In Nürnberg haben elf DLV-Athleten zum ersten Mal bei Deutschen Meisterschaften der "Großen" ganz oben auf dem Treppchen gestanden. Einige von ihnen haben schon große internationale Erfolge gefeiert - andere wollen den Sprung auf die große Bühne von Olympia, WM und Co. noch schaffen. leichtathletik.de stellt die „Neuen Meister“ vor. Heute: Langhürdler Jonas Hanßen (SC Myhl LA).
<link https: www.leichtathletik.de nationalmannschaft athletenportraet athlet detail jonas-hanssen>Jonas Hanßen
SC Myhl LA
*15. Juli 1995
Größe: 1,81 Meter
Gewicht: 76 Kilo
400 Meter Hürden
Bestleistung: 49,87 Sekunden
Deutscher Meister 2015
Vierter U20-WM 2014
Siebter U20-EM 2013
Nach dem viel umjubelten vierten Platz bei der U20-WM im Vorjahr sollte die U23-EM der sportliche Höhepunkt dieses Sommers werden. Doch fünf Infekte setzten Jonas Hanßen im Vorfeld gehörig zu und bereiteten der ursprünglichen Saisonplanung den Garaus. Weil er sich für ein Turnier mit Vor-, Zwischen- und Endlauf nicht fit genug fühlte, verzichtete der Erkelenzer auf einen Start bei den kontinentalen Bestenkämpfen der Junioren – und schmiedete einen Plan B.
Die Alternative war von ungeahntem Erfolg gekrönt. Nach vier Triumphzügen in den Jugendklassen erkämpfte der 20-Jährige in Nürnberg über 400 Meter Hürden gleich bei der DM-Premiere den Meistertitel bei den Männern – mit einem Parforceritt par excellence. Rhythmisch präzise, technisch galant und läuferisch überaus dynamisch stürmte Jonas Hanßen in 49,97 Sekunden dicht an seinen Hausrekord heran.
Top-Trio von 2014 fehlte
Dass das komplette Podium des Vorjahres fehlte, bewertet der neue Meister mit gemischten Gefühlen. „Das war eigentlich schade. Ich hätte gerne gewusst, wo ich im Vergleich zu den anderen stehe. Aber das kann ich ja im nächsten Jahr immer noch gucken“, fiebert der Youngster schon der nächsten Probe aufs Exempel entgegen.
Obwohl in der Meldeliste bereits die Nummer eins und einziger Läufer mit einer Saisonbestzeit unter 50 Sekunden, wollte sich Jonas Hanßen vor Nürnberg nicht in die Favoritenrolle drängen lassen. „Über 400 Meter Hürden stehen zehn Böcke im Weg, die einem das Ganze versauen können. Da kann man so viel trainieren wie man will. Wenn es an diesem Tag nicht passt, dann passt es nicht“, nennt er unumstößliche Fakten.
„Strippenzieher“ Harald Eifert
Bei der U23-DM Mitte Juni in Wetzlar krankheitsbedingt noch außer Gefecht gesetzt, gelang Jonas Hanßen zwei Wochen später bei der Junioren-Gala in Mannheim ein richtungsweisendes Achtungszeichen: 49,87 Sekunden – eine Steigerung um 81 Hundertstel. Kurz danach durcheilte er in Recklinghausen die 400-Meter-Flachdistanz in 46,60 Sekunden – bei kühlem und regnerischem Wetter. „Ich hatte von meinem Trainer Harald Eifert den Auftrag einen rauszuhauen“, begründet der Tempobolzer seine offensive Ausrichtung.
Coach und Athlet arbeiten seit sieben Jahren zusammen. „Jonas ist keiner von denen, die Jahre am Stück immer volle Pulle fahren. Er ist aber jemand, der trotz vieler Rück- und Nackenschläge innerhalb von zwei oder drei Wochen wieder voll belastbar ist“, sagt der Lehrmeister, Ende der 1970er Jahre ein starker Mittel- und Langstreckler mit einem Leistungsspektrum von 1:51,8 Minuten über 800 bis 29:18,8 Minuten über 10.000 Meter.
Nun in der Sportfördergruppe
Im Wettkampf begleitet Harald Eifert nahezu jede Hürdenüberquerung seines Schützlings mit einem gellenden Pfiff. „Das ist rhythmisches Pfeifen, sodass er genau weiß: aha, es passt“, erklärt der 59-Jährige, der seinen Musterschüler zurzeit allenfalls an Wochenenden sieht. Denn Jonas Hanßen absolviert in der Emmich-Cambrai-Kaserne Hannover die Grundausbildung bei der Bundeswehr. Mitte Oktober kann er als Sportsoldat aber wieder in heimischen Gefilden die Laufschuhe schnüren.
