King Kevin. Der Wetzlarer Kevin Kranz hat sich am vergangenen Wochenende bei den Deutschen Meisterschaften der U23 in Heilbronn das Sprintdouble über 100 und 200 Meter gesichert. Viel überraschender dabei: Als fünfter Deutscher konnte er über die kürzere Distanz die Norm von 10,25 Sekunden für die EM in Berlin knacken. Große Töne spuckt der bescheidene Newcomer dennoch nicht.
10,24 Sekunden. Die Anzeigetafel zeigte diese Zeit an, nachdem Kevin Kranz die Ziellinie auf der blauen Bahn des Heilbronner Frankenstadions überquert hatte. EM-Norm. Oder doch nicht, weil der Wind vielleicht zu stark war? Etwa eine halbe Minute musste der 19-Jährige zittern, dann herrschte Gewissheit. Kranz hat die Marke für die <link>EM in Berlin (6. bis 12. August) geknackt und damit für einen der Höhepunkte bei den Deutschen U23-Meisterschaften gesorgt. Am zweiten Tag blieb er über 200 Meter erstmals unter 21 Sekunden (20,89 sec) – bei perfektem Rückenwind (+2,0 m/sec).
Die Ergebnisse sind das Resultat einer kontinuierlichen Weiterentwicklung in dieser Saison. Schon in Weinheim zum Start in die Freiluft-Periode steigerte sich Kevin Kranz auf 10,44 Sekunden und war damit deutlich schneller als im vergangenen Jahr (10,57 sec). In Regensburg und Mannheim ging die Kurve des jungen Frankfurters im Trikot des Sprintteams Wetzlar weiter nach oben, bis auf 10,34 Sekunden.
Dabei hatte er mit maximal 0,5 Meter pro Sekunde nie die optimale Wind-Unterstützung. „In Heilbronn hatte ich endlich mal perfekte Bedingungen. Ich wusste, dass ich so eine Zeit unter 10,30 Sekunden rennen kann“, sagte er im Ziel. Dass gleich 10,24 Sekunden dabei heraussprangen, freute Kevin Kranz freilich. „Das war technisch schon ziemlich gut.“ Im Finale legte er bei Gegenwind 10,35 Sekunden nach, aber das war nebensächlich. „Hauptsache gewonnen, im dritten Lauf des Tages war ich etwas müde“, bilanzierte er. Damit war er seiner Favoritenrolle souverän gerecht geworden. Im fünften Rennen des Wochenendes setzte er sich auch über die doppelte Distanz durch.
David Corell: „Kevin war unentdecktes Talent“
Die Entwicklung des 1998 geborenen Sprinters ist dabei durchaus bemerkenswert. Vor drei Jahren taucht er erstmals in der hessischen Bestenliste auf, die 10,99 Sekunden lassen ihn am Ende des Jahres auf Rang drei in der U18 stehen. Es folgen Monate zum Vergessen, Verletzungen werfen ihn zurück. Nur drei Jahre, nachdem er beim Fußball entdeckt wurde und in die Leichtathletik wechselte, droht schon der Garaus.
Doch dann kam David Corell ins Spiel. Der erst 25-jährige Wiesbadener war seinerzeit noch im Studium und mit einer halben Stelle beim Hessischen Leichtathletik-Verband angestellt, mittlerweile arbeitet er dort als hauptamtlicher Leitender Landestrainer. „Ich habe ihn unter meine Fittiche genommen. Kevin war ein unentdecktes Talent, der schon von vielen Verletzungen gebeutelt wurde. Zum Glück haben wir gesprochen, denn er hatte die Hoffnung auf eine Sprintlaufbahn schon fast aufgegeben“, erzählt Corell, während sein Athlet am Samstagabend noch die Dopingkontrolle im Frankenstadion über sich ergehen lassen muss.
