Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Kugelstoßer im Senioren-Bereich: Andy Dittmar. Der 44-Jährige ist Kugelstoßer mit Leib und Seele. Seine Bilanz im Wettkampfjahr 2018 beeindruckend: erster WM-Freilufttitel bei den Senioren, 50. Landesmeistertitel bei den Aktiven und in elf von 13 Wettkämpfen stand im Ergebnis eine 18 vor dem Komma. Sein größter und stärkster Rückhalt: die Familie.
Andy Dittmar (BiG Basketball in Gotha) muss ein gutes Zeitmanagement haben, sonst brächte er Sport, Fulltime-Job und Familie nicht unter einen Hut. Dem nicht genug, bekleidet er seit Ende September das Amt des Vize-Präsidenten in seinem Heimatverein. "Ich bin seit 2008 im Verein, es haben sich ein paar Rahmenbedingungen verändert und ich will bei der Neuausrichtung mithelfen. Ich bin mitverantwortlich für die Sponsorenakquise. Mir macht die Arbeit unheimlich viel Spaß."
Bisher funktioniert alles. Und zwar so gut, dass selbst Fachleute ins Staunen kommen. "Ich trainiere zwei bis drei Mal die Woche. Meine Frau sagte mal, „solange du über 18 Meter stößt, darfst du weitermachen“. Und sie wundert sich, dass ich mit diesem geringen Aufwand für meinen Sport, trotzdem diese Leistung bringe. Solange die 18 fällt, ist es eine richtig gute Geschichte", meint Andy Dittmar, der seine Wunschmarke in diesem Jahr mehrfach geknackt hat.
Wohlfühl-Atmosphäre beflügelt: 18,80 Meter
Wie beim Kugel-Cup in Neustädt, als er mit einer Weite von 18,80 Meter beeindruckte. Vor allem sich selbst. "An diesem Tag hat einfach alles gepasst. Du kommst zum Wettkampf, das Wetter passt, die Athleten stehen im Mittelpunkt und du darfst auf einer traumhaften Anlage stoßen. So wünschen es sich die Athleten. Und diese Wohlfühl-Atmosphäre hat zu dieser Topweite beigetragen", erinnert sich Andy Dittmar an den sportlichen Familien-Ausflug an einem Samstagnachmittag. Da der Wettkampf nicht angemeldet war, konnte die Weite nicht in die Bestenlisten eingehen. Dort ist Andy Dittmar mit 18,39 Metern verzeichnet.
Keine Frage, dass er im kommenden Jahr wieder in Neustädt am Start sein wird. Das dürfte Initiator Heiko Wendorf (seit Juli stellvertretender DLV-Senioren-Athletensprecher) freuen. "Er möchte den Cup im Seniorenbereich etwas größer aufziehen. Die Altersklassen M40 und M45 in den Mittelpunkt rücken", verrät Andy Dittmar.
DM in Nürnberg ein „geiles Erlebnis“
Der Wettkampf in Neustädt ragt aus einer guten Wettkampfserie raus. Doch nicht immer klappte es mit der 18 vor dem Komma. Wie bei den Deutschen Meisterschaften der Aktiven in Nürnberg. Gestoßen wurde auf dem Hauptmarkt vor imposanter Kulisse. Statt mit seiner Weite (17,47 m) zu hadern, sah Andy Dittmar den Ausflug ins Fränkische durchaus positiv. Zählte er doch beim Sieg seines Kumpels David Storl (SC DHfK Leipzig; 21,26 m) zu den ersten Gratulanten. "Für mich war es ein geiles Erlebnis. Ich wollte alles mitnehmen und aufsaugen."
Dass es nicht mit seiner Wunschmarke klappte, erklärt er sich so: "Im Training mache ich meine 30 Stöße. Das war‘s. Wie man zwei bis drei Stunden vor dem Wettkampf seine Konzentration hochhält, das übe ich gar nicht mehr. Und das habe ich in Nürnberg gemerkt. Die Spannung war einfach raus."
Jubiläum im Heimring
Nicht so bei den Thüringer Landesmeisterschaften der Aktiven. Neben Ohrdruf und der alten Anlage im umgebauten Steigerwaldstadion (Erfurt) zählt der Ring in Gotha zu seinen drei Lieblingsstätten. Familie, Freunde, alle waren gekommen, um Andy Dittmar in seinem sportlichen "Wohnzimmer" anzufeuern. Mit einer Traumserie von vier Versuchen über die anvisierte Zielmarke und dem Sieg (18,30 m) veredelte er ein einmaliges Jubiläum. Mag es Zufall oder Schicksal gewesen sein, im heimischen Stadion machte er die 50 voll. "Das war ein richtig schöner Tag. Ich wollte den 50. Landesmeistertitel in einer Altersklasse in einer Disziplin unbedingt erreichen. Alles, was jetzt noch kommt, ist Zugabe."
Bei der Senioren-DM ist Andy Dittmar ebenfalls ein gern gesehener Gast. Zumal es in diesem Jahr nach Mönchengladbach ging, einem Ort mit dem er ganz besondere Erinnerungen verbindet. "1992 war ein Jahr, in dem ich vom Speer auf die Kugel umgestiegen bin. Die Norm für meine erste Jugend-DM habe ich um einen Zentimeter übertroffen." Im Wettkampf war dann Detlef Bock eine Klasse für sich. "Ich bin gnadenlos mit fünf Metern Rückstand zum Sieger abgeschmiert", kommentiert Andy Dittmar seine damalige Leistung als 17-Jähriger.
