| Historie

Vor 80 Jahren: Todestag von Rekordläufer Rudolf Harbig

© Theo Kiefner
Heute vor 80 Jahren, am 5. März 1944, fiel Rudolf Harbig im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront. Der Dresdner ist bis heute der einzige Läufer, der zeitgleich die Weltrekorde über 400, 800 und 1.000 Meter innehatte. Eine Erinnerung an einen der größten Mittelstreckenläufer aller Zeiten.
mbn

Heute vor 80 Jahren starb einer der größten deutschen Leichtathleten aller Zeiten: Rudolf Harbig. Der Dresdner ist bis heute der einzige Leichtathlet der Geschichte, der zeitgleich die Weltrekorde über 400 Meter, 800 Meter und 1.000 Meter innehatte. Den letzten seiner drei Weltrekorde erzielte der gelernte Stellmacher 15 Tage nach seiner Hochzeit mit seiner Frau Gerda am 24. Mai 1941 in seiner Heimatstadt mit 2:21,5 Minuten über 1.000 Meter. In einer Zeit voller Leid und Entbehrungen.

Denn schon mehr als anderthalb Jahre tobte damals der von Nazi-Deutschland entfachte Zweite Weltkrieg in Europa. Ein Krieg, der Millionen Opfer fordern sollte. Eines von ihnen: Rudolf Harbig. Am 5. März 1944 wurde der Ausnahmeläufer an der Ostfront in der Nähe von Olchowecz (Ukraine) nach schweren Gefechten von seiner Fallschirmjägerdivision als vermisst gemeldet. Wahrscheinlich fiel er am selben Tag.
Sein Name steht im Gedenkbuch der deutschen Kriegsgräberstätte in Kiew. Er wurde nur 30 Jahre alt.

Grab bis heute nicht gefunden

Die plötzliche Einberufung während eines Ländervergleichs mit Belgien traf den Läufer vollkommen überraschend. „Gestern noch bin ich gegen die Belgier gelaufen, am vorigen Sonntag war ich mit den Engländern zusammen, und nun auf einmal… Warum das alles?“, beschreibt Gerda Harbig in „Unvergessener Rudolf Harbig“ die Reaktion ihres Mannes.

Rudolf Harbigs Grab ist bis heute nicht gefunden worden. Zu seinem 100. Geburtstag bestätigte die Kriegsgräberfürsorge: „Unsere Mitarbeiter haben bisher keine Grablage entdeckt. Es ist fast unmöglich, diese Gräber zu finden, sofern die überhaupt noch zugänglich sind.“ Nur 35 Monate nach der Hochzeit hatte Gerda Harbig ihren Mann verloren. Ihr einziges Kind Ulrike war noch kein Jahr alt. Seinen letzten Wettkampf bestritt der Dresdner an seinem 29. Geburtstag am 8. November 1942 bei einem Hallensportfest in Magdeburg und siegte über 1.000 Meter. Danach wurde ihm kein Sonderurlaub für Wettkämpfe oder Training mehr genehmigt.

Tochter Ulrike Harbig sah ihren Vater nur einmal

„Als ich aufgewachsen bin, hat die ganze Welt meinen Vater gekannt. Nur ich nicht. Nach meiner Geburt kam er einmal auf Fronturlaub nach Hause. Ich war ein Baby. Auf mich lastete später ein großer Druck. Ich sollte so werden wie er. Ein großer, fairer Sportler. Aber ich war leider nur durchschnittlich“, erinnert sich Ulrike Harbig im Buch „Rudolf Harbig – Der Wunderläufer aus Dresden“ von Erhard Mallek.

Entdeckt wurde Rudolf Harbig 1934 beim „Tag des unbekannten Sportmannes“ vom damaligen Reichstrainer Woldemar Gerschler. Zwar siegte er bei einem der Regional-Wettkämpfe in Dresden, doch lief er die 800 Meter lediglich in 2:04 Minuten. Eine unbedeutende Leistung, denn bei den Wettkämpfen sollten Talente für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin entdeckt werden. Für die kam der Dresdner zu diesem Zeitpunkt ohne Frage nicht infrage. Aber Woldemar Gerschler erkannte das Potenzial Rudolf Harbigs. Der 24. Juni 1934 sollte zum Wendepunkt in seinem Leben werden. Woldemar Gerschler nahm ihn unter seine Fittiche und formte ihn zum Weltrekordläufer.

Die große Stärke Rudolf Harbigs war schon zu Beginn seiner Karriere der knallharte Endspurt. Die Grundschnelligkeit baute Woldemar Gerschler weiter aus und setzte im Training außerdem auf intensive Intervalleinheiten. Rudolf Harbigs Bestzeiten von 10,6 Sekunden über 100 Meter und 21,5 Sekunden über 200 Meter sind noch heute überragende Zubringerleistungen von Klasse-Mittelstreckenläufern.

Vom Vorlauf-Aus zu Olympia-Bronze

Selbst Rückschläge verkraftete er: So schied Rudolf Harbig bei seinen ersten Deutschen Meisterschaften 1934 in Nürnberg mit 2:05,6 Minuten als Sechster im 800-Meter-Vorlauf chancenlos aus. Trotzdem gelang ihm schon zwei Jahre später die Olympia-Qualifikation mit seinem ersten Sieg bei Deutschen Meisterschaften in 1:54,1 Minuten.

Nach seinem freiwilligen Ausscheiden aus der Reichswehr im Sommer 1935 konnte sich der 1,74 Meter große und 62 Kilogramm schwere Läufer voll aufs Training konzentrieren. Zwar überstand er in Berlin geschwächt von einer Magen-Darm-Grippe den 800-Meter-Vorlauf (1:56,8 min) nicht, sicherte aber der deutschen 4x400-Meter-Staffel wenige Tage später als Schlussläufer die olympische Bronzemedaille.

1937 lief Rudolf Harbig zu seinen ersten deutschen Rekorden, 1938 wurde er in Paris Doppel-Europameister über 800 und 4x400 Meter. Das „Rennen der Rennen“ folgte 1939. Am 15. Juli auf der 500-Meter-Bahn (damals noch rekordkonform) der Arena Civica in Mailand. Mit dabei: Rudolf Harbigs größter Konkurrent Mario Lanzi. Der Italiener startete für einen Mailänder Klub und wollte nach Olympia-Silber 1936 seine Karriere mit einem Weltrekord vor heimischem Publikum krönen. Nach 300 Metern lag er schon 2,1 Sekunden vor Rudolf Harbig, doch der schloss bis 700 Meter (1:33,2 min) auf und nahm seinem Konkurrenten auf den letzten 100 Metern noch 2,4 Sekunden ab, wie die Zwischenzeiten von anwesenden Trainern und Journalisten belegten.

1:46,6 Minuten: „Ihre Uhr ist defekt.“

Mit 1:46,6 Minuten stellte Rudolf Harbig einen Fabel-Weltrekord auf. Die Bestmarke des Briten Sydney Wooderson steigerte er gleich um unglaubliche 1,8 Sekunden, was vorher und nachher keinem anderen 800-Meter-Läufer gelang. Der Rekord hatte bis August 1955 mehr als 16 Jahre lang Bestand. Als Woldemar Gerschler seinem Schützling die Stoppuhr vor die Augen hielt, entgegnete dieser: „Ihre Uhr ist defekt.“

Doch schon bald kam die Bestätigung. Mario Lanzi musste sich als Zweiter mit dem neuen italienischen Rekord von 1:49,0 Minuten trösten. In den Trainingsaufzeichnungen von Rudolf Harbig findet sich zwei Tage vor dem Rekordrennen folgendes Programm: 600 Meter in 87 Sekunden, 10 Minuten Pause, 300 Meter in 36,9 Sekunden, 10 Minuten Pause, 500 Meter in 66,7 Sekunden.

Exakt vier Wochen später sollte es in Frankfurt zur großen Revanche kommen. Mario Lanzi forderte Rudolf Harbig über 400 Meter. Elf Buchstaben genügten auf den Plakaten an den Litfaßsäulen, um für das Sportfest zum 40-jährigen Bestehen der „Eintracht“ zu werben: „Harbig kommt“ war überall in der Mainmetropole zu lesen. 15.000 Zuschauer ließen es sich nicht nehmen, die beiden Top-Läufer am 12. August auf der 500-Meter-Bahn im Waldstadion zu bewundern.

46,0 Sekunden: Zweiter Weltrekord in einem Monat

Wie in Mailand diktierte Mario Lanzi zu Beginn das Tempo, erst bei 300 Metern lagen beide in etwa 33,5 Sekunden fast gleichauf. Wieder spielte Rudolf Harbig seine Endschnelligkeit aus und zog um 1,2 Sekunden davon. Mit 46,0 Sekunden verbesserte er den Weltrekord von Olympiasieger Archie Williams (USA) um eine Zehntelsekunde.

19 Tage später beginnt mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Sport wurde zur Nebensache. Rudolf Harbigs 1.000-Meter-Weltrekord im Mai 1941 sticht als außergewöhnliche Leistung in den entbehrungsreichen Kriegsjahren hervor. 15 der 60 Männer aus der deutschen Leichtathletik-Olympiamannschaft von 1936 – darunter Rudolf Harbig, 4x400-Meter-Startläufer Helmut Hamann und der Weitsprung-Zweite Luz Long – kehrten von den schrecklichen Schlachtfeldern Europas nicht zurück.

In Gedenken an den Ausnahmeathleten verleiht der Deutsche Leichtathletik-Verband seit 1950 den Rudolf-Harbig-Gedächtnispreis an einen „würdigen und verdienten Leichtathleten, der in Haltung und Leistung als Vorbild für die Jugend gelten kann“. Erster Preisträger war der Stuttgarter Hindernisläufer Alfred Dompert, der 1936 in Berlin ebenfalls Olympia-Bronze gewann. Aktuelle Preisträgerin ist die ehemalige 100-Meter-Hürden-Europameisterin Cindy Roleder. Sie erhielt den Wanderpreis im Rahmen der Hallen-DM in Leipzig Mitte Februar. Fast 80 Jahre nach dem Tod Rudolf Harbigs.

Foto: Zu Ehren von Rudolf Harbig vergibt der Deutsche Leichtathletik-Verband den Rudolf-Harbig-Wanderpreis, den zuletzt Hürdensprinterin Cindy Roleder erhielt. 

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