Funktionsgymnastik (Teil 1)
von Christian Ziegler (DLV-Physiotherapeut)
Der Begriff "Funktionsgymnastik" wurde in den 80er-Jahren geprägt und hat bis heute im Sport eine große Bedeutung. Die Funktionsgymnastik geht über die allgemeine körperliche Ertüchtigung hinaus, sie berücksichtigt die Erkenntnisse aus der funktionellen Anatomie, der Physiologie, der Biomechanik und der Trainingswissenschaft. Funktionsgymnastische Übungen sind im Sinne der Funktionserhaltung und möglicherweise der Funktionsverbesserung der Organsysteme wirksam.
Ziele funktionsgymnastischer Übungen
Die Funktionsgymnastik dient der Ökonomisierung und Optimierung sportartspezifischer Bewegungsformen. Viele Athleten haben im Bereich der muskulären Sicherung (Haltemuster) deutliche Leistungsreserven. Die Aktionsmuster werden bei jedem Training beansprucht, dagegen werden die sichernden und als Voraussetzung für Aktionsmuster nötigen Haltemuster häufig vernachlässigt. Beispielsweise ist die bewusste Sicherung des Körperschwerpunktes eine unerlässliche Voraussetzung für die Aktionsmuskulatur im Sprint oder Sprung. Das heißt: Von einer Ökonomisierung oder gar Optimierung der Bewegungsabläufe kann nicht gesprochen werden, wenn das Achsenorgan "Wirbelsäule" nicht ausreichend stabilisiert werden kann. Es kommt zum Energieverlust bezüglich der Bodenreaktionskräfte, die auf den Körper auftreffen. Mit der mangelnden Stabilisierungsfähigkeit ist häufig schon ein Grundstein für spätere Verletzungen oder gar Sportschäden gelegt. Um dies zu vermeiden, ist ein präsaisonaler Check bei Sportlern unbedingt notwendig. Gegebenenfalls müssen Defizite in der Beweglichkeit, Kraft und Koordination zunächst abgebaut werden. Das dann erreichte Niveau sollte durch wiederkehrende Erhaltungsreize während der Saison in das Aufwärmprogramm eingearbeitet werden.
Besonders im Hochleistungssport ist es das Ziel, möglichst präzise und ökonomische Bewegungsabläufe zu erreichen. Dazu ist das Zusammenspiel verschiedener Muskeln durch die Verschaltung von im Gehirn entwickelter Bewegungsprogramme und der neuromuskulären Steuerung in der Peripherie (Umgebung) notwendig.
Einteilung der Funktionsgymnastik
Die Funktionsgymnastik lässt sich übergreifend in Mobilisations- (Beweglichkeits- und Dehnübungen) und Kräftigungsübungen einteilen. Übungen erhalten ihre funktionelle Wirkung durch festgelegte Körperpositionen und Bewegungsausführungen, wobei der eingenommenen Gelenkstellung, der beabsichtigten Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit eine besondere Bedeutung zukommt. Dabei dürfen die Kräftigungsübungen aber nicht mit dem klassischen Krafttraining verglichen werden. Dafür sind die gesetzten Reize je nach Ausgangsposition zu unterschwellig und zu kurzzeitig. Die Kräftigungsübungen sollten vielmehr als "Ansteuerungsübungen" verstanden werden.
Die präzise willkürliche Ansteuerung von Bewegungen ist nicht einfach. In der Trainingspraxis sollte deshalb Folgendes beachtet werden:
- Bei Ansteuerungsschwierigkeiten muss eine enge individuelle Betreuung erfolgen. Dies ist die Aufgabe eines erfahrenen Trainers oder eines im Sport (Leistungssport) tätigen Physiotherapeuten.
- Die Funktionsgymnastik bildet unter dem Aspekt der Ansteuerung die Grundlage für das eigentliche Krafttraining.
- Um Muskeln ungehindert und gezielt ansteuern und koordiniert agieren zu können, muss eine gewisse Beweglichkeit vorhanden sein. Nur so erreicht der Athlet eine saubere Technik in der jeweiligen Disziplin. Das sportartspezifische Bewegungsausmaß einzelner Gelenke muss daher erhalten bleiben.
Im folgenden kleinen ersten Teil des Übungskatalogs werden zwei Mobilisationsübungen aufgeführt, die in einem zweiten Teil durch acht Ansteuerungsübungen ergänzt werden.
Die beiden aufgeführten Mobilisationsübungen wurden bewusst ausgewählt, weil sie auf weniger bekannte Defizite hinweisen. Die freie Rotation in der Brustwirbelsäule ist eminent wichtig. Häufig ist die Rotation in diesem Wirbelsäulenabschnitt auf Kosten einer vermehrten Rotation in der Lendenwirbelsäule (latent) eingeschränkt. Längerfristig kann dies zu Instabilitäten (Überlastungen) und Verletzungen führen.
Die freie Rippenmobilität bei der Ein- und Ausatmung ist nicht nur für die funktionierende Biomechanik des Brustkorbs notwendig, sondern auch für die pulmonale Kapazität. Durch die Einstellung der Seitneigung (s. Übung 2, rechtes Bild) wird die gesamte laterale myofasziale (= die Muskulatur und umschließende Faszien betreffende) Kette mit seinen beteiligten Strukturen mobilisiert. Bei den Mobilisationsübungen sollte …
- … langsam in die endgradige Mobilisationsrichtung gearbeitet werden.
- … bewusst langsam ein- und ausgeatmet werden.
- … die Konzentration auf den zu mobilisierenden Strukturen liegen.
Übungskatalog: Mobilisationsübungen
Übung 1: Rotationsmobilisation der Wirbelsäule
- Der Sportler liegt in Seitenlage mit einem Hüft- und Kniegelenkswinkel von mindestens 90 Grad (s. oberes Bild). Der Kopf ist unterlagert, sodass er in Verlängerung der Wirbelsäule aufliegt.
- Die Bewegung beginnt mit der Rotation des Kopfes, es folgen der obere Arm und der Oberkörper. In der Endposition bleibt der Sportler in der Rotation entspannt liegen (s. unteres Bild).
- Mit der Ausatmung kann der Arm noch weiter vom Kopf weggeschoben werden.
Übung 2: Unspezifische Mobilisation seitlicher Strukturen
- Der Sportler liegt in Rückenlage und führt den rechten Arm gewinkelt neben dem Kopf (max. Elevation), sodass die Hand zwischen den Schulterblättern liegt. Das rechte Bein wird über das linke gelegt (s. linkes Bild).
- Der Oberkörper wird nach links versetzt, danach ebenso die Beine. Als Verstärkung wird der angewinkelte Ellenbogen des rechten Armes mit der freien Hand zur Seite gezogen (s. rechtes Bild). Endposition ist die maximale Seitenlage. Der Sportler lenkt seine Atmung dabei in die gedehnte rechte Seite.