200 Meter: Sebastian Ernst – zurück zu früherer Stärke
Von Alexander Seeger
Die Lehrbildreihe Nr. 1474 zeigt Sebastian Ernst in der Startphase seines Finallaufs über 200 Meter bei den Deutschen Hallenmeisterschaften 2011 in Leipzig, bei dem er in 20,42 Sekunden zum Titel lief und zudem einen neuen Deutschen Hallenrekord aufstellte.
Sebastian Ernst bevorzugt eine mittlere Startposition. Insbesondere bei Hallenstarts über 200 Meter mit ansteigender, geneigter Bahn sowie relativ enger Kurve, wird diese Startstellung häufig von den Athleten genutzt. Sie ist generell als besonders zweckmäßig anzusehen, weil der Athlet dabei nicht nur sein Körpergewicht gleichmäßig auf Arme und Beine verteilen kann, sondern auch durch die entstehenden Kniegelenkswinkel sehr günstige Voraussetzungen für einen druckvollen und explosiven Start erreicht.


Kommentar zu der Bildreihen von Sebastian Ernst
Sebastian Ernst setzt seine Füße so an den Startblock, dass die Fußspitzen gerade noch etwas Bodenkontakt haben. Die Schultern befinden sich in der Position "Auf die Plätze" nahezu senkrecht über der Startlinie (s. Bild 1). Der Blick ist nach unten gerichtet, wobei der Kopf eine natürliche Verlängerung der Wirbelsäule aufweist. Insgesamt zeigt er eine zweckmäßige und entspannte Haltung in dieser Position.
In der "Fertig-Stellung" (s. Bilder 2 und 3) erreicht Sebastian Ernst im vorderen Bein einen Kniegelenkswinkel von 90, im hinteren Bein von 115 Grad. Seine Beckenachse steht etwas höher als die Schulterachse, die Füße arbeiten aktiv gegen die Blöcke. Hinzu kommt eine leichte Verlagerung der Schulterachse nach vorn. Auf diese Weise wird der Körperschwerpunkt etwas vor den Stützpunkt des vorderen Beins geschoben. - Mit dieser Haltung schafft sich der Athlet auch in der Fertig-Position eine günstige Ausgangslage für den nachfolgenden explosiven Abdruck in die ersten Sprintschritte.
Nach dem Startschuss muss der rechte Arm schnell nach vorn schwingen, gleichzeitig ist ein kräftiger Abdruck vom Startblock nach vorn-oben gefordert. Bei Sebastian Ernst ist das geringe Anfersen, kombiniert mit dem schnellen und verhältnismäßig flachen Zug nach vorn nach dem Lösen vom Block mit dem hinteren Bein als positiv zu bewerten. Das rechte Bein ist am Ende des Abdrucks vom Block nahezu vollständig gestreckt (s. Bild 5) und Sebastian Ernst befindet sich in dieser Bewegungsphase in einer angemessenen Körpervorlage.
Deutliches Verbesserungspotenzial gibt es in der aktiven Armschwungbewegung. Der Wattenscheider zieht hier die Schultern etwas zu stark nach oben und der rechte Arm schwingt zu stark zur Mitte unter den Kopf (s. Bilder 4 und 5). Besser wäre es, ihn aktiv nach vorn vor den Kopf zu bewegen. Hinzu kommt, dass der linke Arm beim Rückschwung im Ellenbogengelenk vollständig gestreckt ist (s. Bilder 4 bis 7). Eine aktive Rückführung des Arms mit Beugung im Ellenbogengelenk würde sich positiv auf die Beschleunigungsphase des Athleten auswirken.
Aufgrund der beschriebenen fehlerhaften Armschwungbewegungen kommt es bei Sebastian Ernst in der Folge zu einer Rotation in der Schulterachse (s. ab Bild 6). Diese Rotation wiederum führt dazu, dass er seine Schrittlänge noch nicht optimal ausnutzen kann und die Beschleunigung in den freien Sprint somit erschwert wird.
Der erste Fußaufsatz nach dem Abdruck vom Block erfolgt aktiv und knapp hinter dem Körperschwerpunkt (s. Bilder 7 und 8). Die Position lässt vermuten, dass Sebastian Ernst trotz der beschriebenen Armschwungbewegungen sehr schnell über den ersten Bodenkontakt hinaus in die nächsten Schritte "weiterbeschleunigen" konnte.
Im zweiten Schritt erreicht der Wattenscheider eine gute Ganzkörperstreckung (s. Bild 9). Durch das leichte Verdrehen der Schulterachse bleibt er in dieser Phase nicht aktiv genug in der Körpervorlage, sodass der folgende Fußaufsatz mit dem rechten Bein (s. Bilder 11 und 12) unter dem Körperschwerpunkt erfolgt. Besser wäre auch hier eine Position knapp hinter dem Körperschwerpunkt. In den folgenden Bildern (s. Bilder 11 bis 15 auf Seite 20 und 21) setzt Sebastian Ernst das Aufrichten des Körpers fort und geht in den "freien Sprint" über.
In Ausgabe 7/2011 von leichtathletiktraining werden neben der ausführlichen Kommentierung der Bildreihe detaillierte Informationen zu den Beobachtungsschwerpunkten im Tiefstart und zu den unterschiedlichen Blockeinstellungen gegeben. Außerdem gibt André Ernst, Heimtrainer von Sebastian Ernst, in einem Interview und mit Hilfe von exemplarischen Wochentrainingsplänen einen Einblick in das Training des Wattenscheider Sprinters.