
Denksysteme
Schnelles und langsames Denken
Unser Verhalten und Erleben verläuft in den meisten Situationen des Lebens automatisch und mühelos, wie von selbst. Wenn aber etwas Unerwartetes passiert oder wenn man unter Druck steht, ist alles anders. Was passiert dabei eigentlich? Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman beschreibt unsere Erlebens- und Denkprozesse in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ mit zwei Systemen.
System 1 (schnelles Denken) verhilft uns zu intuitiven Interpretationen und unmittelbaren Verhaltensreaktionen. Beispiel: Auf der Straße kommt mir eine Person entgegen - ich erkenne und begrüße sie. System 1 verknüpft die aktuelle Wahrnehmung (entgegenkommende Person) mit gespeicherten Erfahrungen (die Person ist mir bekannt) und gelernten Verhaltensmustern (bekannte Personen grüßt man). Das verläuft ohne viel Nachdenken und scheinbar mühelos.
System 2 (langsames Denken) wird in unserem Beispiel eingeschaltet, wenn die entgegenkommende Person unbekannt ist und vielleicht sogar bedrohlich erscheint. System 2 versucht dann, Erklärungen zu finden und die Situation zu bewerten. Als Ergebnis weiche ich vielleicht auf die andere Straßenseite aus.
Unter Druck entstehen Unsicherheiten
Unsicherheiten können entstehen, wenn in unserem intuitiven System 1 aufgrund vorheriger Ereignisse bereits negative Erfahrungen verknüpft sind, die unter dem Druck einer entsprechenden Situation dann hochkommen. Beispiel: Wer dreimal im gleichen Stadion verloren hat, wird beim vierten Mal vermutlich eher ängstlich auftreten und wieder eine Niederlage befürchten.
Oder das analysierende System 2 wird unter Druck unnötigerweise zu häufig eingeschaltet. Es bewertet und interpretiert dann mehr als nötig und übernimmt zu viel Kontrolle über unser Handeln, zum Beispiel mit Gedanken wie „Bei der Konkurrenz im meinem Lauf muss ich mindestens 150 Prozent geben, um überhaupt ins Finale zu kommen“. Die Folge ist wahrscheinlich verkrampftes Verhalten.
Was folgt daraus für den Alltag?
Leider können wir nur unser langsames Denken (System 2) aktiv und unmittelbar beeinflussen: Wenn wir merken, dass unser intuitives System 1 Ängste auslöst, dann sollten wir möglichst bald System 2 einschalten und uns zum Beispiel klarmachen, dass die drei ersten Niederlagen andere Gründe hatten, an denen man gearbeitet hat und dass es keinen Grund für eine vierte Niederlage gibt. Das verängstigte System 1 wird sich dann irgendwann wieder anpassen, aber das dauert etwas.
Wenn das langsam denkende System 2 „überaktiv“ ist, sollte man sich klarmachen, dass man nicht alles über Nachdenken steuern kann. Es gilt wieder zu lernen, Dinge loszulassen und intuitiv („einfach so“) zu machen: z.B. „Lauf DEINEN Lauf!“. Schließlich regelt die intuitive Steuerung normalerweise den Großteil unseres Lebens und macht dies gut – wenn wir es nur lassen.
Erfolgreiches Handeln im Sport erfordert also ein gutes Zusammenspiel von System 1 und 2. Wenn etwas nicht funktioniert, könnte es an einem gestörten Gleichgewicht der beiden Systeme liegen: Manchmal ist dann mehr langsames Denken (System 2) gefragt, um das intuitive schnelle Denken (System 1) zu zügeln. Manchmal ist System 2 auch zu bremsen, weil es Dinge versucht, die System 1 einfach besser kann. Daher braucht Erfolg ein gutes „System-Management“!
Literaturtipp:
Daniel Kahnemann: Schnelles Denken, langsames Denken. München: Siedler Verlag (2012).