Parallel setzt er sein Studium an der Deutschen Sporthochschule Köln fort. Das sportliche Fortkommen steht im Vordergrund – und die Teilnahme an den Europameisterschaften in Amsterdam (Niederlande; 6. bis 10. Juli 2016). Einen Start bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (Brasilien; 5. und 21. August 2016) hat Jonas Hanßen indes nicht in Planung. Sein Trainer hält „Olympia für eine Nummer zu groß.“
Amsterdam im Visier
„Die EM ist ein hohes Ziel, die Deutsche Meisterschaft und die U23-DM sind zwei weitere, hochkarätige Ziele. Olympia ist Mitte August, die Form muss also acht Wochen gehalten werden, das dürfte problematisch werden“, plant Harald Eifert langfristig. „Wenn das Talent reicht und Jonas gesund bleibt, sind die U23-EM und die WM 2017 sowie die EM 2018 wichtigere Ziele. Wenn es aber viel besser läuft als wir zurzeit absehen können, müssen wir bezüglich Rio natürlich neu nachdenken.“
Immer wieder hat der ländlich geprägte Kreis Heinsberg, Jonas Hanßens Heimat, leistungsstarke Leichtathleten hervorgebracht, doch oft wanderten sie zu den Hochburgen an Rhein und Ruhr ab. Der kleine SC Myhl LA will diesen Trend stoppen. „Wir haben die Möglichkeiten alles professionell zu machen. Und das bauen wir weiter aus, um im Vergleich zu größeren Vereinen konkurrenzfähig zu werden“, umschreibt Jonas Hanßen das Szenario.
Etliche lokale Sponsoren greifen ihm unter die Arme, akquiriert über einen eigens installierten Förderverein. Das Talent bekam er sozusagen in die Wiege gelegt. Die Mutter lief 1983 unter ihrem Mädchenamen Petra Reiners 800 Meter in 2:09,54 Minuten, Vater Peter Hanßen – ebenfalls im Trikot des längst nicht mehr existenten SSV Erkelenz - im selben Jahr 100 Meter in handgestoppten 10,6 Sekunden. Für Jonas Hanßen allesamt beste Voraussetzungen, um weitere Hürden zu nehmen.
Das sagt Bundestrainer Volker Beck: |
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Jonas war die Überraschung der Saison, nachdem seine Vorbereitung mit großer Einschränkung verlaufen ist. Er war viel krank. Die Leistung bei der Junioren-Gala in Mannheim war für alle eine Riesenüberraschung. Ebenfalls eindrucksvoll war sein Auftritt bei der DM in Nürnberg gegen die alten Hasen Georg Fleischhauer und Christian Heimann. Zwischenzeitlich ist er auf der Flachdistanz 46,60 Sekunden gelaufen, das ist der Leistung mit Hürden adäquat und ein sehr guter Zubringerwert. Das war im Vorfeld ebenfalls nicht zu erwarten, auch von den leistungsdiagnostischen Werten her. Er ist ein Athlet, der sich in den letzten Jahren jeweils um rund eine Sekunde verbessert hat. Die stetigen Steigerungen beweisen, dass Jonas Hanßen ein sehr zielstrebiger Athlet ist, der mit seinem Trainer Harald Eifert ein gutes Team bildet. Mit seinen 49,87 Sekunden ist er ja in diesem Jahr vor der U23-EM auf den vierten Platz der europäischen Junioren-Bestenliste geklettert. Deshalb haben wir ihm die Möglichkeit offeriert, auch nach dem offiziellen Meldeschluss die Möglichkeit an der U23-Europameisterschaft noch zu realisieren. Das hat er in Absprache mit seinem Trainer nicht wahrgenommen. Sie haben glaubhaft begründet, dass sie für ein Turnier nicht vorbereitet waren aufgrund des unplanmäßigen Saisonverlaufs. Wenn sie für Deutschland starten, dann wollen sie auch topfit sein, so die Begründung. Das war eine bemerkenswerte Entscheidung. Im nächsten Jahr geht es um die Stabilisierung der Leistung. An der Olympianorm orientiert er sich nicht, wobei ich seit diesem Jahr sage: Nichts ist unmöglich, er ist immer für eine Überraschung gut.