Geschwister im Leistungssport sind keine Seltenheit. Und dennoch wird nur selten über diese besondere Konstellation berichtet, die viele Vorteile, aber auch Risiken mit sich bringen kann. Die Marathon-Zwillinge Rabea und Deborah Schöneborn berichten anlässlich des „Tags der Geschwister" (10. April) offen über ihre Erfahrungen. Von Leistungsdruck, Motivationsschüben und dem Erfolgsrezept der Kommunikation.
Ihre Geschichte ist meist eng miteinander verwurzelt, sie teilen die Leidenschaft für dieselbe Sportart und motivieren sich oftmals gegenseitig zu Höchstleistungen. Ob die Klitschko-Brüder im Boxen, die Williams-Schwestern im Tennis oder Michael und Ralf Schuhmacher im Motorsport – erfolgreiche Geschwister sind im Leistungssport keine Seltenheit.
Auch in der Leichtathletik gibt es diese Konstellation. Den größten internationalen Bekanntheitsgrad haben dabei wohl vor allem die drei norwegischen Ingebrigtsen-Brüder Jakob, Filip und Henrik, die auf der Mittel- und Langstrecke zahlreiche Erfolge einfahren konnten. In Deutschland sind es derzeit unter anderem die beiden Marathon-Zwillinge Rabea und Deborah Schöneborn (SCC Berlin), die für Familienerfolge sorgen.
„Man teilt eine große Gemeinsamkeit miteinander und hat jemanden, mit dem man sich für die täglichen Trainingseinheiten motivieren kann. Auch im Alltag macht es vieles einfacher, weil das Verständnis untereinander groß ist“, erklärt Olympia-Teilnehmerin Deborah. Durch den regelmäßigen Vergleich würden sie es auch sofort merken, wenn einer das Training schleifen lassen würde. „Das pusht“, ergänzt Rabea, Deutsche Meisterin über 10.000 Meter.
Von Erfahrung und Fehlern lernen
Und vor allem schweißt der Sport zusammen. Das berichtet auch Mohamed Mohumed (LG Olympia Dortmund), U23-Europameister über 5.000 Meter. Mein Bruder und ich sind sehr eng miteinander. Ich habe ihn eigentlich immer dabei – oder er mich. Grundsätzlich machen wir fast alles zusammen – wir wohnen zusammen, fahren gemeinsam ins Trainingslager und trainieren sehr, sehr viel zusammen. Er spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben“, sagt der 23-Jährige über seinen vier Jahre jüngeren Bruder Yassin, der im vergangenen Jahr Silber bei der U20-EM über 3.000 Meter holte.
Jüngere Geschwister können dabei oftmals von den Erfahrungen älterer Familienmitglieder lernen. So sagte erst kürzlich Emma Kaul, jüngere Schwester von Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul (beide USC Mainz) und selbst erfolgreiche Nachwuchs-Mehrkämpferin, gegenüber dem “SWR“: „Er pusht mich, er gibt mir Ratschläge und Tipps, gerade bei technischen Sachen. Das ist für mich super wertvoll."
Von Erfahrungen lernen heißt dabei auch von Fehlern lernen. Extrembeispiel hierfür: Die Ingebrigtsen-Brüder. Vater Gjert, der auch Trainer seiner Söhne ist, betonte in der Vergangenheit mehrfach, dass er das Training bei seinem ältesten Sohn Henrik manchmal übertrieben habe. So seien die gesundheitlichen Probleme des Vize-Europameisters über 5.000 Meter darauf zurückzuführen, dass er frühere Verletzungen oder Krankheiten nicht ernst genug genommen habe. „Vater hat bei ihm alle Fehler unterlassen, die er bei mir begangen hat“, antwortete Henrik Ingebrigtsen einst selbst auf die Frage, was seinen jüngeren Bruder Jakob, Olympiasieger über 1.500 Meter, so gut mache.
