| Interview

Rico Freimuth: "Der Ehrgeiz ist noch größer geworden"

‭Rico Freimuth (SV Halle) ist seit der WM in Peking (China) endlich im Besitz einer lange ersehnten Medaille von einem internationalen Wettkampf. Im Gespräch mit der Fachzeitschrift "Leichtathletik" verrät der WM-Dritte, warum er nun doch nicht auf ewig glücklich sein kann. Im Zentrum seiner Wünsche für das anstehende Jahr voller sportlicher Highlights stehen aber für den 27-Jährigen zwei ganz wichtige Wegbegleiter.
Daniel Becker

Rico Freimuth, beim Zurückdenken an den WM-Zehnkampf in Peking kommt einem direkt das Gruppenbild aller Athleten nach dem Lauf über 1.500 Meter in den Sinn – mit Ihnen, Ashton Eaton (USA), der gerade seinen Weltrekord verbessert hatte, und Silbermedaillen-Gewinner Damian Warner (Kanada) in vorderster Reihe. Mit welchem Gefühl blicken Sie auf diesen Moment zurück?

Rico Freimuth:

Das war etwas ganz Besonderes. Die WM in Peking war meine fünfte internationale Meisterschaft, vier Mal musste ich von außen auf die drei schauen, die auf dem Podium standen. Bei den Olympischen Spielen 2012 in London war mir das egal, weil ich mit meinem sechsten Platz sehr zufrieden war und dort mein Leistungsmaximum abgerufen habe. Ab 2013 wollte ich dann eigentlich schon mehr und habe auch immer mit einem weinenden Auge zu den Dreien geguckt, die es geschafft haben. Als ich in Peking dann selber auf dem Podium stand, war das ein absolut geiles Gefühl. In dem Moment denkt man, dass man es – zumindest im Sport und in seiner Disziplin – geschafft hat. Ich habe nachher noch mal im Fernsehen gesehen, wie ich die Flagge entgegengenommen habe. Das war auf jeden Fall ein ganz besonderer Moment.

Der US-Amerikaner Ashton Eaton dominiert den Zehnkampf deutlich. Müssen Sie das so hinnehmen, oder bleibt der Ehrgeiz, ihn dennoch einmal zu schlagen?

Rico Freimuth:

Ich akzeptiere und respektiere seine Leistungen definitiv, und uns allen ist ultimativ bewusst, dass er schwer zu schlagen ist. Man heult deswegen nicht jeden Tag herum und denkt: „Mist, ich kann hier heute maximal Zweiter werden!“ Aber man fragt sich natürlich dennoch, was passiert, wenn er mal einen Fehler macht. Aber er ist ein so starker Typ und macht auch, wenn es mal schlecht läuft, mindestens 8.800 Punkte. Und da bewegen wir uns im Bereich des deutschen Rekordes. Das ist schon massiv. Aber ich denke dennoch: Wenn ich ihn irgendwann mal schlagen will, muss ich mein Leistungsmaximum abrufen und über 8.800 Punkte kommen. Sollte das passieren, wäre ich mal gespannt, wie er damit umgehen würde. Was passiert, wenn er mal unter massiven Druck gerät und nicht die ganze Zeit über 300 Punkte Vorsprung hat? Aber ob es dazu kommt, weiß man nicht und ich denke, dass Ashton Eaton auch noch mehr Punkte machen kann.

Nach dem Gewinn der Bronzemedaille haben Sie gesagt: „Ich bin ein glücklicher Mensch – egal, was noch kommt.“ Spüren Sie in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele nun eine neue Lockerheit, oder hat der Alltag Sie mittlerweile mental wieder eingeholt?

Rico Freimuth:

Ich sehe das etwas gespalten. Auf der einen Seite ist in Peking ein Traum wahr geworden, und ich habe mit der Medaille endlich das, was ich wollte. Wenn ich darüber nachdenke, sorgt das für eine gewisse Erleichterung und nimmt etwas vom Druck weg. Wenn ich aber dann an die Olympischen Spiele denke, merke ich, dass ich schon wieder angespannt bin und noch mehr will. Ich will nicht da auftauchen, 8.300 Punkte machen und Achter werden. Dann wäre ich schon extrem unglücklich. Wir sind alle ehrgeizige Athleten und ich habe begriffen, dass es auch immer direkt weitergehen muss. Und der Ehrgeiz ist auch eher größer geworden. Immer, wenn ich an Peking zurückdenke, bin ich glücklich, denn alles, was danach passiert ist, auch im privaten und sozialen Bereich, war echt schön. Eine Menge Möglichkeiten haben sich mir dadurch eröffnet. Aber sportlich will ich jetzt einfach mehr, eine olympische Medaille. Im Training will ich jetzt manchmal schon wieder zu viel, aber ich denke, dass das ein gutes Zeichen für mich persönlich ist.

Mit Ihnen, dem leider nun schwer verletzten Michael Schrader (SC Hessen Dreieich) und Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied) hat Deutschland drei Zehnkämpfer von Weltklasse. Wie wichtig ist die starke nationale Konkurrenz für Ihre persönliche Leistungsentwicklung?

