| Interview der Woche

Christopher Linke: „Für Rio trainieren wir so hart wie noch nie“

20 Kilometer Gehen in 1:19:19 Stunden: Nur drei Deutsche waren jemals schneller als am Samstag im tschechischen Podebrady der Potsdamer Christopher Linke. Warum er in diesem Jahr ausschließlich auf diese Distanz setzt, wie er im Training mittlerweile von seinen Mitstreitern profitieren kann und was die Enttäuschung der WM 2015 in Peking (China) mit Platz 39 in ihm verändert hat, berichtete der 27-Jährige am Tag darauf im Interview.
Silke Morrissey

Christopher Linke, 20 Kilometer gehend in 1:19:19 Stunden – wie fühlen Sie sich am Tag danach?

Christopher Linke:

Ich bin ganz schön kaputt! Gestern Abend waren wir beim Bankett und danach noch in einer Bar, aber wirklich ganz dezent, und waren noch ein bisschen länger auf. Demzufolge bin ich müde, kaputt, natürlich merke ich meine Muskulatur. Aber nach so einem Wettkampf ist das ganz normal, ich habe keine Beschwerden, nur muskulären Probleme.

Sie haben Ihre Bestzeit um mehr als eine Minute gesteigert und die Olympia-Norm abgehakt. Rundum zufrieden?

Christopher Linke:

Damit muss ich zufrieden sein! Die Bedingungen in Podebrady waren auch einfach perfekt. Es war kühl, hat leicht genieselt, das Feld war sehr groß, die Strecke ist super, man geht auf einer Runde und hat keine Wenden, die Zeit kosten – besser geht‘s nicht, das waren fast schon Laborbedingungen.

2015 haben Ihnen in Podebrady 1:20:37 Stunden zum Sieg gereicht. In diesem Jahr kam der Schwede Perseus Karlström schon nach 1:19:11 Stunden ins Ziel. Hatten Sie ihn auf der Rechnung?

Christopher Linke:

Ich kannte ihn, so stark hätte ich ihn aber nicht eingeschätzt. Die Australier haben in der Saisonvorbereitung ein internationales Trainingslager ausgerichtet, unter anderem mit Athleten aus Südafrika und Kanada, auch die Schweden waren da. Alle, die daran teilgenommen haben, haben sich stark verbessert, darunter eben Perseus Karlström. Dass er so schnell geht, hat wohl keiner gedacht, aber er hat von Anfang an ein super Rennen gemacht, es war ein Start-Ziel-Sieg.

Mitgehen konnten oder wollten Sie nicht?

Christopher Linke:

Ich bin die ersten 10 Kilometer in 40:06 Minuten angegangen, 14 Sekunden unter Bestleistung – ich bin nicht langsam angegangen, der Schwede nur unglaublich schnell. Am Ende war er zu weit weg, sodass ich es nicht mehr geschafft habe, ihn noch zu überholen. Aber wenn ich mitgegangen wäre, hätte ich mehr riskiert, als ich vielleicht gewonnen hätte. Es ging ja um die Olympia-Norm.

Mit Hagen Pohle und Nils Brembach, die in 1:19:58 und 1:20:58 Stunden ebenfalls Bestzeit und Olympia-Norm gegangen sind, haben Sie auch in Ihrer Trainingsgruppe fast ebenbürtige Konkurrenz. Welche Rolle spielt das für Sie?

Christopher Linke:

In den vergangenen Jahren hatten vor allem die anderen darin einen Vorteil, dass sie sich im Training an mir orientieren konnten. Mittlerweile sind wir eine leistungsstarke Gruppe, in der ich auch selbst gefordert werde, das ist ganz wichtig. Wir sind alle drei international konkurrenzfähig. Nach dem Karriere-Ende von Nils Gloger kommen über 20 Kilometer nur drei Leute für Rio in Frage, niemand nimmt einem anderen einen Startplatz weg. So gönnen wir einander die Olympia-Norm, denn umso mehr deutsche Teilnehmer es gibt, umso besser ist es für das Gehen in Deutschland.

Vor vier Jahren in London (Großbritannien) waren Sie über 50 Kilometer am Start. In diesem Jahr setzen Sie ganz auf die 20 Kilometer. Warum?

Christopher Linke:

2012 hatte ich ein sehr gutes Jahr und die Normen auf beiden Strecken. Dann war ich drei Monate verletzt und konnte keine ordentliche Vorbereitung absolvieren. Damals hatte ich nichts von der Doppel-Norm, die 50 Kilometer waren eine Notlösung. Dieses Mal habe ich zu meinem Trainer [Bundestrainer Ronald Weigel] gesagt: Wenn ich in Podebrady unter 1:20 Stunden bleibe, konzentriere ich mich auf diese Distanz. Für mich ist es wichtiger, 100 Prozent meiner Konzentration für eine Strecke zu sammeln und am Start zu wissen: Ich habe nur diese eine Chance.

