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Matthias de Zordo zehn Jahre nach WM-Gold: „Die 90 Meter blieben mir leider verwehrt“

Am 3. September vor genau zehn Jahren erlebte Matthias de Zordo den größten Tag seiner Karriere. Der Speerwerfer (damals SV schlau.com Saar 05 Saarbrücken) wurde 2011 in Daegu mit 86,27 Metern überraschend Weltmeister. Ab 2012 wurde der gebürtige Bad Kreuznacher von zahlreichen Verletzungen ausgebremst, 2017 beendete der heute 33-Jährige seine Karriere. Im Interview spricht Matthias de Zordo über den „goldenen Wurf“ von Daegu, seine vielen Rückschläge und wie er in Zukunft bei anderen Menschen für den richtigen Durchblick sorgen will.
Martin Neumann

Matthias de Zordo, wann hatten Sie zum letzten Mal einen Speer in der Hand?

Matthias de Zordo:

Vor anderthalb Jahren ungefähr.

Hatten Sie den Speer nur in der Hand oder haben Sie ihn auch geworfen?

Matthias de Zordo:

Kommt darauf an, ob man das Werfen nennen konnte (lacht). Ich habe zu dieser Zeit einen Athleten der LG Lippe-Süd sporadisch trainiert, ihm die Pläne geschrieben. Zu Technikeinheiten haben wir uns ab und an getroffen. Da habe ich dann auch mal selbst geworfen.

Sie sind jetzt 33 Jahre alt. Ihren größten Erfolg haben Sie heute vor zehn Jahren, am 3. September 2011, gefeiert. Da sind Sie in Daegu Speerwurf-Weltmeister geworden. Denken Sie noch oft an diesen Tag zurück?

Matthias de Zordo:

Ja, schon. Speziell wenn die Leichtathletik-Höhepunkte des Jahres anstehen. Die verfolge ich natürlich. Dann schaue ich mit Freude auf meine erfolgreiche Zeit zurück und denke: „2011 warst du auch ganz oben, hattest den großen Erfolg.“

Haben Sie denn am 3. September 2011 gespürt, dass dieser Tag Ihr Tag werden würde?

Matthias de Zordo:

Die Leistungen im kurzen Trainingslager vor der WM haben gestimmt. Ich wusste, dass ich gut drauf bin und bin entspannt in den Wettkampf gegangen. Ich hatte auch keinen Druck, denn die Favoriten waren ja andere. Es kam auf die Tagesform an. Wer seine Leistung zeigen kann, wird am Ende ganz oben stehen.

Und das waren in Daegu Sie! Wie hat der überraschende WM-Titel damals Ihr Leben verändert?

Matthias de Zordo:

Groß verändert hat sich nichts, in bin derselbe Typ geblieben wie früher. Schön finde ich, dass ich noch heute noch manchmal erkannt werde.

Was haben Sie sich 2011 von den stattlichen Prämien für den WM-Titel und den späteren Diamond-League-Gesamtsieg gekauft?

Matthias de Zordo:

Da war nicht wirklich etwas Besonderes dabei. Schließlich fielen auf die Summen ja noch Steuern an (lacht). Außerdem habe ich Rücklagen gebildet, von denen ich gezehrt habe, als ich verletzt war.

Wo heben Sie denn die Goldmedaille und die silberne von der EM 2010 in Barcelona auf?

Matthias de Zordo:

Die liegen beide gut gesichert im Tresor, zusammen mit dem Diamond-League-Pokal.

Kramen Sie die Medaillen noch häufig hervor?

Matthias de Zordo:

Nein, eigentlich gar nicht. Ab und zu, wenn ich vor dem Tresor stehe, schaue ich drauf.

Sie haben es schon angesprochen: Nach dem WM-Triumph mussten Sie viele verletzungsbedingte Rückschläge hinnehmen, unter anderem einen Achillessehnenriss. Wie sind Sie mit diesen Rückschlägen umgegangen, beispielsweise mit dem Qualifikations-Aus bei den Olympischen Spielen 2012?

Matthias de Zordo:

Ich habe immer probiert, weiter zu kämpfen. Aber es waren echt viele und schwere Verletzungen. Eine Ellenbogenverletzung hat die Olympiasaison 2012 gekostet. Als ich dann wieder fit war, kam 2013 der Achillessehnenriss, der sich nach der Reha wiederholt hat. Die Folge war eine lange Pause. Ich habe aber nie aufgegeben, wollte mich nicht unterkriegen lassen. 2015 war ich dann einigermaßen beschwerdefrei. Doch nach dem Achillessehnenriss hat sich die Technik verändert, das hat sich auf den Körper ausgewirkt. Im Training waren die Leistung in Ordnung, aber im Wettkampf lief es nicht wie gewünscht.

