noch mehr wird, sehr gerne.“

Video: Tim Holzapfel sorgt für riesige Überraschung
Video-Interview: Tim Holzapfel: „Heute alle zu schlagen – keine Ahnung, wie das ging"

Das sagt Bundestrainer Georg Schmidt:

Der Name Tim Holzapfel ist mir auch vor der vergangenen Saison bekannt gewesen. Ich habe ihn in Ergebnislisten oder im Rahmen einer Landesmeisterschaft wahrgenommen. In diesem Sommer hat er dann erstmals bei Rennen mit nationalen Feldern wie in Pfungstadt oder Weinheim teilgenommen, aber auch noch keine riesen Rolle gespielt. Vor der DM hat sich dann angedeutet, dass einige Athleten gefehlt haben oder nicht in Topform waren. Das hat natürlich Möglichkeiten eröffnet.

Nach seinem Vorlauf hatte ich Tim Holzapfel für eine vordere Platzierung auf der Rechnung. Im Finale hat er sich dann super verkauft, eine gute Position im Rennen gefunden und konnte hinten raus kicken. Das war eine riesen Überraschung und eine tolle Leistung. Sein Potential hat zum Zeitpunkt der DM vermutlich höher gelegen. Denn das Finale wurde taktisch gelaufen. Sein Vermögen schätze ich etwa auf 1:47,50 Minuten.

Tim ist ein Quereinsteiger in den Leistungssport und schon 25 Jahre alt. Das ist ein Alter, in dem viele andere Athleten schon auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit sind. Aber andere Athleten wie etwa Benedikt Huber haben gezeigt, dass auch später noch Steigerungen bis hin zu einem Einsatz im Nationaltrikot möglich sind. Mit Thomas Jeggle hat Tim einen erfahrenen Trainer an seiner Seite. Um sich trainingsmethodisch auszutauschen, bin ich rund um die Uhr erreichbar. Und ich habe den beiden auch schon angeboten, dass Tim im Stützpunkttraining zum Beispiel für ein Wochenende mittrainieren kann.

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