| Interview

Leo Neugebauer: "Die 9.000 Punkte sind eine Frage der Konstanz"

© Jan Papenfuß
Leo Neugebauer war der Überflieger der Vorsaison – und wurde nun zum „Leichtathleten des Jahres“ gewählt. Im Interview spricht der Zehnkämpfer über seine Learnings und Ziele für 2024.
Alexander Dierke

Leo Neugebauer, herzlichen Glückwunsch zur Wahl als „Leichtathlet des Jahres“ 2023. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung, als Würdigung einer durchaus besonderen Saison im Vorjahr?

Leo Neugebauer:
Es bedeutet mir sehr, sehr viel. Ich habe das glaube ich noch nicht so ganz realisiert, aber als bester Leichtathlet eines Jahres ernannt zu werden ist schon etwas sehr Besonderes.

Seit 1991 wird jährlich die Wahl der „Leichtathleten des Jahres“ veranstaltet. Haben Sie eine Idee, wie viele Zehnkämpfer die Auszeichnung vor Ihnen bereits erhalten haben?

Leo Neugebauer:
Das weiß ich tatsächlich nicht, wahrscheinlich Niklas Kaul. Aber ansonsten? Gute Frage …

Vier an der Zahl sind es – Niklas Kaul (zudem 2019) ist tatsächlich der Vorjahressieger. Zudem wurden bereits Arthur Abele (2018), Frank Busemann (1996) und Paul Meier (1993) ausgezeichnet. Also einige jener nationalen Athleten, die Sie ergebnistechnisch mit Ihrem deutschen Rekord im vergangenen Jahr hinter sich gelassen haben. Was die vier genannten Zehnkämpfer Ihnen hingegen noch voraushaben: Sie haben alle mindestens eine Medaille entweder bei Olympia, einer WM oder EM gewonnen. Insofern scheint der Auftrag für Sie klar zu sein …

Leo Neugebauer:
Definitiv (lacht). Das hört sich auf jeden Fall cool an, und in diesem Jahr ist eine Medaille fällig. Darauf versuche ich hinzuarbeiten.

Zum Saisonauftakt haben Sie in Lexington (Kentucky, USA) gleich wieder mit einer Bestleistung auf sich aufmerksam gemacht: Mit 17,10 Meter haben Sie sich im Kugelstoßen unter dem Hallendach um 87 Zentimeter gesteigert, im Vergleich zu Ihrem Wettkampf bei der WM in Budapest noch mal sechs Zentimeter draufgepackt. Auch über die Hürden lief es mit einer Zeit von 8,36 Sekunden gut. Wie bewerten Sie Ihre Form zu diesem Saisonzeitpunkt?

Leo Neugebauer:
Ich glaube, meine Form ist echt sehr top. Ich bin richtig gut drauf, und das Allerwichtigste ist, dass ich weiterhin verletzungsfrei bin. Das hat für mich definitiv den höchsten Stellenwert. Deshalb passe ich auch immer gut auf, dass das so bleibt. Ansonsten muss ich sagen, dass ich mich eigentlich in allen Disziplinen ziemlich gut fühle. Jetzt gilt es, weiterhin an allem zu arbeiten, damit der nötige Feinschliff gelingt. Dann wird es auch was Cooles werden in dieser Saison.

Die 9.000-Punkte-Marke haben Sie nach dem erfolgreichen Vorjahr selbst als realistisches Ziel ausgegeben, an welchen Stellschrauben muss dafür noch gedreht werden?

Leo Neugebauer:
Ich würde sagen, hauptsächlich einfach nur konstant mit den Ergebnissen werden. Es ist vor allem eine Frage der Konstanz und eben in jeder Disziplin noch ein bisschen mehr rauszuholen. Dann sind die 9.000 Punkte machbar.

Helfen Rückschläge – wie jener am zweiten WM-Tag in Budapest – in der früher Phase einer Karriere, um sportlich zu wachsen?

Leo Neugebauer:
Ich finde, es ist gut, wenn so etwas so früh wie möglich in einer Karriere passiert. Einfach, weil man davon lernen kann. Danach ist man klüger und weiß, dass man sich vor so was zukünftig in Acht nehmen muss. Das größte Learning aus der WM war sicherlich, weiterhin ich selbst zu bleiben und mein Ding zu machen, ohne in der Zukunft zu sehr über irgendetwas nachzudenken.

Inwiefern hat sich der Mensch Leo Neugebauer innerhalb des letzten Jahres verändert und weiterentwickelt?

Leo Neugebauer:
Ich würde sagen, meine größte Veränderung ist, dass ich ein bisschen fokussierter bin und weiß, in welche Richtung ich gehe. Und dass ich meine Zeit besser verwende und mich professionell verhalte – im Sport, im Training und im Alltag.

Vor weniger als zwei Jahren kannte man Sie noch lediglich in Leichtathletik-Fachkreisen, inzwischen sind Sie einer der bekanntesten deutschen Leichtathleten und die DLV-Hoffnung für die kommenden Jahre. Haben Sie Ihren Aufstieg eigentlich schon so richtig realisiert?

Leo Neugebauer:
So langsam ja. Es war anfangs schon schwer, das so zu realisieren, aber inzwischen wird das bisher Erreichte für mich mehr und mehr wahr.

Im Anschluss an die aus deutscher Sicht historisch schwache WM wurde auch viel über das deutsche Fördersystem diskutiert, über die Attraktivität und Lukrativität der Sportart. Sie hingegen genießen in den USA eine erstklassige Förderung – die, wie man im letzten Jahr gesehen hat, in Ihrem Fall mit Erfolg belohnt wurde. Gibt es Ansätze, die Sie in Texas kennengelernt haben, die man in Deutschland adaptieren sollte?

Leo Neugebauer:
Ich würde sagen, das ist schwer, weil der Hauptunterschied zwischen Texas und Deutschland ist, dass meine Universität in Texas viel mehr Geld zur Verfügung hat, um in den Sport reinzustecken. Und wenn man so viel mehr Unterstützung hat, dann macht es einen selber auch besser und ermöglicht einem, sich mehr um sich selbst zu kümmern. Ich glaube, da fehlt ein monetäres Know-how für die deutsche Förderung.

Seit Jahresbeginn starten Sie für den VfB Stuttgart. Hat sich dadurch für Ihren Trainingsalltag in den USA etwas verändert, und wie läuft die Zusammenarbeit bisher?

Leo Neugebauer:
Wir hatten ein bisschen Zusammenarbeit, als ich in Deutschland war (im Vorfeld der Weihnachtsfeiertage; Anm. d. Red.). Ich habe in Stuttgart trainiert, war mal im Stadion und habe dort auch mal mit den Leuten sprechen können. Das war schon sehr cool. Ansonsten absolviere ich hier in den USA einfach weiterhin mein gewohntes Training. Da habe ich nicht so viel mit dem VfB zu tun – der Verein würde mir aber mit allem helfen. Das ist aufgrund der Entfernung bei manchen Dingen natürlich etwas schwerer, aber meine Uni kümmert sich hier sehr gut um mich.

Abschließend die Frage, die Ihnen als deutscher Hoffnungsträger in diesem Jahr wohl noch häufiger gestellt werden wird: Wie sehen Ihre Pläne und Ziele für diese Highlight-Saison 2024 aus?

Leo Neugebauer:
An den Europameisterschaften werde ich nicht teilnehmen können, weil zu diesem Zeitpunkt noch meine College-Saison läuft. Mein nächster großer Wettkampf sind also die Olympischen Spiele – dort möchte ich einfach noch mal meine Bestleistungen abrufen.

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