Ganz oben auf der Rechnung hatte Bettina Englisch wohl niemand im Halbmarathon-Rennen der Non-Stadia-EM der Seniorinnen und Senioren Mitte Mai im italienischen Grosseto. Doch in 1:18:30 Stunden setzte sich die Athletin von der TSG 1845 Heilbronn in der W40 auf einer schwierigen Strecke mit teilweise äußerst anspruchsvollen Passagen überraschend durch. leichtathletik.de hat mit der frischgebackenen Senioren-Europameisterin über das enge Rennen, ihre generellen Stärken und Schwächen sowie die kommenden sportlichen Ziele gesprochen.
Bettina Englisch, Sie haben bei der Straßenlauf-EM der Seniorinnen und Senioren Non Stadia Ihren wohl größten sportlichen Erfolg mit dem Sieg im Halbmarathon der W40 erreicht. Wie überraschend kam der Triumph für Sie?
Bettina Englisch:
Ich hatte auf alle Fälle auf eine Medaille spekuliert, sonst wäre ich erst gar nicht angereist. Doch sicher sein kann man sich im Vorfeld nicht, wenn man die Konkurrenz nicht kennt und auch nicht recherchiert hat. Es gab dann zwei Italienerinnen im Startbereich, die mir aufgrund ihrer Körpermerkmale aufgefallen sind und schnell aussahen, da wusste ich: es wird nicht leicht. Doch wer mich kennt, weiß, dass ich eine Kämpferin bin, wenn es darauf ankommt.
Wann wurde Ihnen im Rennen bewusst, heute kann ich für mich etwas Gigantisches erreichen?
Bettina Englisch:
Das war mir klar, als ich die eine der „Schnellen“ recht früh schon überholt hatte und mein Tempo dank meiner beiden Begleiter Raphael und Michael absolut konstant war. Der zweite Platz war somit sicher und es blieb noch etwas spannend, ob und falls ja, wann ich die Führende in Sicht bekommen würde.
Der Zweikampf mit der Italienerin Silvia Tamburi war an Spannung kaum zu überbieten. Wann haben Sie gewusst, dass Sie sie trotz des Heimvorteils besiegen können?
Bettina Englisch:
In dem Moment, als ich Silvia Tamburi bei Kilometer 19 vor mir sah, war ich mir sicher, dass ich sie packen kann. Ich hatte einen psychologischen Vorteil, als ich „locker“ an ihr vorbeilief und schnell einen Vorsprung aufbaute. Zudem hatte ich meine beiden „Engel“ an meiner Seite. Doch, dass sie hintenheraus nochmal so angreifen würde, war die Überraschung. Ich musste mich regelrecht ins Ziel retten. So knapp habe ich tatsächlich noch nie gewonnen. Sie hat mich am Ende noch ziemlich gefordert. Das sieht man an meinem Zieleinlauf. Normalerweise laufe ich immer mit einem Lächeln über die Ziellinie und werfe die Hände in die Luft.
Mit gerade einmal zehn Laufjahren gehören Sie eher zu den Spätstartern. Wie und warum hat es Sie eigentlich zum Laufsport verschlagen? Wann ist Ihnen bewusstgeworden, dass die Langstrecke Ihr Terrain ist und welches Talent in Ihnen schlummert?
Bettina Englisch:
Damals hat alles mit einem 5-Kilometer-Volkslauf in meiner Heimatstadt begonnen. Unsere Firma startete mit einer Mannschaft. Fünf Kilometer konnte ich mir gerade noch zutrauen. Mein Mann, der damals schon Halbmarathon gelaufen ist, war auch am Start und stand mir bei. Im dritten Jahr fiel er verletzungsbedingt aus, sodass ich erstmalig mein eigenes Tempo gelaufen bin und prompt den Lauf gewann. Da war ich selbst so überrascht, dass ich wissen wollte, was sonst noch möglich sein könnte. Der Ehrgeiz war gepackt.
Wie würden Sie die Person Bettina Englisch selbst skizzieren? Was sind Ihre Stärken? Was sind Ihre Schwächen?
Bettina Englisch:
Gesellig, lustig, aber auch ziemlich anstrengend, pingelig und nörgelig, wenn man meinen Mann fragen würde (lacht). Meine Schwäche ist unbedingt Süßkram und Chips. Da gibt es im Hause Englisch des Öfteren mal Futterneid. Auf den Sport bezogen bin ich niemand, der sich im Training übermäßig quält, dafür im Wettkampf eine konstant sichere Nummer. Leistung bringen, wenn es darauf ankommt.
Irgendwo habe ich gehört, dass Sie sich selbst einmal als einen „Fresssack“ bezeichnet haben. Erklären Sie uns doch einmal in eigenen Worten, wie das zu verstehen ist?
Bettina Englisch:
Wenn es um das Essen geht, bin ich immer vorne dabei und eröffne auch gerne die Buffets auf Festen. Ich esse alles, was mir schmeckt und verzichte auf nichts. Kampf dem Verderb ist ebenfalls eine meiner Devisen, sodass ich immer jeden Rest verputze und es dann schon mal vorkommt, dass mir mein Mann den Teller versucht weg zu nehmen. Ach ja… und für Nachtisch hat man ja eh einen extra Magen (lacht).
Jetzt sind Sie Senioren-Europameisterin geworden. Ein Traum, der Wirklichkeit geworden ist. Was sind Ihre nächsten sportlichen Ziele?
Bettina Englisch:
Über den Sommer möchte ich noch bei ein paar kleineren Volksläufen in der Umgebung starten, da dies das beste Training ist, um mich zwischendurch zu fordern. Im Herbst werde ich bei der 10er-DM in Saarbrücken und der Halbmarathon-DM in Ulm starten, zudem möchte ich noch meine Marathonbestzeit aus dem Jahr 2017 in Angriff nehmen. Wo das sein wird, bin ich mir noch nicht ganz sicher.
Was macht eine Europameisterin eigentlich, wenn sie nicht läuft. Gibt es Hobbys neben dem Laufen oder bleibt dafür keine Zeit?
Bettina Englisch:
Zu meinen Hobbys gehört eindeutig das Reisen. Zum Glück haben mein Mann und ich vor Corona schon einiges von der Welt gesehen. Dennoch gibt es noch vieles zu entdecken. Zudem bin ich auch im Fitnessstudio als Trainerin aktiv.