
Eine leistungssportliche Karriere benötigt einen jahrelangen Aufbau, tausende Stunden Training, Reisen zu Wettkämpfen auf der ganzen Welt sowie verständnisvolle Freunde und Familie. Das alles mit dem Wissen, dass diese Karriere ein Verfallsdatum hat. Und die hohen Anforderungen an die körperlichen und mentalen Ressourcen fordern oft das Ende der Leistungssport-Laufbahn, bevor das Potenzial eines Sportlers ausgeschöpft ist. So erging es auch Dennis Lewke, der in diesem Jahr das Ende seiner Kugelstoß-Karriere aus gesundheitlichen Gründen verkündete. Wir haben mit ihm über seinen Weg bis zu dieser Entscheidung gesprochen, wie er sich nun damit fühlt und wie es beruflich für ihn weitergeht.
Dennis, bitte erzähl mal, wie die vergangenen Monate waren und was letztendlich zu deiner Entscheidung geführt hat.
Sehr vieles ist passiert: Nach 2020 mit anhaltenden Schulterproblemen habe ich es durch ganz gezieltes Training innerhalb von 1,5 Monaten Training mit der Kugel geschafft, mir ein Leistungspotenzial zu erarbeiten, welches ich vorher so noch nie hatte. Das machte mich optimistisch für die Olympiasaison, denn Potenzial für 20,5 Meter oder sogar etwas mehr war da. Das Training bis April lief auch wirklich sehr gut – doch dann kamen schleichend Rückenschmerzen.
Es gab Trainings, in denen stieß ich richtig weit, in anderen überhaupt nicht. Das kannte ich von mir so nicht. Ich versuchte, mich durch therapeutische Unterstützung wieder fit und beweglich zu kriegen, denn bis zu den Deutschen Meisterschaften war es nicht mehr lang. Die Schmerzen waren mal besser, mal schlechter. Richtig weg waren sie nie.
Bei den ersten Wettkämpfen habe ich dann deutlich gemerkt, dass ich die so wichtige Spannung zwischen Becken und Schulter nicht mehr aufbauen konnte. Dementsprechend ging es nicht so weit wie es hätte sollen und können. Ich wollte unbedingt die Deutschen Meisterschaften machen, auch wenn Olympia zu dem Zeitpunkt kaum noch möglich für mich war. Und es gab unmittelbar vorher sehr gute Leistungen im Training, trotz der ganzen Rückengeschichte. Zu der Zeit habe ich aber schon befürchtet, dass es doch etwas Ernsteres ist, denn zuvor haben wir es immer rasch wieder hinbekommen, wenn ich Beschwerden hatte.
Bei den Deutschen Meisterschaften war es dann von morgens an regnerisch und kühl und meine Muskulatur hat direkt zugemacht und geschmerzt. Ich war zunächst enttäuscht, weil ich wieder mein Potenzial nicht abrufen konnte. Im Nachhinein – mit dem Wissen, woran es lag – bin ich sehr stolz auf die Bronzemedaille, die ich dort gewann. Am Tag danach habe ich meinen Arzt mit der Bitte um ein MRT kontaktiert. Diagnose: zwei Bandscheibenvorfälle. Ich rief sofort meinen Trainer an und vereinbarte mit ihm ein paar Tage Bedenkzeit, um das Ganze zu verarbeiten und zu überlegen, wie es weitergehen soll.
Und dann musstest du eine Entscheidung treffen.
Genau. Ich habe mir immer geschworen, wenn ich mich mal in der Situation befinde, in der ich mich zwischen Leistungssport und Gesundheit entscheiden muss, ist klar, dass ich mit dem Leistungssport aufhöre, und zwar aus Liebe zum Sport. Ich möchte noch viele Sportarten ausüben, weil es mir einfach extrem viel Spaß macht und ich möchte mich nicht mit 50 Jahren kaum noch bewegen können. Also schrieb ich eine Leistungssport Pro-Contra-Liste – und die Contra-Seite wurde von Tag zu Tag länger.
