Für Arne Gabius (LT Haspa Marathon Hamburg) endet ein Jahr auf der Überholspur mit der Auszeichnung als Deutschlands "Leichtathlet des Jahres" 2015. Im Interview lässt der Deutsche Marathonrekordler die Erfolge noch einmal Revue passieren, spricht über den "Running Blues" danach, sein privates Highlight und den Fahrplan für 2016. Außerdem erklärt er, warum er auch in Zukunft hohe Ziele offensiv angehen wird.
Herzlichen Glückwunsch Arne Gabius! Sie wurden 2015 zum ersten Mal zum „Leichtathleten des Jahres“ gewählt. Das Jahr fängt ja gut an. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?
Arne Gabius:
Ich freue mich natürlich sehr, es ist mir eine Ehre! Es zeigt mir auch, dass die Leistung, die ich in der vergangenen Saison erbracht habe, auch Anerkennung bei den Lesern und Fans findet! Im letzten Jahr war ich noch Zweiter, hinter Robert Harting, und jetzt konnte ich mich gegen ebenso große Konkurrenz durchsetzen. Ich bin absolut begeistert! Bei der Wahl zum "Sportler des Jahres" habe ich z.B. noch nicht einmal eine Einladung erhalten. Da war ich schon enttäuscht. Wenigstens eine Einladung wäre schön gewesen. Ich habe an dem Abend, als die Wahl im Fernsehen übertragen wurde, zu meiner Frau gesagt, es wäre toll, wenn ich die Wahl zum „Leichtathlet des Jahres“ gewinnen würde.
Lassen Sie uns kurz auf das vergangene Jahr zurückblicken. Der absolute Höhepunkt war sicherlich der Marathon in Frankfurt mit dem neuen deutschen Rekord. Zudem haben Sie, und das wird ja gerne vergessen, noch einen neuen deutschen Rekord über 5.000 Meter in der Halle aufgestellt. Als privater Höhepunkt wird sicherlich die Hochzeit mit Ihrer Frau gelten. Das Jahr 2015 wird nur schwer zu toppen sein, oder?
Arne Gabius:
Es hat im letzten Jahr sehr vieles gepasst. Das Jahr begann schon gut mit dem Rekord in der Halle, direkt nach dem Training in Kenia. Auch gesundheitlich lief es gut, denn es ist ja das Wichtigste, möglichst verletzungsfrei zu sein. Aber es geht natürlich immer ein bisschen mehr. Wir haben ein olympisches Jahr, auch die EM in Amsterdam, wo zum ersten Mal ein Halbmarathon stattfinden wird, steht an. Ich glaube, dass es immer noch einen Tick besser geht.
Wie lange hat es bei Ihnen gedauert, bis das letzte Jahr mit all seinen Höhepunkten tatsächlich im Kopf ankam? Wie schnell konnten Sie den Reset-Knopf finden und wie wichtig waren die Erholung und der Urlaub direkt im Anschluss?
Arne Gabius:
Frankfurt war ein harter Kampf! Ich habe meinem Körper einiges abverlangt während des Wettkampfes. Die muskulären Probleme und die damit verbundenen Schmerzen, das war nicht ohne. Es hat schon einige Zeit gedauert, mich davon zu erholen. Den Reset-Knopf habe ich auch in dem Urlaub danach nicht wirklich gefunden. Selbst als ich wieder zu Hause war, hatte ich keine Lust zu laufen. Der Schriftsteller und Läufer Haruki Murakami hat das mal als „Running Blues“ beschrieben. Trotz alledem war ich motiviert für die Olympia-Saison. Ich habe die Zeit genutzt und bin fünfmal die Woche zur Reha gegangen. Ein Muskel arbeitete bei mir nicht optimal, was sich auf einen Muskelfaserriss von vor drei Jahren zurückführen lässt. Daher wohl auch die Probleme in Frankfurt ...
Im vergangenen Jahr haben Sie auch den Abschied von der Bahn genommen. Dieser ist nach dem Entschluss auf die Straße zu wechseln wohl auch endgültig. Sind Sie dennoch ein bisschen wehmütig?
Arne Gabius:
Ja, schon! Ich habe die Bahn geliebt. Ich mag es 3.000, 5.000 und auch 10.000 Meter zu rennen, ich habe das 20 Jahre gemacht. Aber ich musste jetzt feststellen, dass Marathon eine ganz andere Welt ist. Das beginnt schon mit den Veranstaltungen. Auch die Wertschätzung des Publikums ist größer. Mit einer „13:12“ über 5.000 Meter können nur Wenige etwas anfangen, mit einer Marathon-Zeit können viel mehr Leute etwas anfangen! Ich fühle mich sehr wohl auf der Straße, habe nicht so den Druck wie auf der Bahn, wo ich dann jede Runde auf die Uhr gucken musste. Ich laufe befreiter auf der Straße!
Jetzt steht die neue Saison an. Welche Erwartungen und welche Ziele haben Sie für das kommende Jahr? Gibt es einen Masterplan für 2016?
Arne Gabius:
Ich plane einen Halbmarathon im März und möchte dann im April einen Marathon laufen. Im letzten Jahr habe ich ganz wehmütig die Frühjahrs-Marathons im Fernsehen verfolgt. Dieses Jahr will ich dabei sein. (lacht)
Und die Pläne für das weitere Jahr?
Arne Gabius:
In Amsterdam gibt es erstmals einen Halbmarathon im Rahmen einer EM. Eine tolle Sache, da wir auch ein Team von bis zu fünf Läufern - laut DLV-Vorgaben, die EAA ließe sogar sechs Läufer starten - nominieren können. Das ist dann rund sechs Wochen vor dem Rio-Marathon, also eine super Vorbereitung auf die Olympischen Spiele.