Und die 20 Kilometer gefallen Ihnen besser?

Christopher Linke:

Es ist sehr schwer, die beiden Strecken zu vergleichen. Über 20 Kilometer mit einem Vier-Minuten-Schnitt ist man technisch fast am Limit. 4:30 Minuten pro Kilometer über 50 Kilometer sind zunächst angenehm, am Ende gilt es sich zu quälen. Mir persönlich macht das schnelle Gehen mehr Spaß.

Welche Chancen rechnen Sie sich nach dem Rennen in Podebrady für Rio aus?

Christopher Linke:

Im Olympia-Jahr sind generell viele Athleten sehr gut. Davon abgesehen sind Zeiten bei Olympia aber eher unwichtig. Wenn ich mit Bestzeit 20. werde, kann ich mir nichts vorwerfen. Aber mir wäre es lieber, mit einer schlechten Zeit Olympiasieger zu werden. Ich will gesund bleiben und weiter gut trainieren, dann bin ich mir sicher, dass ich in Rio konkurrenzfähig sein werde.

2015 sind Sie ebenfalls mit starker Vorleistung und sogar einem internationalen Sieg zur WM nach Peking gefahren. Dort lief es dann aber gar nicht, heraus sprang nur Platz 39. Was haben Sie daraus gelernt, was können Sie an Erfahrung mitnehmen nach Rio?

Christopher Linke:

Nach wie vor weiß ich nicht genau, was da los war. Ich habe mir sehr viel Druck gemacht, ich habe mich viel zu sehr auf meine Gegner konzentriert. Es war einer der schlechtesten Wettkämpfe, die ich je gemacht habe. Aber ich habe ihn mittlerweile gut verarbeitet. Nach Peking hatten wir die Motivationstrainerin Katja Seiffardt an unserer Seite, mit der habe ich viel zusammengearbeitet, um die WM zu verarbeiten und auch, um Strategien fürs Training zu finden. Da hat mir früher oft die Motivation gefehlt, jetzt habe ich damit überhaupt keine Probleme mehr. Das spiegelt sich dann in den Leistungen wider – genauso wie die Tatsache, dass ich sechs Monate komplett durchtrainieren und fast alle Einheiten so umsetzen konnte, wie sie der Trainer vorgegeben hat.

In Rio fehlen möglicherweise in diesem Jahr aufgrund des Doping-Skandals die russischen Geher – sonst die ersten Anwärter auf internationale Medaillen. Beschäftigen Sie sich mit diesem Thema?

Christopher Linke:

Schlimm finde ich zu hören, das Gehen sei eine der dopingverseuchtesten Disziplinen in der Leichtathletik. Wenn man sich die Namen der gesperrten Athleten ansieht, dann handelt es sich hier um ein Land. Da kann man sicher nicht von flächendeckendem Doping reden. Es ist schade, dass diese These in den Medien breitgetreten wird. Insofern beschäftige ich mich natürlich damit. Ich kann aber selbst nichts anderes machen, als mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich gehe Weltklasse-Zeiten – die schaffe ich nur mit kontinuierlichem Training. Da muss erst mal ein Russe kommen und mich schlagen. Wir sind in Deutschland Aushängeschild dafür, wie der internationale Standard für ein Doping-Kontrollsystem sein sollte. Eine deutsche Olympia-Medaille der Geher in Rio: Das wäre das Parade-Beispiel dafür, wie man es mit fairen Mitteln schaffen kann.

Wie sieht Ihre weitere Marschroute in Richtung Zuckerhut und Copacabana aus?

Christopher Linke:

Zunächst haben wir eine Entlastungswoche. Dann bereiten wir uns zehn Tage in Kienbaum auf den Weltcup in Rom vor, mit dem Team haben wir da sogar Chancen auf die Top Sechs. An der 20-Kilometer-DM in Naumburg werde ich auch teilnehmen. Ich finde es wichtig dabei zu sein, wenn auch nicht mit dem Anspruch von 100 Prozent. Teil eines zweiwöchigen Trainingslagers in Oberhof ist später auch noch die DM im Bahngehen in Bühlertal. Es ist schade, dass die nicht im Rahmen der DM in Kassel stattfindet. Wir liefern Weltklasse-Leistungen und würden uns dort gerne präsentieren! Die unmittelbare Olympia-Vorbereitung findet dann viereinhalb Wochen in Bulgarien statt, in Belmeken.

Da sind Sie ja ordentlich unterwegs in den kommenden Wochen…

Christopher Linke:

Das Olympia-Jahr ist für uns alle enorm wichtig, auch weil davon die weitere Finanzierung in den einzelnen Disziplinen abhängt. Daher investieren wir sehr viel Zeit – eigentlich 100 Prozent unserer Freizeit. Wir wollen in Rio mit guten Leistungen glänzen. Dafür trainieren wir so hart wie noch nie.

Mehr:

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