Die deutsche Leichtathletik-Auswahl hat bei den Team-Europameisterschaften in Madrid die Bronzemedaille gewonnen. Nach einem Fehlstart am Donnerstag und einigen verlorenen Punkten am Freitag endete die spannende Aufholjagd am Samstag und Sonntag mit 397 Punkten doch noch auf dem erhofften Podest. Italien feierte die überlegene Titelverteidigung.
So aufregend und so mitreißend kann ein Team-Wettbewerb der Leichtathletik sein! Hinter den recht früh enteilten Italienern (431,5 pt) als Titelverteidiger entwickelte sich am Sonntag bei den Team-Europameisterschaften in Madrid (Spanien) ein extrem enger Kampf um die weiteren Podestplätze. Und mittendrin: das deutsche Team. Nachdem sich die deutsche Auswahl am Samstag nach einer Aufholgjagd sogar von Platz 16 über Platz sieben auf Platz zwei nach vorne gearbeitet hatte, zog am Sonntag noch Polen (405,5 pt) vorbei. Dem Angriff der Niederlande (384,5 pt) aber, die ebenfalls kurzzeitig auf einem Podiumsrang lagen, hielt das DLV-Team stand. Und durfte am Ende von vier langen Wettkampf-Tagen wie schon zwei Jahre zuvor in Chorzów (Polen) über die Bronzemedaille jubeln. Damals kamen bei ebenfalls 37 Wettbewerben 387,5 Punkte zusammen, dieses Mal sammelte die DLV-Auswahl 397 Zähler.
"Wir haben hier in Madrid mit einer jungen Mannschaft unser Ziel erreicht: Podestplatz!" bilanziert DLV-Vorstand Leistungssport Dr. Jörg Bügner. "Nach einem holprigen Anfang hat das Team Kampfgeist und Charakter gezeigt. Besonders gefreut hat mich die erfolgreiche Mischung aus starken Leistungsträger:innen und jungen Athlet:innen, die gemeinschaftlich Höhen und Tiefen überwunden haben."
Das Beste kommt zum Schluss
Die meisten Punkte steuerten am Ende des Tages zwei langjährige Leistungsträger bei: Julian Weber (USC Mainz) und Malaika Mihambo (LG Kurpfalz). Julian Weber feuerte seinen Speer gleich im ersten Versuch auf 85,15 Meter und war der Konkurrenz um fast fünf Meter voraus. Nach Karl Bebendorf (Dresdner SC 1898; 3.000 m Hindernis) und Caroline Joyeux (LG Nord Berlin; Dreisprung) holte er damit den dritten Einzelsieg für das DLV-Team. "Ich wollte noch mal weiter werfen, aber die anderen haben nicht so weit geworfen, da ist es immer ein bisschen schwierig. Da läuft die Motivation ins Leere und man überpaced", erklärte der 90-Meter-Werfer, der nach dem dritten, verunglückten Versuch den Wettbewerb beendete.
Als Team-Kapitän hatte er für seine Mannschaft zum Abschluss lobende Worte: "Ich bin unfassbar happy, hier dabei gewesen zu sein! Es ist eine mega coole Mannschaft, so viele junge, gute Leute dabei, viele geniale Leistungen. Wir haben als Team etwas richtig Tolles geschafft. Und am Ende hier auf dem dritten Platz zu stehen ist mega cool."
Mixed-Staffel macht Bronze perfekt
Malaika Mihambo bewies in vielen starken Sprüngen, dass sie in dieser Saison immer besser in Schwung kommt. Zwar waren die weitesten ihrer Sätze von Madrid ungültig, mit 6,84 Metern im zweiten Versuch, neue Saison-Bestleistung, legte sie jedoch eine starke Weite vor, die nur noch Hallen-Europameisterin Larissa Iapichino (Italien; 6,92 m) toppen konnte. "Es war ein Schritt in die richtige Richtung, trotzdem war es schade, weil der Beste ungültig war, der Erste war schon direkt in Richtung sieben Meter", bilanzierte sie.
Das letzte Wort hatten die Staffeln über 4x400 Meter Mixed. Nachdem Julian Weber und Malaika Mihambo dem DLV-Team gegenüber den Niederlanden wieder ein Polster verschafft hatten, galt es für Manuel Sanders (TV Wattenscheid 01), Jana Lakner (LG Telis Finanz Regensburg), Joshua Abuaku (Eintracht Frankfurt) und Irina Gorr (TSV Gräfelfing) eigentlich nur noch, den Stab sicher ins Ziel zu bringen und mindestens drei Punkte zu ergattern. Das gelang auf Platz sieben (3:13,31 min) problemlos, und da die Niederlande nicht mehr ihre Top-Besetzung aufgeboten hatten, kamen die Olympiasieger auch nur einen Platz vor der DLV-Staffel ins Ziel.