Haben Sie auch im Hinterkopf, ihre Marathonzeit erneut zu verbessern?
Arne Gabius:
Mein Berater Renato Canova meinte ja schon unmittelbar nach Frankfurt, dass ich eine Minute schneller laufen kann. Ich bin auch der Überzeugung. Denn wenn mein Problem in Frankfurt nicht aufgetreten wäre, wäre ich dort schon 30 bis 45 Sekunden schneller gewesen. Ich plane auch jetzt, schon im Frühjahr so schnell anzugehen wie in Frankfurt! Wenn ich eines gelernt habe im letzten Jahr, dann, dass ich selbst wenn ich Probleme bekomme den Biss habe durchzuhalten.
Mit den ganzen Erfolgen im letzten Jahr und der medialen Aufmerksamkeit vor allem aufgrund des Marathonrekordes stehen sicherlich einige Werbetermine mehr in ihrem Terminkalender. Hat sich am gewohnten Tagesablauf etwas geändert?
Arne Gabius:
Es hat sich tatsächlich wenig geändert. Im Vordergrund steht weiterhin das Training. Das ist mir auch wichtig. Momentan habe ich noch nicht so viele Werbetermine, was ich auch gut finde. Diese stehen jetzt noch an, auch einige Vorträge, und ich werde versuchen, jeden einzelnen davon zu genießen. Ich mag gerne den direkten Kontakt zu den Menschen. Ich habe auch sehr viele Nachrichten bekommen. Es haben so viele Leute während des Frankfurt-Marathons mitgefiebert und in Kenia werde ich hoffentlich dazu kommen, einen großen Teil der Nachrichten endlich zu beantworten.
Im Vorfeld des Rekordlaufes gab es natürlich auch Kritiker. Ganz nach dem Motto: „Ach, der Gabius soll erstmal bestätigen und die Ziele nicht immer so hoch hängen!“ Denen konnten Sie den Wind aus den Segeln nehmen. Fühlen Sie sich in ihrem Weg bestätigt?
Arne Gabius:
Wenn es schief geht, geht es schief! Das ist halt Sport. Man setzt sich Ziele, und diese möchte man erreichen. Ich habe während meiner Karriere so viele tolle Sportler sagen hören: „Ja mal schauen“ oder „Ich will einfach gucken, was am Saisonhöhepunkt so geht“. So was mag ich überhaupt nicht. Man investiert so viel in den Sport, vor allem Zeit und Leidenschaft, man hat sich für diesen Weg entschieden - gegen eine andere berufliche Laufbahn. Dann die Trauben niedrig zu hängen, finde ich nicht richtig! Deswegen bin ich da offen und sage: „Ich möchte gerne genau dieses bestimmte Ziel erreichen!“ Ich war ja auch relativ realistisch. Ich konnte das ganze letzte Jahr, auch weil ich verletzungsfrei war, auf einem hohen Niveau laufen, von daher stand es für mich außer Frage, den Rekord zu brechen. Ich versuche Zweifel nicht an mich heranzulassen und das, was ich sage, auch nach außen zu vertreten und zu liefern. Zweifler gibt es genug. Sie sind sogar Motivation, sich bewusst Ziele zu setzen.
Dann kehren wir doch noch einmal zum Thema Olympia zurück: Wie sehen da ihre Ziele konkret aus?
Arne Gabius:
Im Marathon kann so viel passieren. Es gab erst einen kenianischen Olympiasieger im Marathon und es ist aufgrund der Vorbereitung und der Streckenlänge alles möglich. Eine Vorhersage ist schwierig. Eine Top-Ten-Platzierung ist realistisch, weiter vorne zu landen ist auf jeden Fall möglich und wäre einfach fantastisch.
Werfen wir einen Blick auf den Nachwuchs. Sie plädieren ja zum Beispiel dafür, das möglichst viele Starter in Rio an den Start gehen. Wie sehen Sie die Entwicklung für Marathonläufer in Deutschland und was ist möglich?
Arne Gabius:
Ich glaube, dass der Marathon sehr nah am Zuschauer ist. Die Leute können die Leistung schon einordnen. Ich denke, wir können nicht alle Disziplinen und Sportarten miteinander vergleichen. Man kann keinen Hammer-, Diskus- oder Speerwurf mit dem Laufsport vergleichen. Das macht die IAAF ja auch nicht. Die IAAF hat die Norm extra niedrig gesetzt, um möglichst viele Leute am Start zu haben. Wir haben in Deutschland im Laufbereich momentan eine Aufbruchsstimmung. Niedrige Olympianormen könnten Motivation darstellen, auch im Hinblick auf die nächsten Spiele in Tokio, sodass die Qualifikations-Anforderungen nicht zu hoch sein sollten. Die Marathonveranstalter in Deutschland geben sich sehr viel Mühe und bieten tolle Veranstaltungen auf Weltklasseniveau. Das sollte honoriert werden. Der Zuschauer am Bildschirm möchte mitfiebern, er möchte in Rio je drei deutsche Männer und Frauen am Start stehen und sie kämpfen sehen. Das die IAAF die Norm erneut abgesenkt hat, ist ja eine Art Einladung. Ein Julian Flügel und Philip Flieger haben es beispielsweise verdient dabei zu sein! Und wer weiß, vielleicht empfiehlt sich im Frühjahr ein weiterer Läufer für die Spiele…
Mehr:
<link news:45271>Gesa Krause und Arne Gabius sind die "Leichtathleten des Jahres" 2015