Mir wurde klar, wenn ich weiter erfolgreich Leistungssport würde machen wollen, müsste ich es schaffen, mich in den nächsten 2 bis 4 Jahren mindestens um einen weiteren Meter zu steigern. Das würde durch den Bandscheibenvorfall nicht leichter werden. Es könnte auch passieren, dass ich weitermache und es nicht schaffe, mich weiterzuentwickeln oder dass ich sogar noch stärkere Probleme mit meinem Rücken kriege als bisher schon. Würde ich über meine gesundheitlichen Grenzen gehen, könnte das richtig Spuren für mein späteres Leben hinterlassen.
All das waren Faktoren, die mich zu dem Schluss kommen ließen, dass ich mich von dem Leistungssport verabschieden sollte.
Was ist dabei in dir vorgegangen?
Dennis Lewke:
Ich war natürlich sehr traurig, weil ich glaube, dass ich mein leistungssportliches Lebenswerk nie zu Ende bringen und mein Potenzial nicht zu hundert Prozent abrufen konnte. Ich bin mir sicher, dass noch einiges an Leistung in mir geschlummert hat. Ich hatte große Ziele und habe sehr viel dafür gegeben all die Jahre.
Andererseits konnte ich aber auch einen Rucksack Ballast abstellen, weil es auch einiges kostet, den Leistungssport und das „zivile“ Leben zu vereinbaren. Natürlich wusste ich immer, dass die Zeit des Leistungssports begrenzt ist und so habe ich 2012 mit einer Physiotherapie-Ausbildung begonnen, mir ein Leben nach dem Sport aufzubauen. Ich bin sehr dankbar und zufrieden, dass ich diesen Weg bis hierhin so gehen konnte.
Hattest du auch Gedanken in der Art „als Physiotherapeut hätte ich es besser wissen/machen müssen“?
Ich hatte keine Gedanken in diese Richtung, denn solche Probleme kommen meiner Ansicht nach nicht über Nacht. Das Kugelstoßen an sich ist schon eine sehr einseitige Belastung mit riesigen Kräften, die ich nun seit 2007 intensiv betrieben habe.
Ich habe in den letzten Jahren auch in Zusammenarbeit mit meinem Trainer Wilko Schaa viel investiert und probiert, diese Belastungen bestmöglich auszugleichen. Dabei wurde uns des Öfteren klar, dass gerade auch das intensive Training im Jugendalter bei mir Spuren hinterlassen hat.
Ich denke, ohne diesen zusätzlichen Aufwand des ausgleichenden, prophylaktischen Trainings, wäre für mich deutlich früher Schluss gewesen mit dem Leistungssport.
Wie geht es nun für dich weiter?
Ich habe eine 6-wöchige Reha hinter mir und trainiere nun ab. Das bedeutet vor allem ausgleichendes Training unter Herzfrequenzkontrolle. Etwas Schmerzen habe ich noch, aber ich mache mich weiterhin fit für all das, was nun kommt. Bis zum 30. September bin ich noch in der Sportförderung der Bundeswehr, für die ich mich herzlich bedanken möchte.
Außerdem bin ich mitten in den Vorbereitungen zur Eröffnung meiner Heilpraxis am 1. Oktober 2021 in Magdeburg. Dort möchte ich umfangreiche alternative Behandlungsangebote aus Physiotherapie, Osteopathie, Traditioneller Chinesischer Medizin und angewandter Kinesiologie anbieten, vor allem für Schmerzpatienten und Sportler mit Beschwerden.
Also bleibst du dem Leistungssport immerhin in dieser Form treu.
Ich bin und bleibe im Herzen Sportler und denke, dass ich in meiner leistungssportlichen Karriere viele Erfahrungen gemacht habe, die auch für andere ambitionierte Leistungs- und Breitensportler hilfreich sein können. In Kombination mit meinen Ausbildungen im Gesundheitswesen möchte ich diese nun vor allem therapeutisch anwenden und weitergeben. Erste Kooperationen mit Institutionen des Sports sind ebenfalls schon im Gespräch.
Mein Ziel ist es, Sportler in Zusammenarbeit mit alternativer und konservativer Medizin gesund zu halten und sie dabei zu unterstützen, optimale Leistungen zu bringen. Darauf freue ich mich riesig.
Wir wünschen dabei viel Erfolg! Danke für das Interview, Dennis.