Wenn sie nicht sprintet, redet oder strahlt sie: Nachwuchs-Sprinterin Gina Lückenkemper hat bei den Deutschen U23-Meisterschaften auf den 200 Metern die Konkurrenz um Meter abgehängt und das, obwohl sie erst 17 Jahre alt ist. Dass die Deutsche Hallenmeisterin Rebekka Haase krankheitsbedingt absagen musste, darüber war sie enttäuscht. Die U18-WM-Fünfte kämpft gerne auf den letzten Metern der Zielgeraden.
Bestens informiert darüber, wo sie in der Welt steht: Die Normen für die U20-Weltmeisterschaften in Eugene (USA; 22. bis 27. Juli) hat Gina Lückenkemper (LAZ Soest) längst in der Tasche. Sie ist in ihrem Jahrgang momentan weltweit die Schnellste zeitgleich mit Arianna Washington (USA) – mit 23,26 Sekunden gelaufen bei den Deutschen U23-Meisterschaften am Wochenende in Wesel. In der Klasse U18 rangiert sie derzeit auf Platz neun.
Unter die Top Acht will sie in Eugene. Es ist mit 17 Jahren bereits ihre zweite U20-WM. Als 15-Jährige war sie 2012 in Barcelona (Spanien) bis ins Halbfinale gekommen. „Das Finale ist diesmal das Ziel und ich habe gute Chancen“, sagt Gina Lückenkemper. Vor ihr in der Rangliste steht nämlich eine Reihe von Amerikanerinnen, von denen aber nur zwei starten dürfen.
Krafttraining beim Start
Ob ihre rasante Geschwindigkeit am neuen „Sprinttrainer“ liegt, einer Kraftmaschine, die es in Deutschland nur zweimal gibt, in Wattenscheid und eben in Soest, oder ob sie einfach ein Naturtalent ist, sind wohl zwei Faktoren, die zusammen wirken. Am Start sind ihr oft alle davon gelaufen. Deshalb trainiert sie realitätsnah an dem speziellen Trainingsgerät, das den Startablauf simuliert.
„Man liegt in der Maschine in der gleichen Vorlage wie beim Start und kann darin genauso arbeiten, als würde man sprinten. Dadurch habe ich mich stark verbessert“, erklärt sie. Das Spezialtraining hat in Wesel angeschlagen.
Die Saison ist gerade erst losgegangen und sie ist mit ihrer Leistung schon absolut zufrieden. „Ich wäre glücklich, wenn ich die Zeit in diesem Bereich einfach nochmal bestätigen könnte, weil es schon Wahnsinnszeiten sind.“ Ja. Nur eine deutsche Frau war bisher schneller als der Teenager: Esther Cremer (TV Wattenscheid 01; 23,15 sec). Zur Orientierung: Die geforderte EM-Norm des Deutschen Leichtathletik Verbandes (DLV) liegt bei 23,10 Sekunden.
Auf den Spuren von Allyson Felix
Auf der Langstrecke hat Gina Lückenkemper angefangen. Als Kind hatte sie schon einen technisch sauberen Laufstil, weswegen ihr die längeren Distanzen leicht fielen. Aber auch wenn ihr Laufstil unanstrengend aussehe, sei es anstrengend, versichert sie. Fast wie Allyson Felix zieht sie die Schritte lang und ästhetisch.
Dabei hat Gina Lückenkemper gar kein Vorbild. Außer eines: Den britischen 400-Meter-Läufer Derek Redmond bewundert sie für seinen Kämpfergeist. Als einer der Favoriten zog er sich im olympischen Finale 1992 nach 150 Metern einen Muskelriss zu, stand trotzdem wieder auf und humpelte ins Ziel. Das begeistert die junge Athletin mit den eingeflochtenen Haaren. Das ist auch das, was Gina Lückenkemper antreibt, im Rennen bis zur Zielgeraden alles geben und jedes Hundertstel rausholen.
