Esther Cremer (TV Wattenscheid 01) hat in Hengelo auf der Stadionrunde mit 51,87 Sekunden die EM-Norm für Zürich (12. bis 17. August) geknackt. Bis auf 25 Hundertstel lief sie an ihre Bestzeit heran. Im Interview mit Leichtathletik spricht die 26-Jährige über Fortschritte auf den Unterdistanzen, neues Selbstvertrauen und internationale Ambitionen.
Esther Cremer, schon im zweiten Saisonrennen ist die EM-Norm abgehakt. Haben Sie damit gerechnet?
Esther Cremer:
Ich bin total erleichtert und kann nun entspannt weiter Renngestaltung und Technik optimieren. Denn mein Trainer Slawomir Filipowski hat noch Verbesserungsmöglichkeiten entdeckt. Aber ich habe mich auf jeden Fall total gut gefühlt. Es ging bis zum Ende noch, was bei mir nicht immer so ist.
Wo genau sehen Sie Potenzial?
Esther Cremer:
Ich bin sonst immer losgebrettert, kam meistens bis 300 Meter und dann war es zu Ende. Jetzt sollte ich in der ersten Kurve Druck machen und dann auf der Gegengeraden versuchen Kräfte zu sparen. Das habe ich aber anscheinend übertrieben und das Tempo zu deutlich rausgenommen und an Geschwindigkeit verloren. Besser wäre es, die Geschwindigkeit locker zu halten, ohne viel Kraft zu investieren. Das war in Hengelo der Hauptknackpunkt.
Sie wirkten im Ziel bei Weitem nicht so erschöpft wie früher. Sind Sie nicht an Ihre absolute Leistungsgrenze herangekommen?
Esther Cremer:
Das war auf keinen Fall das Ende der Fahnenstange. Früher habe ich vorn so übertrieben, dass ich hinten nicht mehr konnte und deshalb in unheimliche Laktathöhen geschossen bin. Wenn ich das Rennen nun besser einteile, ist das für den Körper ökonomischer. Ich war nach dem Rennen schon kaputt, aber nicht mehr völlig fertig. Mittlerweile kann ich die Anstrengung besser verkraften. Aber das liegt auch daran, dass ich besser austrainiert bin, mehr Kraft habe und die Belastung besser kompensieren kann.
Wann fällt Ihre Bestzeit?
Esther Cremer:
Wenn ich es hinkriege, das Rennen geschickter einzuteilen. Was drin ist, kann ich total schwer einschätzen. Ob ich in diesem Jahr allerdings unter 51 Sekunden komme, weiß ich nicht. Daran mag ich aber auch gar nicht denken, das sind Dimensionen, mit denen ich mich nicht auseinandersetze.
Wie bewerten Sie Ihre am 31. Mai in Weinheim gesprinteten 11,44 und 23,15 Sekunden über 100 und 200 Meter?
Esther Cremer:
Die Läufe waren super gut, über 100 Meter sogar Bestzeit, über 200 Meter das erste Mal seit 2010, dass ich unter 23,20 Sekunden gelaufen bin. Das spricht auch dafür, dass ich in diesem Jahr sehr gut drauf bin und in der Schnelligkeit Fortschritte gemacht habe. Das hat mir natürlich Selbstvertrauen gegeben. Mal gucken, ob ich noch schneller werden kann.
Sie waren 2009 bei der WM in Berlin mit der DLV-Staffel Fünfte, bei der EM 2010 Zweite und 2012 Fünfte. Wann kommt in Einzelrennen der internationale Durchbruch?
Esther Cremer:
Ich möchte in Zürich auf jeden Fall im Einzel ins Finale. Ich will endlich einmal eine internationale Meisterschaft haben, bei der ich punktgenau meine Leistung abrufen kann. Bisher habe ich mir oft selbst im Weg gestanden, sodass im Halbfinale Endstadion war. Es ist schon etwas ganz anderes, ob man in Deutschland läuft, die Konkurrenz kennt und weiß, ich kann da vorn weg laufen. Oft kannte ich die Situation gar nicht, dass ich losrenne und plötzlich schießt jemand an mir vorbei. Damit muss man umgehen können und stark genug sein, um sein Ding weiterzulaufen und hintenheraus zu sehen, wie man sich dann platziert. Um diese Erfahrungen zu sammeln, werde ich in dieser Saison überhaupt nur zwei Wettkämpfe in Deutschland bestreiten und die anderen im Ausland. Ich habe aber jetzt schon das Gefühl, dass ich cooler in diese Wettkämpfe reingehe und nicht zur Seite gucke, wer da sonst noch läuft.
Neben dem Sport studieren Sie. Wie läuft das Studium?
Esther Cremer:
Ich habe den Bachelor in Umwelttechnik gemacht und bin jetzt in den Masterstudiengang Maschinenbau gewechselt. Das ist anstrengend, aber ich kann das Studium strecken.
Warum sind Sie erst mit 16 Jahren zur Leichtathletik gekommen?
Esther Cremer:
Ich habe vorher gar keinen Leistungssport gemacht, war aber immer schon schnell im Schulsport. Beim Sprintcup der Kölner Schulen bin ich 30 Meter fliegend gelaufen. Mein erster Trainer Benno Eicker hat das damals organisiert, mich entdeckt und zum Probetraining eingeladen.
Im Februar haben Sie einen schweren familiären Schicksalsschlag hinnehmen müssen. Geht es Ihnen diesbezüglich inzwischen besser?
Esther Cremer:
Ich komme zurecht, möchte die Hintergründe aber nicht thematisieren. Die Auseinandersetzung damit hat mich stärker gemacht, ich weiß aber ehrlich gesagt nicht, ob das noch Auswirkungen auf meine Saison und meinen Sport hat. Denn verkraftet ist es nicht, da muss vielleicht mehr Zeit vergehen. Im Moment geht es mir gut und ich habe zurzeit nicht das Gefühl, dass mich das belastet. Ich habe eher das Gefühl, dass ich dadurch gereift bin.
Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift