Techniktraining im Hürdensprint
DLV-Akademie, Wolfgang Killing, Videos H. Hommel, unter Mitarbeit von Idriss Gonschinska
Inhalt:
Philosophie des Techniktrainings
Im Hürdentraining sollen Bedingungen für eine optimale Eigenorganisation des Sportlers geschaffen werden. Dazu werden vom Trainer Situationen vorgegeben, die vom Sportler als Probleme erkannt und gelöst werden müssen. Nicht das mechanische Umsetzen der Trainervorstellungen und damit auch nicht die Bewegungsbeschreibung aus der Außensicht stehen im Mittelpunkt, sondern das variable Umgehen mit den Trainings- und später Wettkampfbedingungen, d. h. der räumlich-zeitlich-dynamischen Struktur des Hürdensprints. Dazu nähert der Sportler sich im Training den Wettkampfanforderungen (s. Tab. 1) mit vielen unterschiedlichen Aufgaben bzw. Situationen, in der Regel ausgehend von vereinfachten Bedingungen, an.
Tab. 1: Qualitätsmerkmale eines erfolgreichen Hürdensprints im Männer-Hürdensprint | |||
Stützzeit vor der Hürde | Stützzeit nach der Hürde | Flugzeit über der Hürde | Zwischenhürden-Sprintzeit |
110-120 ms | 75-80 ms | 340-350 ms | 980-1000 ms |
Regulative im Hürdenlauf sind Hürdenhöhe, -abstände und Laufgeschwindigkeit, wobei alle teilweise miteinander verbunden sind. Je nach Vermögen wird der Sportler, bei flachen oder hohen Hürden bzw. bei geringeren oder größeren Abständen langsamer oder schneller laufen. Ist ein befriedigender Könnensstand erreicht, kann er in einer dieser Dimensionen zulegen und sich der Wettkampfform annähern. Dass man die Wettkampfbedingungen übersteigende Anforderungen stellt, also größere Abstände oder Höhen wählt, ist weniger für den Lernenden als für den Könner zutreffend.
Zielgruppe(n)
Das hier demonstrierte Hürden-Techniktraining erfordert ein erhebliches Maß an Körperbeherrschung bzw. koordinativen, zum Teil auch konditionellen Kompetenzen, es zielt also eher auf fortgeschrittene Athleten am Ende der Jugend bzw. im Juniorenalter hin.
Dass sich einzelne Elemente der hier gezeigten Übungen durchaus auch als Übungsgut zum Technikerwerb eignen, ist dazu kein Widerspruch, da auch auf hohem technischem Niveau immer wieder Basisübungen am Anfang des Techniktrainings stehen.
Stellung in der Trainingseinheit
Wie jedes Techniktraining benötigt auch im Hürdensprint das Techniktraining einen hervorragenden, vorderen Platz in der Trainingseinheit. Das Hürdentraining soll im unermüdeten Zustand direkt nach dem allgemeinen (Warmlaufen, Dehnen) und speziellen Aufwärmen (Laufschule, Frequenzdrills) absolviert werden.
Anleitung und Gruppenstärke
Wie auch das Training der Wettkampfbewegung erfordert das Techniktraining eine intensive Anleitung durch den Trainer, die sich in sorgfältigen Anweisungen, Demonstrationen, Beobachtungen und Korrekturen niederschlagen muss. Entsprechend darf die Trainingsgruppe nicht zu groß sein, soll die Wirkung optimal sein.
Idealerweise ist die Gruppe so groß, dass für jeden Teilnehmer durch die Läufe der anderen optimale Pausen zwischen seinen Läufen entstehen. Dies ist bei vier bis sechs Teilnehmern gegeben. Beachten muss der Trainer dabei, dass nicht nur die reine Übungszeit, sondern auch die jeweilige Korrekturzeit berücksichtigt werden muss (s. Tab. 2). Dabei gilt, je mehr Korrektur bzw. Zwiegespräch, um so länger die Taktzeit und um so weniger Athleten können in einer Gruppe trainieren.
Tab. 2 macht deutlich, dass gerade das Trainer-Athlet-Gespräch in seiner Zeitdauer schwer zu kalkulieren ist. Hier muss der Trainer im Interesse des Gesamtablaufes flexibel agieren, beispielsweise einen nachfolgenden, "unproblematischen" Athleten schon loslaufen lassen, während er das Korrekturgespräch mit dem vorigen zu Ende bringt. Mit zunehmender Lauflänge und längeren Pausen (s. u.) entschärft sich dieses Problem.
Tab. 2: Zeitbedarf eines Athleten für eine Trainingsübung bis zur nächsten Trainingsübung | |
Inhalt | Dauer |
Konzentration | 5-15 sec |
Durchführung des Hürdensprints | 5 sec |
Austrudeln, Zurückgehen | 20-30 sec |
Trainer-Athlet-Gespräch | 10-60 sec |
Ergänzende Pause | 10-60 sec |
Wieder an den Start gehen | 10 sec |
Gesamtdauer | 50-120 sec |
Durchführung
Nach gründlichem Aufwärmen bis hin zur allgemeinen Laufschule und Steigerungen kann mit dem Hürdentraining begonnen werden. Dabei werden frequenzorientierte, einfache Bewegungsaufgaben an den Anfang gestellt und über Zwischenstufen, wie sie nachfolgend beschrieben werden, der komplexen Wettkampftechnik angenähert. Jede Aufgabenstellung wird zwei- bis viermal über 4 bis 6 Hürden bzw. über andere Hindernisse durchgeführt, bevor zur nächsten Übung gewechselt wird.
Sollten sich besondere Probleme mit einzelnen Bewegungselementen ergeben, verweilt der Trainer länger bei einer Übung, gibt Hilfestellungen, arbeitet mit Pausen, um einzelne Bewegungsphasen bewusst zu machen bzw. baut man sogar Hilfsübungen ein, die er ohnehin "auf Lager" hat oder die sich aus der Situation ergeben. Erst wenn ein befriedigendes Niveau erreicht ist, wechselt er zur nächsten Aufgabenstellung.
In einer Trainingseinheit wird man sich mit etwa fünf aufeinander aufbauenden Übungen begnügen, sodass sich eine Gesamtzahl von 10 bis 20 Hürdensprints pro Trainingseinheit ergeben. Wichtig sind jeweils ausreichende Pausen, um eine Übersäuerung und Ermüdung der Muskulatur und des Zentralnervensystems zu vermeiden.
Je nach Anzahl der Hürden bzw. Streckenlänge sollten die Pausen 2 bis 5 Minuten dauern, auch sollten bei hohen Widerholungszahlen Serienpausen von 12 bis 15 Minuten in die Einheit eingebaut werden. Dann ist ein weitgehend alaktazides Training gewährleistet.
Wenn über genügend Zeit für das Training verfügt wird (zwei Trainingseinheiten am Tag), sollte es nach dem Hürdensprint beendet werden. Der Sportler sollte sich zwar noch auslaufen, aber nicht dehnen, und dann die anderen Trainingsinhalte in einer zweiten Trainingseinheit absolvieren. Falls der Sportler nur einmal am Tag trainieren kann, wird das Training mit einem weniger intensiven Trainingsinhalt, z. B. extensive Sprünge (siehe Wochentrainingspläne), beendet.
Frequenzaufgaben
Stickdrills
- Frequenzläufe über Bodenmarkierungen zur Schulung des frequenzorientierten Sprintens zwischen den Hürden
- Aus drei Anlaufschritten sprintet der Sportler über 8 bis 10 Markierungen (flache Stäbchen, Tuchstreifen o.ä.) bei 4 bis 6 Fuß Abstand möglichst schnell und gleichmäßig.
- Weiterführung 1: Stickdrills bei höherer Geschwindigkeit durch einen längeren Anlauf
- Weiterführung 2: Variation von Abständen und Rhythmen
Aufgabenstellungen aus Hopserlauf und Gehen
Hürdenorientierter Hopserlauf
- Abdruckbein mit aktiv-greifenden Fußaufsatz
- Schwungbein hoch anreißen ohne auszugreifen
- Weiterführung: Hopserlauf schwungbeinbetont. Anreißen des Schwungbeins unter Beachtung einer hohen Körperschwerpunkt-Lage
Schwungbeinübung
- Wechselseitiges Ansteuern der Kickbewegung des Schwungbeins aus hoher Knieführung im Gehen
Hürdensteigeübung aus dem Hopserlauf
- Dynamische Kickbewegung des Schwungbeins aus hoher Knieführung mit aktivem Einsatz des Gegenarms und dynamischer Nachziehbeinzug über der Hürde mit spitzem Kniewinkel
- Niedrige Hürde, Abstand: 6 bis 10 Fuß, 5 Hürden
- Weiterführung: Knieüberstreckung. Auskicken des Schwungbeins in die Knieüberstreckung jeweils bei Erreichen der Hürdenkante mit der Ferse
Isolierte Aufgabenstellungen für Schwung- und Nachziehbein im Lauf
Nachziehbeinübung im Gehen
- Nachziehbeinübung im Gehen seitlich neben der Hürde
- Standbeinfuß aus Laufrichtung jeweils knapp hinter der Hürde aufsetzen
- Weiterführung: Nachziehbeinübung im Sprint. Bei hoher Hürde und verkürztem Abstand (A-Jugend-Höhe, Abstand: 6,5 bis 7 Meter) im Dreier-Rhythmus sprinten.
Schwungbeinübung
- Seitlich an der Hürde bei verkürzten Abständen vorbeilaufen
- Dreier-Rhythmus bei 6,5 bis 7 Meter Abstand
Aufgabenstellungen mit vollständiger Hürdenüberquerung
Frequenzorientierter Hürdenrhythmus
- Im Dreier-Rhythmus bei 4 bis 7 Meter Abstand über 4 bis 6 niedrige Hindernisse frequenzorientiert sprinten.
- Pausen so gestalten, dass keine Übersäuerung eintritt
- Variation: Variable Abstände. Die Hindernisse werden so mit variablen Abständen aufgestellt, dass der Sportler immer neu die Schrittlängen und den Rhythmus finden muss.
Wechsel von Einer- und Dreierrhythmus
- Aufeinanderfolge von 3 Hürden im Einer-Rhythmus (ca. 3 bis 4 Meter Abstand) und Dreier-Rhythmus (Abstand: 5 bis 7 Meter) über flache Hürden (Jungen: 91 Zentimeter, Mädchen: 60 Zentimeter)
- Zielstellung: rhythmische Übergänge zwischen den Hürden, Betonung der Abdruckstreckung vor der Hürde, schneller Übergang vom Schwungbein zum Nachziehbein im Wegsprinten von der Hürde
Dreierrhythmus mit wechselnden Höhen und Abständen
- Zweck: Schulung der Eigenorganisation im Abdruck- und Distanzverhalten vor und Weglaufverhalten hinter der Hürde
- Höhen (Männer): 91 bis 106 Zentimter
- Abstand (Männer): 7 bis 9 Meter
Gesamtbewegung mit verkürzten Abständen
- Zielstellungen: Schnelles "An-die-Hürde-" und "Von-der-Hürden-Weglaufen mit hohem Körperschwerpunkt
Hürdenochser
- Dreierrhythmus über wettkampfnahe Abstände (Männer: 8,9 Meter, Frauen: 8,3 Meter) mit doppelter Hürde
- Die hintere Hürde ist in Wettkampfhöhe, die vordere bei Männer 60 bis 91 Zentimeter, bei Frauen 40 bis 60 Zentimeter hoch.
- Zweck der vorgeschalteten Hürde: Die Hürde ist ein optischer Anreiz, sich im Abdruck weiter zu entfernen (= Schulung des Distanzverhaltens) und dabei energisch abzudrücken.
Einbettung in den Wochenzyklus
Der angehende Hürdensprinter sollte ein- bis maximal dreimal pro Woche an den Hürden trainieren, wobei mit zunehmendem Fertigkeits- und Fähigkeitsniveau eher häufiger pro Woche speziell trainiert wird. Dabei hängt der Umfang bzw. die Wiederholungszahl von der jeweiligen Trainingsetappe, vom Trainingszustand und vom Könnensstand der Sportler ab. Zwischen zwei spezielle Hürdensprinteinheiten werden zur Regeneration des Zentralnervensystems und der beteiligten Gelenke jeweils Pausen von 48 bis 72 Stunden eingelegt, wobei es individuelle Unterschiede gibt.
Hürdensprint im Jahresplan
Wird von einer normalen Technikentwickung ausgegangen, werden zu Beginn des Trainings- und Wettkampfjahres auf schnelligkeitsintensive Trainingsformen zugunsten allgemeiner Trainingsinhalte verzichtet. Formen des Hürdenballetts und des Hürden-ABC sind in dieser Phase aber durchaus in das Training zu integrieren.
Im zweiten Teil der allgemeinen Vorbereitungsperiode wird dann vermehrt an den Hürden gearbeitet, erst ein-, dann zweimal pro Woche, dabei - wie zuvor ausgeführt - allmählich die Anforderungen angehoben bis in der Vorwettkampfphase immer wettkampfnäher gearbeitet wird. Die nachfolgenden Wochenpläne geben einen Einblick in die Verlagerung der Trainingsschwerpunkte im Verlauf einer Trainings- und Wettkampfsaison.
Exemplarische Wochentrainingspläne
Wochentrainingsplan in der allgemeinen VP | ||||||
Mo | Di | Mi | Do | Fr | Sa | So |
Aufwärmen Koordination Flachsprint extensive Sprung-übungen Auslaufen | Aufwärmen allg. athl. Training Auslaufen | Aufwärmen Hürden- Auslaufen | Aufwärmen Fuß-/Rumpf- Spiel | Aufwärmen extensive Tempoläufe: 5-10 x 150-400 m Auslaufen | Spiel Kraft (Kb, Spiel | Pause |
Wochentrainingsplan in der speziellen VP | ||||||
Mo | Di | Mi | Do | Fr | Sa | So |
Aufwärmen Hürden- Sprungläufe Auslaufen | Aufwärmen allg. athl. Training extensive Rasenläufe Auslaufen | Aufwärmen komplexes Hürden-training Auslaufen | Aufwärmen allg. athl. Training extensive Rasenläufe Auslaufen | Aufwärmen intensive Tempoläufe: 3-6 x 100-200 m Auslaufen | Aufwärmen Kraft (wie Auslaufen | Pause |
Wochentrainingsplan in der Wettkampfphase | ||||||
Mo | Di | Mi | Do | Fr | Sa | So |
Aufwärmen allg. extensive Kraft (40-60 %Intensität) Auslaufen | Aufwärmen Stickdrills intensive Sprungläufe Auslaufen | Aufwärmen Hürdenstarts über 2-4Hürden intensive Tempoläufe: Auslaufen | Pause | Aufwärmen Auftakt: Auslaufen | Aufwärmen Wettkampf
| Pause |