Sophia Junk stürmt zur WM-Norm
Sprinterin Sophia Junk (LG Rhein-Wied) wurde bei der Team-EM zur fleißigsten deutschen Punktesammlerin und lieferte nach Platz drei mit der Staffel auch über 200 Meter mit neuer persönlicher und deutscher Jahresbestzeit in 22,53 Sekunden ab. Das i-Tüpfelchen: Auch die Norm für die WM in Tokio (Japan; 13. bis 21. September) hat sie jetzt in der Tasche. Nur die Spanierin Jaël Bestué mit Landesrekord von 22,19 Sekunden und Helene Parisot (Frankreich; 22,42 sec) waren am Sonntag schneller, dem Angriff von 400-Meter-Ass Lieke Klaver (Niederlande, 22,59 sec) auf der Zielgeraden hielt Sophia Junk stand.
Die 26-Jährige eroberte damit auch die Spitze der deutschen Jahresbestenliste von Gina Lückenkemper (20,77 sec) und meldete sich eindrucksvoll auf der Strecke zurück, auf der sie schon in der Jugend ihr großes Talent bewiesen hatte. 2021 war sie in ihrer vorherigen Bestzeit von 20,87 Sekunden U23-Vize-Europameisterin geworden. "Total unglaublich! Ich hätte niemals gedacht, dass ich in der Lage bin, diese Zeit zu laufen. Aber irgendwie haben mich die Atmosphäre und auch die schnellen Mädels links und rechts über die Bahn getragen. Ich habe heute versucht, alles für das Team zu geben. Und ich glaube, mit so einer PB kann man sagen, man hat alles gegeben."
Imke Onnen mit 1,94 Metern im Ersten
Eine weitere Top-Drei-Platzierung steuerte Imke Onnen (Cologne Athletics) zum deutschen Gesamt-Ergebnis bei. Und das mit einer weiteren Spitzenleistung: Unter erschwerten Bedingungen, nämlich bei der Team-EM mit dem Wettkampf-Ende nach insgesamt vier Fehlversuchen, meisterte sie 1,91 Meter im zweiten und 1,94 Meter sogar im ersten Versuch. Höher hinaus kamen am Sonntag nur Weltrekordlerin Yaroslava Mahuchikh (Ukraine; 2,00 m) und die Polin Maria Zodzik (1,97 m).
Mit einer neuen Saison-Bestzeit beendete der Deutsche Rekordhalter Joshua Hartmann (ASV Köln) das 200-Meter-Rennen der Männer: 20,63 Sekunden bedeuteten in der Endabrechnung von A- und B-Rennen Platz acht. So ganz will der Knoten des Mannes mit der 20,02 Sekunden-Bestzeit noch nicht platzen, aber es war ein Schritt nach vorne. Der Sieg ging in 20,01 Sekunden weg, und zwar an den Niederländer Xavi Mo-Ajok, der damit sogar den Meisterschaftsrekord unterbot.
Frederik Ruppert überzeugt auf der Überdistanz
Über 5.000 Meter bestritt Frederik Ruppert (LAV Stadtwerke Tübingen) sein Rennen, als hätte er nie etwas anderes gemacht – dabei war es für den Deutschen Hindernis-Rekordler das erste Bahnrennen über diese Distanz. In einem recht langsamen Rennen heftete er sich lange an die Fersen des führenden Polen Kamil Herzyk, der später Sechster wurde. Schnell wurde es erst auf den letzten 600 Metern, und da nahm Favorit Niels Laros (Niederlande; 13:44,45 min) das Heft in die Hand. Folgen konnten nur Dominic Lobalu (Schweiz; 13:45,37 min) und Thierry Ndikumwenayo (Spanien; 13:45,38 min), vorbei kam niemand mehr.
Und Frederik Ruppert? Lieferte sich ein packendes Duell mit dem Halbmarathon-Europameister Yemaneberhan Crippa (Italien), den er schließlich auf der Zielgeraden in 13:47,31 Minuten noch abfangen konnte. "Von der Straße kenne ich die Strecke, auf der Bahn mit den vielen Runden ist es noch mal was anderes, das war schon brutal. Ich dachte schon, dass es ein langsames Rennen mit einem Kicker am Ende wird, aber ich hatte damit gerechnet, dass das früher passiert. Auf der letzten Runde kann ich einfach noch nicht mithalten. Aber ich hatte mir vorgenommen, dass ich mir einen der Top-Jungs schnappe, und das habe ich geschafft, daher bin ich sehr zufrieden."