Dosiertes Training
Das Rezept von Corell: Das Training ist individuell ausgesteuert und optimal auf den Athleten abgestimmt. Es wird nicht „draufgekloppt“, wie der studierte Sportwissenschaftler sagt. Vier echte Einheiten in der Woche, dazu einmal nur Mobilisation und Stabilisation. „Kevin wird nie einer sein, der acht oder neun Einheiten abspult.“
Dass der junge Landestrainer auch damit gut fahren kann, zeigt sich an Michael Pohl. Der zurzeit Jahresschnellste sprintet aufgrund beruflicher Verpflichtungen nur sehr dosiert, ist aber mit 10,22 Sekunden ebenso ein Mann für Berlin. Pohl und Kranz trainieren teilweise gemeinsam, insbesondere bei Starteinheiten. Insgesamt ist die Corellsche Trainingsgruppe sehr stark. Fünf, sechs Athleten können nach Angaben ihres Trainers 10,50 Sekunden oder schneller laufen, dazu kommt mit Daniel Regenfuß (Jahrgang 2001) einer der talentiertesten Sprinter Hessens.
Sprintteam Wetzlar: Hessens Talente unter einem Dach
Dass sich im hessischen Sprint etwas tut, liegt nicht nur an Personen. Mit dem Sprintteam Wetzlar hat sich ein Verein zum Ziel gesetzt, auf den kurzen Distanzen mit Einzelkönnern und Kollektiven in Deutschland nach vorne zu kommen. Lisa Mayer ist zwar das (aktuell verletzte) Aushängeschild, aber im Männerbereich hat sich eine Handvoll pfeilschneller Athleten den Mittelhessen angeschlossen.
In ihrem Bundesland haben sie bereits die Vorherrschaft übernommen, fünf der schnellsten sieben Hessen tragen das Trikot der Wetzlarer. Deutschlandweit sorgen Michael Pohl und Kevin Kranz für Furore. Mit der Staffel waren außer dem LAC Erfurt noch zwei Staffeln schneller als die 40,39 sec der Wetzlarer. Das Konzept sieht also vor, starke Athleten an Hessen zu binden, sie aber in ihrem gewohnten Trainingsumfeld unter perfekter Betreuung trainieren zu lassen. Denn geübt wird im Sommer in der Frankfurter Hahnstraße, wo sich unter David Corells Regie die schnellsten Sprinter Hessens einfinden.
Locker unter Druck
Für Kevin Kranz bedeutet dies aktuell optimale Rahmenbedingungen für schnelle Zeiten. Sein im September vergangenen Jahres begonnenes duales Studium in der Sportfördergruppe der Polizei kann er von drei auf 4,5 Jahre strecken, die Wege sind für den in Frankfurt lebenden Kranz kurz, das Sprintteam Wetzlar sorgt für breite Unterstützung. „Ich habe bessere Materialien zur Verfügung als zuvor und kann mich voll auf das Training konzentrieren“, schwärmt Kevin Kranz, der vor seinem Wechsel nach Wetzlar bei der LG Eintracht Frankfurt seine Spikes schnürte.
Perfekte Rahmenbedingungen gehören freilich dazu. Aber der Athlet muss auch über Talent und den nötigen Willen verfügen. Ersteres zeigt die Vita von Kevin Kranz, der erst im Alter von 15 Jahren zur Leichtathletik wechselte und nun durchstartet. Zweites hebt sein Trainer David Corell hervor. „Vom Kopf her ist Kevin ein Tier. Was er abliefern kann, wenn es drauf ankommt, ist krass. So einen Athleten habe ich noch nicht kennengelernt, vielleicht noch Michael Pohl. Er hat so eine Lockerheit unter Druck, das ist Wahnsinn“, lobt der junge Coach.
Und wie ist nun die Perspektive für Berlin 2018? Kevin Kranz gibt sich hier wie auf der Laufbahn, entspannt und voller Vorfreude. „Ich hoffe auf eine Teilnahme, aber ich lasse mich überraschen“, sagt er. In Staffelmaßnahmen des DLV ist er schon eingebunden. Dass er für einen Einzelstart noch nachlegen muss, weiß er. Bislang haben bereits fünf Athleten die Norm über 100 Meter unterboten, darunter noch nicht der deutsche Rekordhalter Julian Reus. „In Nürnberg bei den Deutschen Meisterschaften kommt es zum Showdown“, freut sich Kevin Kranz auf die Titelkämpfe Ende Juli. Wenn er es dort schafft, im Kopf wieder „ein Tier“ zu sein, ist auch dort mit ihm zu rechnen.
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