| Neue Meisterin

Kira Wittmann – Willkommen im 14-Meter-Club

Zehn Athletinnen und Athleten, die noch nie einen Titel bei Deutschen Hallenmeisterschaften gewonnen haben, standen Ende Februar in Dortmund ganz oben auf dem nationalen Podium. Einige von ihnen sind schon länger Teil der DLV-Spitze, die meisten dagegen neue Gesichter. Wir stellen sie vor. Heute: Dreispringerin Kira Wittmann (LG Göttingen).
Jan-Henner Reitze

Kira Wittmann
LG Göttingen

Bestleistung
Dreisprung: 14,08 m (Halle; 2023)

Erfolge:
Siebte Hallen-EM 2023
Siebte U23-EM 2021
Vierte U20-EM 2019
Deutsche Hallen-Meisterin 2023

Die 14 Meter markieren im Dreisprung der Frauen die Schwelle zur internationalen Klasse. Überboten haben sie in der Geschichte der Disziplin bisher 13 DLV-Athletinnen. In den erlesenen Club hineingesprungen ist zuletzt Kira Wittmann mit ihrem Siegsprung auf 14,08 Meter bei der Hallen-DM in Dortmund. Noch jünger als die 22-Jährige waren bei ihrem ersten 14-Meter-Sprung in Deutschland bisher nur die Deutsche Rekordlerin Kristin Gierisch (TSV Bayer 04 Leverkusen) und die Deutsche U23-Rekordlerin Jenny Elbe (Dresdner SC 1898).

Sehr gut sind die Voraussetzungen, dass Kira Wittmann künftig in die Fußstapfen dieser beiden Athletinnen springen kann. In den vergangenen Jahren hat sie sich kontinuierlich und so gut wie ohne Verletzungsprobleme weiterentwickelt. Ermöglicht wurde das zum einen durch Schnelligkeit, Sprungkraft und Leidenschaft für den Sport, das alles bringt die angehende Polizeikommissarin mit.

Zum anderen hat Trainer Frank Reinhardt ihre Leistungsfähigkeit behutsam aufgebaut. Außerdem profitiert die Nachwuchsathletin davon, dass sie seit Jahren Einheiten gemeinsam mit der erfahrenen Neele Eckhardt-Noack absolviert. Dazu kommt mit Weitspringerin Merle Homeier (alle LG Göttingen) eine weitere starke Trainingspartnerin, die ebenfalls dabei ist, den Anschluss an die internationale Spitze herzustellen.

Von den Bundesjugendspielen zur Deutschen U18-Meisterin

Aufgewachsen ist Kira Wittmann in Badbergen zwischen Osnabrück und Bremen. Für die Leichtathletik begeisterte sie sich über die Bundesjugendspiele. Nachdem es dabei wieder mal gut gelaufen war, probierte die damals 12-Jährige das Training beim SV Quitt Ankum aus. „Eine Freundin von mir war dort im Verein und ich bin mitgegangen. Mir hat es gefallen und ich bin dabei geblieben“, erzählt die heutige Leistungssportlerin.

Zuerst ging es darum, spielerisch alle Disziplinen der Leichtathletik kennenzulernen. Unter Trainer Alois Harmeling zeigte sich dann schnell ihr Talent fürs Sprinten und Springen. „Ich war im Landeskader im Sprint.“ Im Jahr 2015 gehörte die junge Athletin über 100 Meter (12,34 sec) und im Weitsprung (5,51 m) zur erweiterten DLV-Spitze der Altersklasse W15.

Frank Reinhardt, damals noch in seiner Funktion als Landestrainer, sah in diesen Leistungen vielversprechende Zubringerwerte für den Dreisprung. Deshalb versuchte sich Kira Wittmann auch als 15-Jährige schon erstmals in ihrer heutigen Spezialdisziplin. Eine Weite von 11,21 Metern ohne viel Training bestätigte das Potenzial.

Im ersten U18-Jahr lag der Fokus noch auf dem Sprint. Bei ihrer ersten Jugend-DM 2016 in Mönchengladbach erreichte die damals 16-Jährige das Halbfinale über 100 Meter und das B-Finale über 200 Meter. Im Dreisprung reichten 11,39 Meter noch nicht für den Endkampf. Ein Jahr später rückten Hop, Step und Jump dann mehr in den Mittelpunkt. Die ersten 12-Meter-Sprünge bedeuteten den Anschluss an die DLV-Spitze in ihrer Altersklasse. Die Krönung dann bei der Jugend-DM 2017 in Ulm: Gold und Bestleistung (12,87 m). Obendrauf brachte die Steigerung auf 6,04 Meter auch noch Bronze im Weitsprung. „Zu diesem Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass es für mich in Richtung Leistungssport gehen kann.“