Rico Freimuth:

Ich bin der Meinung, dass wir alle davon profitieren, und glaube, dass alle mehr Punkte machen, weil die Konkurrenz seit ein paar Jahren so groß ist. Ich glaube zum Beispiel, dass André Niklaus mehr Punkte hätte machen können, wenn er damals diese Konkurrenz gehabt hätte. Er wurde zurecht gefeiert, weil er im Zehnkampf die deutsche Fahne hochgehalten hat, aber er hatte sicher das Talent, mehr als 8.500 Punkte machen zu können. Wir haben da eine coole Situation, theoretisch haben viele die Chance, eine Medaille zu gewinnen. Micha Schrader und ich haben schon eine, Kai Kazmirek hat großes Talent und definitiv die Chance, im Rennen um die Medaillen mitzumischen. Das hat er auch schon bewiesen. Mit Blick auf Olympia ist die Situation angespannt, meine Meinung ist: Nach Michas schwerer Verletzung können es mit mir drei Leute dorthin schaffen. Pascal (Behrenbruch, Anm. d. Red.) wird keine Chance haben, da bin ich mir sicher. Arthur (Abele, Anm. d. Red.) ist zwar ein Kämpfer, ist aber nach seiner Verletzung, glaube ich, noch nicht soweit. Dass Arthur nach seinem Achillessehnenriss jetzt schon wieder Wettkämpfe macht, kann ich wegen Olympia zwar verstehen, ich halte es aber für relativ unklug. Es ist seine Entscheidung, und ich meine das auch überhaupt nicht böse, aber es kann das Karriereende bedeuten.

Und Jan Felix Knobel (Königsteiner LV)?

Rico Freimuth:

Ich glaube, Jan kann definitiv die Olympianorm (8.150 Punkte, Anm. d. Red.) überbieten. Ich würde es ihm auch wünschen, weil wir mittlerweile ziemlich gut befreundet sind und Jan, Micha und ich auch im Trainingslager zusammen auf einem Zimmer waren. Wir drei verstehen uns super, und ich würde es ihm wünschen. Er hat gute Trainingsleistungen. Ich denke, wir alle werden dieses Jahr wieder von der Konkurrenzsituation profitieren.

Neben Olympia stehen auch die Europameisterschaften auf dem Programm. Wollen Sie nach Amsterdam (Niederlande)?

Rico Freimuth:

Die EM spielt für mich keine Rolle, ich werde dort mit hundertprozentiger Sicherheit nicht teilnehmen. Ich glaube, dass ich dieses Jahr die Chance habe, bei den Olympischen Spielen eine Medaille zu gewinnen. Darauf will ich mich komplett konzentrieren. Es gibt dieses Jahr nur Götzis und Rio. Die EM würde mich eventuell emotional etwas zu sehr beanspruchen, und wenn das auch nur zu einem Prozent der Fall wäre, glaube ich, dass mir das nicht guttun würde. Die EM in Berlin 2018 wird geil und der absolute Höhepunkt in dem Jahr sein.

In Peking haben Sie es über 1.500 Meter ja noch mal spannend gemacht. Ist es ein Ziel, diese Disziplin einmal etwas entspannter angehen zu können?

Rico Freimuth:

Ihr habt da alle schon recht. Das ist kein einfaches Thema bei mir, ich erkläre mir das aber immer ganz einfach. Denn körperlich gesehen bin ich mit 1,96 Metern einer der Größten. Ashton Eaton, Michael Schrader und Damian Warner sind deutlich kleiner und wiegen zehn bis 13 Kilo weniger als ich. Dementsprechend fallen mir die 1.500 Meter einfach etwas schwerer. Dafür werfe ich den Diskus vier Meter weiter als der Zweitbeste, das sind 80 Punkte mehr. Einfach gerechnet sind das auf den 1.500 Metern ungefähr zehn Sekunden Vorsprung. Aber ich habe mittlerweile begonnen, bewusster zu laufen und auch bei meinen Dauerläufen darauf zu achten, welche Zeit ich pro Kilometer laufe. Im Training, wenn wir Tests machen, bin ich teilweise auch wirklich besser. Ich renne zum Beispiel über 1.000 Meter nicht 100 Meter hinter Micha her. Ich hoffe, dass der Punkt kommt, an dem es mir einfach leichter fällt. Oft ist das aber nicht so.

Also eher ein mentales Problem und kein körperliches?

Rico Freimuth:

Ja, wahrscheinlich schon.

Zum Abschluss: Ihre drei Wünsche für das Sportjahr 2016?

Rico Freimuth:

Ich wünsche mir zuallererst, dass mein Trainer Wolfgang Kühne, der im Krankenhaus liegt und den
wir mindestens zwei Monate lang nicht haben werden, wieder gesund wird, und genauso wünsche ich mir, dass sich Micha schnell von der schweren Verletzung erholen wird. Das ist das Wichtigste für mich. Dann hoffe ich, dass der Weg zu den Olympischen Spielen optimal verläuft, denn der Weg ist das Wichtigste und betrifft ja auch alles: die Gesundheit, die Disziplin und das Training. Zuletzt wünsche ich mir, dass ich nebenher auch mein BWL-Studium schaffe.

<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift

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