Europameister Niklas Kaul geht in der kommenden Woche bei der EM in Rom (Italien) die Titelverteidigung an. Nach den "Gänsehaut"-Gefühlen von München soll wieder eine Zehnkampf-Medaille her. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur spricht der Student aus Mainz über seine Ziele, die deutsche Leichtathletik und ganz alltägliche Zehnkampf-Dinge.
Niklas Kaul, die EM in Rom steht für Sie kurz bevor, bis Olympia in Paris [Frankreich; 1. bis 11. August, Anm. d. Red.] ist es auch nicht mehr weit. Sie haben einmal das Versprechen abgegeben, dass Sie in Paris in besserer Form sein werden als bei ihrem WM-Titel 2019 in Doha. Wie sieht es damit aus?
Niklas Kaul:
Ich habe gesagt, ich probiere es zumindest – und es sieht gut aus. Aber die große Herausforderung ist gerade im Zehnkampf: Man muss es dann auch auf die Bahn bringen. Stand jetzt ist die körperliche Verfassung auch gemessen an den Trainingsleistungen auf jeden Fall deutlich besser als vor dem WM-Titel in Doha. Erstmals seit langer Zeit bin ich komplett krankheits- und verletzungsfrei durch den Winter gekommen. Das hat echt gutgetan.
Wie sehen Sie Ihre Chancen für Paris?
Niklas Kaul:
Ich hätte natürlich ganz gerne eine der drei Medaillen. Aber dafür muss ich meine Bestleistung liefern, sonst kann ich es knicken. Aber an Olympia denke ich noch nicht, weil erst einmal die EM ansteht. Das ist das erste große Ziel Richtung Paris. Der Stellenwert der Europameisterschaften ist für mich sehr hoch – nicht nur, weil ich als Titelverteidiger an den Start gehe.
Kommen kurz vor ihrem EM-Start auch Erinnerungen an die Titelkämpfe 2022 in München hoch, bei denen Sie sich frenetisch bejubelt von Zehntausenden zum Europameister gekürt haben?
Niklas Kaul:
Beim Gedanken an die EM in München bekomme ich Gänsehaut. Das war für mich der schönste Wettkampf, den ich bestreiten durfte. Das Stadion, das Konzept der European Championships, die Wettkämpfe im Olympiapark, die Stimmung – all das war wahnsinnig schön. Im Olympiapark habe ich die erste Leichtathletik-Großveranstaltung als Zuschauer erlebt und dann durfte ich viele Jahre später als Athlet dort einen Wettkampf bestreiten. Das ist einmalig.
Zehnkämpfer absolvieren nur wenige komplette Wettkämpfe pro Jahr. Ist es nicht manchmal hart, so viel zu trainieren und so wenige Wettkämpfe zu bestreiten?
Niklas Kaul:
Das ist schon nicht ganz so einfach. Man trainiert das ganze Jahr, um am Ende zwei oder drei Wettkämpfe zu absolvieren. Und selbst wenn man dabei in Topform ist, heißt das nicht, dass man die Bestleistung schafft. Wetter, Tagesform oder andere Umstände spielen am Tag X eine große Rolle. Aber auch das macht den Reiz des Zehnkampfs aus.
Ein anderer Reiz ist die Vielseitigkeit.
Niklas Kaul:
Ja, es macht einfach Spaß, im Training so viele verschiedene Disziplinen zu trainieren. Und wenn man verletzt ist, kann man durch die Vielseitigkeit immer irgendwas trainieren. Man setzt allerdings auch Schwerpunkte, bei denen man mitunter Rechenspiele anstellt, wie man mehr Punkte rausholen kann. Da nimmt man dann vielleicht in Kauf, dass man zum Beispiel im Kugelstoßen etwas weniger weit stößt, wenn man beim Diskuswerfen dafür umso mehr Punkte holt.
Nach dem abschließenden 1.500-Meter-Lauf liegen die Zehnkämpfer stets entkräftet am Boden: Sind Schmerzen die elfte Disziplin?
Niklas Kaul:
Nein, das Essen ist Disziplin elf und das Schlafen Disziplin zwölf. Zum Glück bin ich ein Typ, der schon immer gut schlafen konnte. Ich versuche den ersten Tag möglichst schnell aufzuarbeiten. Wenn ich dann ins Bett gehe, ist das abgeschlossen, und ich kann auch schlafen.
Und was ist mit Disziplin elf? Auf was muss man bei der Ernährung vor und während des Zehnkampfs achten?
Niklas Kaul:
Man braucht viele Kohlenhydrate und sollte vor dem Wettkampf möglichst viel frühstücken. Ich bin nicht so der Müsli-Typ und bevorzuge ein klassisches Frühstück mit Brot, Brötchen und Ei, nur eben sehr viel. Nach dem ersten Wettkampftag versuche ich, viele Nudeln, Kartoffeln oder Reis zu essen, dazu viel Gemüse und Fleisch. Menge, Menge, Menge – und möglichst schnell nach dem letzten Wettkampf des Tages. Wenn das Hotel weiter entfernt ist, fange ich schon im Bus an, zu essen.
Wie viele Sportsachen benötigt man eigentlich für einen Zehnkampf über zwei Tage?
Niklas Kaul:
Wenn das Wetter gut ist, benötige ich pro Tag zwei- bis drei Wettkampfoutfits: Das wären dann insgesamt so sechs Wettkampfhosen sechs T-Shirts, drei, vier Trikots, vier lange Hosen. Dazu hat man für die Pausen noch einen Trainingsanzug dabei, eine Decke. Wenn es kalt wird oder regnet, kommen mehr lange Hosen, Pullis und Jacken dazu. Und bei den Schuhen braucht man für jede Disziplin ein eigenes Paar.
In Ihrem Buch "Die Magie des Zehnkampfs" kann man lesen, dass Sie gerne kochen. Womit belohnen Sie sich?
Niklas Kaul:
Mein Lieblingsessen ist eigentlich recht langweilig. Es geht nichts über eine gute, selbstgemachte Pizza. Im Winter belohne ich mich gerne mit selbstgemachten Germknödeln. Und im Sommer nach einem Zehnkampf gibt's den klassischen Burger.
Im vergangenen Sommer konnten auch die Zehnkämpfer eine medaillenlose WM der deutschen Leichtathleten in Budapest nicht verhindern. Wo steht die deutsche Leichtathletik nach den Enttäuschungen im Jahr 2023 jetzt im EM- und Olympia-Jahr?
Niklas Kaul:
Wir brauchen uns nichts vormachen. Es ist nicht so, dass wir mit dem Ziel nach Paris reisen können, dass wir dort 15 Medaillen gewinnen. Aber ich denke, dass die Bilanz besser aussehen wird als nach der WM in Budapest. Zumal es nach vielen Ausfällen im Vorjahr diesmal weniger Verletzungen gibt. Aber alle Baustellen werden nach dieser Saison nicht schlagartig verschwunden sein. Ein Grundproblem bleibt, dass wir es nicht schaffen, mehr vielversprechende Talente nach der Schule in den Leistungssport zu bekommen. Das ist aber nicht nur ein Problem in der Leichtathletik, sondern im gesamten deutschen Sport.
Quelle: Deutsche Presse-Agentur (dpa)