Starke Premiere von Marc Tortell
Besonders emotional war die Berufung in das DLV-Team für Marc Tortell (Athletics Team Karben) gewesen, denn er hatte vor dieser Saison schon mit dem Karriere-Ende geliebäugelt, sich dann aber doch fürs Weitermachen entschieden und einer neuen Trainingsgruppe angeschlossen – in Madrid! Dieser Heimvorteil verlieh ihm am Sonntag Flügel.
Auf Platz neun der Meldeliste angetreten, machte Marc Tortell von Beginn an ein mutiges Rennen in der Spitzengruppe, und auch auf der Zielgeraden waren noch Körner für einen Spurt übrig, der ihn bis auf Platz fünf nach vorne brachte. Seine Zeit beim Sieg des Portugiesen Isaac Nader (3:39,08 min): 3:40,58 Minuten. "Es ist verrückt. Ich habe gestern wirklich geträumt, ich werde hier Sechster. Und ich war so glücklich darüber. Jetzt werde ich sogar Fünfter!" freute sich Marc Tortell, der nicht nur das DLV-Team auf seiner Seite wusste, sondern auch an jeder Ecke des Stadions Freunde und Bekannte aus Madrid in die Arme schloss.
Ungewöhnlich lang war 800-Meter-Spezialistin Majtie Kolberg (LG Kreis Ahrweiler) unterwegs, die sich in der Hitze von Madrid über 1.500 Meter in die Dienste des Teams stellte. Sie konnte sich zunächst in der Spitze einsortieren, als das Tempo schneller wurde, verlor sie jedoch an Boden. Am Ende einer großen Führungsgruppe kam sie schließlich nach 4:11,41 Minuten als Elfte ins Ziel. 16 Punkte für Frankreich holte Siegerin Agathe Guillemot (4:08,72 min). "Das Rennen hat mir nicht so in die Karten gespielt", musste Majtie Kolberg feststellen, "die erste Runde war sehr langsam, das war gut, aber dann wurde es schneller, und da sind mir die 1.500-Meter-Spezialistinnen doch voraus. Es war anstrengender als die 800 Meter, aber ich habe versucht, für das Team alles zu geben."
Julia Ulbricht und Adia Budde im Pech
Die ersten Punkte für das deutsche Team hatte am frühen Abend Kugelstoßer Silas Ristl (VfL Sindelfingen) gesammelt: Mit 19,15 Metern zitterte er sich in die Top Acht, dort konnte er noch einige Zentimeter draufpacken und sich mit 19,42 Metern auf den siebten Platz vorschieben. "Ich habe lange nicht gezeigt, was in mir steckt, das ist schade, besonders weil es hier ein Team-Wettkampf war", musste er feststellen. Als Nummer sechs der Meldeliste – mit einer Weite aus der Hallensaison – war er jedoch dicht dran an seiner Ausgangsposition im Feld.
Parallel nahm im Speerwurf Julia Ulbricht (1. LAV Rostock) Anlauf. Die 24-Jährige musste gehandicapt in den Wettkampf gehen, denn sie hatte sich beim Einwerfen am Fuß ihres Stemmbeins verletzt. Dementsprechend schwer tat sie sich: Auf einen ungültigen Wurf folgten 52,19 Meter und wieder ein Fehlversuch – immerhin rettete sie für das Team noch Platz elf bei ihrer Premiere in der A-Nationalmannschaft. Die Enttäuschung war jedoch trotzdem groß, schließlich hatte sich Julia Ulbricht in dieser Saison zum Kreis der 60-Meter-Werferinnen gesellt und in sechs ihrer acht Saison-Wettkämpfe mindestens 54 Meter geworfen.
Auch über 3.000 Meter Hindernis schickte der DLV eine Debütantin ins Rennen: die 19 Jahre junge U20-Vize-Europameisterin Adia Budde (LAV Stadtwerke Tübingen). Sie ging das Rennen offensiv an, lief zunächst in der Spitze mit, musste dabei aber auch zwei holprige erste Wassergräben in Kauf nehmen, die sie aus dem Tritt brachten. Als das Feld vorbeizog, heftete sie sich an das Ende der großen Führungsgruppe und behielt schließlich noch im Wettstreit mit zwei ähnlich schnellen Athletinnen die Oberhand. Nach 10:08,90 Minuten kam sie als Elfte ins Ziel. "Ich bin ein bisschen zu riskant gelaufen", stellte Adia Budde fest, "das war mein Fehler." Angesichts der hohen Temperaturen waren auch die Favoritinnen deutlich langsamer unterwegs als gewohnt. Für den Sieg und 16 Punkte reichten der Finnin Ilona Mononen 9:49,21 Minuten.