Spass an starker Konkurrenz
Dieser Fight war ihr im Finale der Deutschen U23-Meisterschaft nicht vergönnt. Die Spitzenathletinnen Katharina Grompe (LG Olympia Dortmund) und Anna Lena Freese (FTSV Jahn Brinkum) traten nicht an. Und schlussendlich musste auch noch Rebekka Haase (LV 90 Erzgebirge) kurzfristig wegen einer Erkältung passen. Auf das Duell mit der Deutschen Hallenmeisterin hatte sich Gina Lückenkemper gefreut. „Ich hätte das eigentlich gerne gehabt, dass mir mal jemand richtig Druck hinten raus macht.“
Damit bot das Rennen keine realistische Gelegenheit für sie, sich auf die starke Konkurrenz der U20-WM vorzubereiten. „Wenn mich jemand auf den letzten Metern gefordert hätte, hätte ich besser darauf achten können, dass ich am Ende nicht verkrampfe.“ So war sie alleine auf weiter Flur und konnte locker ihr Rennen durchziehen.
Das habe ihr aber abgesehen vom Meistertitel nichts gebracht. Denn: „Bei der WM wird es nicht so sein, dass ich vorne weglaufe. Da wird es andere geben, die mir davon laufen und ich muss schauen, dass ich trotzdem locker bleibe.“ Die Erfahrung gegen eine schnelle Konkurrentin zählt mehr als die Chance auf den Titel.
U23-Titel mit 17 – ein cooles Gefühl
Dennoch ist es „cool“ und ein „Wahnsinnsgefühl“ für die 17-Jährige, den U23-Titel geholt zu haben. Mit dem Podium hat sie von Anfang an geliebäugelt. Am Ende stand sie ganz oben. „Vom Meistertitel habe ich schon geträumt, aber wenn die anderen gelaufen wären, dann wäre es echt schwer und ein spannender Kampf geworden.“ Gelegenheiten sich mit der Frauen-Konkurrenz zu messen werden in Zukunft sicher noch viele kommen.
Von ihrem Fehlstart im 100-Meter-Vorlauf am Tag vorher ließ sich Gina Lückenkemper nicht beeindrucken. „Ich hatte zu viel Spannung, zu viel Energie und wollte unbedingt laufen. Der Starter war anscheinend zu langsam für mich. Dafür konnte ich die Energie dann beim 200-Meter-Lauf verbraten.“
Ein Herz für den Sprint
Viermal in der Woche trainiert Gina Lückenkemper, dreimal davon in Soest bei Trainer Harald Bottin. Einmal fährt die Gymnasiastin nach der Schule mit dem Zug nach Dortmund, wo sie mit Ulrich Kunst an ihrer Startbeschleunigung feilt. Die Spezialmaschine für das Starttraining hat sie natürlich am Heimatort. Weil: „Wir Soester haben es faustdick hinter den Ohren.“
Wie für die meisten Sportler ist für die Deutsche U20-Hallenmeisterin Olympia das Fernziel. Neben dem Erleben der Atmosphäre will sie bei den Spielen vor allem demonstrieren, wie schnell sie ist. „Ich will den Leuten zeigen, was ich kann. Schließlich trainiere ich dafür sehr viel. Das ist neben der Schule manchmal echt heavy.“ Auf der Zugfahrt nach Dortmund hat sie meistens ein Buch in der Hand.
Den Fokus legt Gina Lückenkemper auf die längere Sprintstrecke, da sie selten einen guten Start erwischt und danach mehr Zeit hat, sich wieder ran zu kämpfen. Bei der Frage, was sie vor einem Rennen macht, um sich mental vorzubereiten, muss sie überlegen. „Ich schaue, ob ich jemand finde, der mit mir redet, sonst wird mir immer langweilig.“ Vor dem Wettkampf ist sie nicht nervös. Das einzige Problem, was sie kurz vor dem Rennen hat: Sie kriegt Hunger und braucht nochmal etwas zu essen. „Ein bisschen zusätzliche Energie und dann geht’s ab!“