Weichen Richtung Polizeilaufbahn und Spitzensport

Mit der Bestätigung der Freiluft-Bestleistung, dem U20-Titel bei der Jugend-Hallen-DM und der Teilnahme am U20-Länderkampf in Nantes (Frankreich) begann das Jahr 2018 ebenso erfolgreich. Im Sommer schränkten dann Rückenbeschwerden die Belastbarkeit ein, das Wettkampfprogramm war im Vergleich zu den Vorjahren deutlich reduziert. Bei der Jugend-DM in Rostock brachten 12,25 Meter nur den fünften Rang. Gleichzeitig absolvierte Kira Wittmann in dem Jahr ihr Fachabitur und stellte die Weichen für ihre sportliche und berufliche Zukunft.

„Ich wollte schon immer gerne zur Polizei. Meine sportlichen Leistungen ermöglichten es mir, einen Platz in der Sportfördergruppe der Landespolizei Niedersachsen zu bekommen.“ Das bedeutete, dass die eigentlich dreijährige Studienzeit auf fünf Jahre gestreckt und die Athletinnen und Athleten für Trainingslager und Wettkämpfe freigestellt werden. Im September steht der Abschluss des dualen Studiums bevor.

Sportlich wechselte die Dreispringerin zu Frank Reinhardt, der nun auch als Heimtrainer die Betreuung komplett übernahm. Sie zog in eine Sportler-WG am Olympiastützpunkt in Hannover und startete ab 2019 für die LG Göttingen. „Die Trainingsbedingungen sind optimal, ich gehe fünf Minuten zu Fuß zu den Anlagen. Das Studium findet zu großen Teilen online statt, aber natürlich gehört es auch dazu, dass ich regelmäßig zur Polizei-Akademie nach Nienburg fahre.“

Erste internationale Meisterschaft

Die damals 18-Jährige hatte mit Neele Eckhardt-Noack in ihrer neuen Trainingsgruppe früh eine Orientierung, die vormachte, wie man es in die internationale Spitze im Dreisprung schafft. „Ich habe von Anfang an viel von Neele gelernt“, erzählt Kira Wittmann. Schritt für Schritt begann der Aufbau auch bei ihr. „Als ich zu Frank kam, hatte ich zum Beispiel noch kaum Krafttraining gemacht. Da hat er mich langsam rangeführt.“

Im Sommer 2019 zeigten sich deutliche Fortschritte. In ihrem abschließenden U20-Jahr übersprang Kira Wittmann erstmals die 13-Meter-Marke (PB: 13,20 m), qualifizierte sich für die U20-EM und belegte dabei in Boras (Schweden) Rang vier (13,17 m). Auf nationaler Ebene gewann sie Gold bei der Jugend-DM in der Altersklasse U20 in Ulm (12,97 m), Silber bei der U23-DM in Wetzlar (12,90 m) und wurde Vierte bei der DM in Berlin bei den Frauen (13,19 m).

2020 zum Vergessen, 2022 bringt Leistungssprung

Nicht nur der Beginn der Corona-Pandemie, sondern auch wieder aufkommende Rückenbeschwerden machten 2020 zu einem schwierigen Jahr. Nachdem schon in der Hallensaison keine befreiten Sprünge möglich waren, verzichtete Kira Wittmann im anschließenden Sommer komplett auf Wettkämpfe und arbeitete stattdessen akribisch daran, ihren Bewegungsapparat zu stabilisieren. Mit einer Praktikumsphase nahm zu dieser Zeit auch das Studium bei der Polizei mehr Raum in Anspruch. Im Sommer 2021 ging es sportlich wieder aufwärts. Mit 13,35 Metern gelang wieder eine Bestleistung sowie die Qualifikation für die U23-EM in Tallinn (Estland), bei der 13,17 Meter Rang sieben einbrachten.

2022 folgte der Schritt in die nächste Leistungsklasse. Zu Beginn bewies die Steigerung der 60-Meter-Bestzeit auf 7,58 Sekunden, dass die kontinuierliche Trainingsarbeit auch noch einmal die Schnelligkeit verbessert hatte. Diese konnte die Athletin der LG Göttingen auch in Weite umsetzen und übertraf regelmäßig die Marke von 13,50 Metern. Nach 13,64 Metern in der Halle landete sie zum Beispiel als erneute DM-Vierte in Berlin bei 13,76 Metern, zum Ende ihrer Saison rückten mit 13,80 Metern in Ninove (Belgien) und 13,90 Metern beim Titelgewinn bei der U23-DM in Wattenscheid sogar die 14 Meter in greifbare Nähe.