Gab es einen Tag, eine Situation, als Ihnen klar wurde: Ich werde es nicht wieder zurück an die Weltspitze schaffen.

Matthias de Zordo:

Ja, das war 2017. Da habe ich mir die Kreuzbänder angerissen. Um weiter Hochleistungssport zu betreiben, hätte das operiert werden müssen. Das wollte ich nicht, vielleicht hat der Körper einfach „Nein“ gesagt. Ich habe so viele Jahre probiert, wieder vorn ranzukommen. Dieser erneute Rückschlag war der Zeitpunkt, um anders in die Zukunft zu schauen und mit dem Sport, den ich so geliebt habe, Schluss zu machen. Ich wollte der Weltspitze nicht mehr hinterherrennen.

Im Sommer 2017 haben Sie Ihren letzten Wettkampf bestritten. Wie ging es danach für Sie beruflich weiter?

Matthias de Zordo:

Ich musste mich natürlich neu orientieren. Ich wollte dem Sport treu bleiben und habe eine Ausbildung zum Athletiktrainer absolviert. Aber im Anschluss ging es beruflich nicht so weiter, wie ich es mir gewünscht habe. So habe ich mich dann, nach einem Berufspraktikum, entschieden, einen anderen Weg einzuschlagen. Nun stehe ich kurz vor dem Abschluss meiner Ausbildung zum Augenoptiker.

Auch wenn das Ergebnis bei den Olympischen Spielen in Tokio nicht gepasst hat: In den vergangenen Jahren hat sich der Speerwurf in Deutschland zu einer Paradedisziplin entwickelt. Verfolgen Sie die Szene noch heute?

Matthias de Zordo:

Nicht mehr so intensiv wie früher. Aber nebenbei natürlich, das steckt in einem drin. Ich blicke mit sehr freudigen Augen darauf, Deutschland ist eine Speerwurf-Nation geworden. Leider kam in diesem Jahr etwas Verletzungspech dazu. Aber wir haben eine breite Basis an Werfern, das ist gut zu sehen.

Johannes Vetter hat schon fast 30-mal die 90-Meter-Marke übertroffen. War diese Weite auch ein Ziel in Ihrer Karriere?

Matthias de Zordo:

Definitiv. Jeder Speerwerfer träumt von den 90 Metern. Mir blieb es leider verwehrt. Die Neun sollte am Ende der Karriere vorn stehen. Die Chance dafür und das Potenzial dafür hatte ich, konnte es aber am richtigen Tag nicht auf die Bahn bringen. Ich erinnere mich speziell an zwei gute Wettkämpfe, bei denen der Speer ganz weit hinten fast senkrecht im Gras steckte. Das war der Diamond-League-Sieg in Brüssel, als ich mit 88,36 Metern Bestleistung geworfen habe, und an die Diamond League 2010 in London mit fast 87 Metern. Wenn ich das Ding anders treffe, fliegt er einige Meter weiter. Da waren 90 Meter auf jeden Fall möglich.

Was unterscheidet den Werfertyp Johannes Vetter vom Werfertyp Matthias de Zordo?

Matthias de Zordo:

Als Erstes die Kraftwerte, da ist er mir weit voraus. Auch habe ich das Stemmbein steiler aufgesetzt. Aber insgesamt kann man es schwer vergleichen. Ich war wirklich schnellkräftig, explosiv, habe den Speer weit von hinten gezogen. Ich habe von der Verwringung im Oberkörper her ähnlich geworfen wie Olympiasieger Neeraj Chopra. Durch diese Technik wird es allerdings schwieriger, den Speer richtig zu treffen und es kommen sehr steile Würfe raus.

Hat Johannes Vetter den Speerwurf verändert?

Matthias de Zordo:

In den Details stecke ich nicht mehr so tief drin. Aber wenn es einen Athleten gibt, der über Jahre dominiert, hat das einen Einfluss auf die Szene. Veränderungen gibt es aber auch durch die Speer-Hersteller. Da geht es um Materialien, Härten, andere Mischungen. Da hat sich in den vergangenen Jahren viel getan.

Wenn Sie an Ihre Karriere zurückdenken: Würden Sie alles noch einmal genauso machen oder an bestimmten Weggabelungen eine andere Richtung einschlagen?

Matthias de Zordo:

Das ist eine gute Frage. Es gab nicht den ausschlaggebenden Punkt, wo ich groß hätte etwas anders machen sollen. Ich würde bis auf Kleinigkeiten es noch einmal so machen. Ich stehe zu allen Entscheidungen, die ich getroffen habe.

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