Selbst Zwillinge reagieren nicht identisch auf Trainings-Reize
Bei all den Vorteilen, die die Geschwister-Konstellation im Leistungssport mit sich bringt, hat sie auch ihre Kehrseite. Das wissen vor allem die Schöneborn-Zwillinge, deren ältere Schwester Lena 2008 bei den Olympischen Spielen im Modernen Fünfkampf Gold gewann, zu berichten. „Auf die sportliche Leistung bezogen kommt sehr häufig die Frage, warum die eine schneller war als die andere. Es wird vorausgesetzt, dass unsere Leistungen gleich sein müssen, weil wir die gleichen genetischen Voraussetzungen mitbringen. Klar, das sind wichtige Parameter, aber es gibt eben doch noch mehr Faktoren, die die Leistung beeinflussen“, erklärt Rabea.
So zeigte beispielsweise eine im Jahr 2020 veröffentlichte Studie aus Australien, dass nicht alle Menschen zwangsläufig identisch von demselben Trainings-Reizen profitieren. Auch eineiige Zwillinge nicht. Neben den Genen spielen demnach zahlreiche weitere Faktoren, wie etwa Schlafdauer, Essgewohnheiten und Tagesablauf, eine entscheidende Rolle bei der sportlichen Entwicklung eines Athleten.
Vom ständigen Leistungsvergleich von außen sind Deborah und Rabea Schöneborn selbst „teilweise genervt.“ Doch auch in ihrer eigenen Wahrnehmung seien sie davon nicht befreit. „Wir machen das ja selbst. Wenn Debbie eine neue Bestzeit aufstellt, möchte ich beim nächsten Wettkampf nachziehen“, erläutert Rabea.
Prof. Dr. Michael Gutmann: „Erfolg bedeutet nicht, ein besserer Mensch zu sein“
Doch das ist nicht immer möglich, wie Rabea Schöneborn im vergangenen Jahr schmerzhaft erfahren musste. Lediglich acht Sekunden war sie zum Ende des Olympia-Qualifikationszeitraums langsamer als ihre Schwester und verpasste dadurch die Teilnahme an den Tokio-Spielen. Deborah konnte sich ihren Traum dagegen erfüllen und wurde in Sapporo 18.
„Das war genau die Situation, die wir nicht wollten. Es hat sich gezeigt, dass uns Reden hilft. Ich konnte sehr offen auf Debbie zugehen und sagen, dass das weh tut. Sie ist dem mit viel Verständnis begegnet. Mit dieser Offenheit konnten wir gut damit umgehen“, erklärt Rabea das Erfolgsrezept der Kommunikation.
Während sich die Schöneborn-Zwillinge derzeit auf einem nahezu identischen Leistungsniveau bewegen, ist der Leistungsunterschied bei manch anderen Geschwistern deutlich größer. Prof. Dr. Michael Gutmann, leitender DLV-Verbandspsychologe, rät dazu, sich in solchen Situationen nicht zu stark zu vergleichen: „Jeder sollte sich vor allem selbst betrachten und auf seine eigenen Träume und Ziele schauen. Durch die Orientierung am persönlich Wichtigen kann der Neid in den Hintergrund rücken.“ Außerdem solle sich jeder klarmachen, dass Erfolg nicht bedeute, ein besserer Mensch zu sein.
Der Idealfall: Gemeinsam erfolgreich
Rabea und Deborah Schöneborn sehen in der Geschwister-Konstellation indes mehr Vorteile als Nachteile. „Wir haben für uns festgestellt, dass der Nutzen die Nachteile überwiegt. Dass wir uns als Trainingspartner haben und uns gegenseitig motivieren können und dass der Leistungsvergleich etwas ist, was damit eben einhergeht.“
Am schönsten seien ohnehin die Erfolge zusammen. „Wir sind umso glücklicher, wenn wir beide zufrieden sind. Wenn wir beide das gleiche Rennen machen und beide erfolgreich sind, können wir uns darüber vielmehr freuen, als wenn nur Rabea oder nur ich erfolgreich bin. Klar, wir freuen uns auch einzeln, aber die Freude ist ausgelassener und wir können sie durch das gemeinsame Teilen noch viel stärker genießen“, sagt Deborah Schöneborn.