Nun kehrte er zurück und erkämpfte sich mit 18,07 Metern seinen 13. DM-Titel bei den Senioren. Als kleine Überraschung gehörte Fernseh-Journalist Jenke von Wilmsdorff zu den ersten Gratulanten. "Er begleitete einen anderen Seniorensportler und kam zufällig bei uns am Ring vorbei. Wir kamen nach dem Wettkampf noch ins Gespräch und haben ein Erinnerungsfoto gemacht."
Erster Freiluft-WM-Titel
Ein Foto vom jüngsten Sommercoup wird sicherlich auch auf dem Datenspeicher seines Handys zu finden sein. In seiner Altersklasse gehört Andy Dittmar zu den weltbesten Kugelstoßern im Seniorenbereich. Aber ein Titel fehlte bis dieses Jahr noch in seiner Sammlung, er wurde noch nie Freiluft-Weltmeister. Die Erklärung ist einfach – er hatte noch nicht an einer Masters-WM im Sommer teilgenommen.
Somit hieß das Motto für die Senioren-Weltmeisterschaften im spanische Málaga: "Go for Gold." Nur die Bedingungen waren nicht wirklich weltmeisterlich. "Der Ring befand sich auf einer Empore und wies bierdeckelgroße Krater auf. Für mich hat es sich wie Stoßen auf Glatteis angefühlt." Beim morgendlichen Frühwerk war der Gothaer hellwach und holte sich sein erstes Weltmeisterstück unter freiem Himmel mit 17,72 Metern.
Kugelstoßen als Suchtfaktor
Bei all diesen Erfolgen – irgendetwas fehlte 2018. Jahr für Jahr kamen die weltbesten Kugelstoßer zum Schlossmeeting nach Gotha. 2017 wurde noch groß das 20. Jubiläum gefeiert. Dann kam das Aus. "Mit dem 20. Meeting hatten wir einen schönen Abschluss. Inzwischen habe ich meinen Frieden damit gefunden. Natürlich kribbelt es, wenn ich mit dem Auto am Schlossgarten vorbeifahre und rüberschaue", gesteht Andy Dittmar, der eine Wiederaufnahme nicht ausschließt. "Wenn ein größerer Sponsor um die Ecke käme, ich wüsste sofort, wen ich anrufen würde, damit wir das Meeting wieder auf die Beine stellen könnten."
So bleiben vorerst nur die Erinnerungen. Ebenso wie an ein Jahr der Superlative. "Ich war selbst überrascht, wie gut es gelaufen ist." Und die Geschichte wird weiter fortgeschrieben. Ans Aufhören denkt der stärkste Kugelstoßer Thüringens nämlich noch lange nicht. "Ich brauche den Ausgleich zu meiner täglichen Arbeit. Ein Stück weit ist es auch ein Suchtfaktor. Ich bin sehr gern Kugelstoßer." Und solange die 18 vor dem Komma steht, möchte er keinen Gedanken daran verschwenden, aufzuhören.
Wechsel in die M45: Zwei deutsche Rekorde im Blick
Schließlich hält das Jahr 2019 für ihn neue Herausforderungen bereit. Wie den Übergang in die neue Altersklasse M45. International startet er bei den Hallen-Weltmeisterschaften im polnischen Torun (24. bis 30. März) noch in der M40. Angemeldet hat er sich bereits. Eine Teilnahme an der Freiluft-EM in der Provinz Venedig (Italien; 5. bis 15. September) lässt er sich noch offen.
National hat er in der M45 zwei Rekordweiten im Blick. Hallenrekordhalter ist Tilman Northoff (17,36 m; TuS Jöllenbeck) – Vater von U18-Weltmeister Timo Northoff. Unter freiem Himmel wird der deutsche Rekord von Klaus Liedtke (18,17 m; LG Olympia Dortmund) gehalten. "Im nächsten Jahr steht der Freiluft-Rekord 30 Jahre. Es sind beides anspruchsvolle Weiten. Dafür muss schon alles passen", sagt Andy Dittmar mit demütiger Stimme. Den Einstieg in die Hallensaison vollzieht er beim TLV-Hallenmeeting in Erfurt (12. Januar).
Über Weihnachten und Neujahr kann der Bereichsleiter im Marketing/Vertrieb einer großen Krankenversicherung etwas zur Ruhe kommen. "Für mich zählt dann die Familie, ausschlafen und die Zeit für ein gutes Buch", verrät der dreifache Familienvater von Emilie, Arved und Lenny. Wenn er zum Buch greift, dann meist zu Biografien wie die von Gregor Gysi oder Helmut Kohl. Tierfilmer Andreas Kieling aus Gotha begeistert ihn ebenso. Außerdem ist es eine Zeit, wo er trotzdem ans Kugelstoßen denkt – denn das ist Zeit, mal in Ruhe die Kugel fliegen zu lassen. Letztlich ist er durch und durch mit Leib und Seele Kugelstoßer.