14 Meter bestätigen und Ranking-Punkte für WM-Quali sammeln

Eine verletzungsfreie Vorbereitung ließ die Entwicklung auch zur zurückliegenden Hallensaison fortschreiten. Mit 7,53 Sekunden gingen von der 60-Meter-Bestzeit die nächsten Hundertstel ab. Und bei der Hallen-DM in Dortmund gelang mit 14,08 Metern der erste Flug über die Schwellenmarke zur internationalen Spitze. Mit 13,96 Metern in der Qualifikation der Hallen-EM in Istanbul (Türkei) bewies Kira Wittmann, dass sie ihr Niveau auch beim ersten Start in der A-Nationalmannschaft voll ausschöpfen kann.

„Erster 14-Meter-Sprung, erster DM-Titel und erste Hallen-EM: Das war ganz schön viel auf einmal“, blickt die Siebtplatzierte des Finals von Istanbul (13,79 m) auf die vergangenen Wochen zurück. Nach kurzer Verschnaufpause läuft im Trainingslager in Monte Gordo (Portugal) schon die Vorbereitung auf die Freiluftsaison, in der die 14 wieder vor dem Komma stehen soll. Auch die Qualifikation für die WM in Budapest (Ungarn; 19. bis 27. August) über das World-Ranking ist im Hinterkopf und wird bei der Auswahl der Wettkämpfe eine Rolle spielen. „Die direkte Qualifikationsweite von 14,52 Metern ist noch entfernt.“

Wie schon vor der Hallensaison bildet weiterhin die Arbeit am Anlauf einen Schwerpunkt im Training. „Das ist noch Luft nach oben. Auch im Finale in Istanbul habe ich am Brett viel verschenkt. Wenn ich den letzten Schritt vor dem Brett kurz setzen kann, wird der Sprung meistens gut. Wenn ich den letzten Schritt dagegen ziehe, sind das keine guten Voraussetzungen oder ich breche den Sprung sogar ab.“ Das soll im Sommer möglichst selten passieren.

Video-Interview: Kira Wittmann: "Ich wusste, dass ich das drauf habe"
Video: Erster 14-Meter-Süprung beschert Kira Wittmann den Dreisprung-Titel

Das sagt Bundestrainer Charles Friedek:

Kira hat bereits 2022 ihre Bestleistung aus dem Vorjahr von 13,35 Meter auf 13,90 Meter steigern können. Allein diese Steigerung war schon sehr beeindruckend. Mit dem Gewinn der Hallen-DM, dem Übertreffen der 14-Meter-Marke und dem siebten Platz bei der Hallen-EM darf man wohl von einer traumhaften Entwicklung sprechen. Kira trainiert gemeinsam mit Neele Eckhardt-Noack und Weitspringerin Merle Homeier in einer sehr starken Trainingsgruppe unter der fachkundigen Leitung von Frank Reinhardt, hier trifft eine sehr talentierte Athletin auf ein optimales Umfeld.

Kira zeichnete sich von Beginn an durch ihre enorme Anlaufgeschwindigkeit aus. Mittlerweile erreicht sie auch im Weltmaßstab Höchstwerte für eine Dreispringerin. Anfangs noch etwas zu sehr vorderfüßig springend, hat sich der Fußaufsatz deutlich verbessert, was dazu führt, dass der Step etwas länger ausgetragen werden kann. Fußaufsatz respektive Hop-Step-Übergang gilt es auch in Zukunft weiter zu optimieren, um mehr Flugdauer bei hoher Geschwindigkeit zu erreichen.

Kira wird voraussichtlich in der Sommersaison in der Lage sein, sich im 14-Meter-Bereich zu stabilisieren. Eine Weite um die 14,25 Meter läge jetzt schon im Bereich des Möglichen, wenn technisch alles zusammenkommt. Kira hat die besten Chancen, sich für die WM in Budapest zu qualifizieren. Sie konnte bei der Hallen-EM wertvolle internationale Erfahrung sammeln und hat mit der Siegweite bei der Hallen-DM bereits die notwendige DLV-Leistungsbestätigungsnorm von 14,05 Metern erreicht, die vom 1. Januar bis zum 30. Juli erbracht werden muss, um sich über das Ranking zu qualifizieren. In der gegenwärtigen nationalen Konkurrenzsituation wird es neben Neele Eckhardt-Noack (WA-WM-Normerfüllerin) drei bis vier weitere Springerinnen geben, die sich über das Ranking qualifizieren können, allerdings müssen diese erstmal die 14,05 Meter abhaken.

Kira kann liefern, wenn es drauf ankommt. Sie kämpft bis zum Schluss und gibt sich nicht im Wettkampf auf. Während der Hallen-EM in Istanbul wirkte sie von außen sehr unbeeindruckt von stärkeren Gegnerinnen und agierte sehr selbstsicher und routiniert. Unter der Führung von Frank Reinhardt ist Kira in allen Teilaspekten des Leistungssports professionell geworden und das zahlt sich aus.

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