Eine schwere Achillessehnenverletzung warf Corinna Harrer im Juni aus der Bahn. Inzwischen ist die Regensburgerin schmerzfrei und kann bereits wieder 80 Kilometer in der Woche laufen: „Ich bin jetzt mega positiv gestimmt“, sagt die Mittelstrecklerin. Trotzdem gibt es noch das ein oder andere Fragezeichen - und natürlich den großen Traum von Olympia 2016.
Deshalb verwundert es nicht, wenn Corinna Harrer jetzt vom „Tiefpunkt meiner Karriere“ spricht. Solche Rückschläge muss man erst einmal wegstecken als Leistungssportlerin. Eine Operation, die ihr wahrscheinlich alle Chancen auf eine Olympia-Teilnahme 2016 geraubt hätte, stand mehr als einmal im Raum. Doch sie entschied sich dagegen und für eine konservative Therapie: „Das war ein Kantenweg, nicht der normale Weg.“
Ihre Geduld wurde auf die Probe gestellt. Über Wochen grübelte die 24-Jährige auch über ein mögliches Karriereende nach. „Will mein Körper nicht mehr? Ist es an der Zeit aufzuhören? Kann ich vielleicht nur noch Radfahren und nicht mehr Laufen?“, waren Fragen, die ihr durch den Kopf schossen. Der Einstieg ins Berufsleben wäre kein Problem für sie. Ihre abgeschlossene Bankausbildung in der Sparkasse würde ihr hier alle Türen öffnen.
Viel Kraft aus der Reha geschöpft
Doch die Erkenntnis, an dieser Stelle als Leistungssportlerin nicht die Flinte ins Korn zu werfen, reifte: „Aus der Saison rausgeschmissen zu werden und so aufhören zu müssen, wäre nicht mein Wunsch gewesen. Ich möchte zumindest ein Karriereende haben, mit dem ich zufrieden bin.“
Den nötigen Halt auf dem harten Weg zurück fand sie dann vor den heimischen Regensburger Toren in Donaustauf bei Klaus Eder. Den Physiotherapeuten der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und der Olympia-Mannschaft hatte sie bereits von Russland aus kontaktiert.
Er sollte mit seinem Reha-Team und den behandelnden Ärzten in den vergangenen Wochen und Monaten der Wegweiser werden und mit seinem ganzen Know-How fruchtbaren Boden bereiten. Klaus Eder kümmerte sich nicht nur um die aktuelle Verletzung und brachte Corinna Harrer wieder rasch in eine aktive Spur, damit der Muskelabbau nicht überhandnimmt.
Schwächen aus der Welt geschafft
Er verdeutlichte ihr auch körperliche Defizite und wie man daran arbeitet: „Meine Schwächen gibt es eigentlich jetzt gar nicht mehr. Man hat mir Sachen aufgezeigt, die mir nie bewusst waren.“ Mit dem erfolgreichen Rehaprogramm fühlt sie inzwischen beim Laufen eine bisher unbekannte innere Mitte, sich körperlich ausgebaut und auch austrainiert.
Doch vielleicht das Wichtigste: Klaus Eder gab mit seinem Team der Mittelstrecklerin mental sehr viel Halt in der schwierigen Zeit: „Wie viel Mühe sie in mich reinstecken, ist schon einzigartig und nicht alltäglich. Sie waren diejenigen, die mich immer gestärkt haben. Nicht nur körperlich, sondern auch mental.“
Dieses Tal, durch das sie schreiten musste, hat die Blondine verändert: „Man schätzt jetzt vieles anders ein. Man lernt gewisse Dinge im Leben wieder zu schätzen, auch wenn man wieder auf zwei Füßen ohne Krücken gehen kann. Ich habe auch gemerkt, was das Leben ohne Laufen bedeutet. Bei vier Monaten ohne Laufen ging’s schon ans Eingemachte.“
Den Körper komplett runtergefahren
Zusätzliche Motivation holte sie sich auch von anderen Leidensgenossen in der Reha wie der Rodlerin Tatjana Hüfner, die ebenfalls einen Achillessehnenriss wegstecken musste und einen immensen Ehrgeiz an den Tag legte: „Man lernt viel von den anderen.“
Der „Reset“ des Körpers von Corinna Harrer scheint vollbracht. Die Verletzung ist bereits weitgehend auskuriert. Ungeahnte Schwächen sind erkannt und aufgearbeitet: „Diese Zeit musste ich mir geben. Vielleicht war es jetzt einfach nötig, dass der Körper einmal komplett runterfährt.“
Die schwierigste Phase hat sie bereits hinter sich gelassen. „Ich bin schmerzfrei“, sagt Corinna Harrer jetzt zufrieden. Sie läuft auch schon wieder - eine Stunde am Stück, 80 Kilometer in der Woche. Manchmal muss sie auf den Fuß noch Rücksicht nehmen: „Nach vier Monaten Pause ist das aber auch okay. Kleine muskuläre Anpassungsprobleme sind scheinbar normal.“
Von der Ungewissheit angetrieben
Doch ihr Comeback will sie mit Bedacht angehen. Ab Dezember stehen mehrere Trainingslager auf dem Programm. Eine Hallensaison ist aber nicht geplant. Im Olympiasommer möchte die Oberpfälzerin dann wieder auf der Bahn stehen und ihre Chance auf die Qualifikation für die Spiele Rio (Brasilien) suchen. „Im Mai oder Juni soll die Norm fallen.“ Im Idealfall.
Wieder ihr altes Leistungsniveau zu erreichen, ist nämlich die Herausforderung. Corinna Harrer nimmt sie auch als solche an. Natürlich ist damit das ein oder andere Fragezeichen verbunden: „Ich weiß nicht, wie schnell es geht, ob der Fuß reicht, um die 1.500 Meter wieder in vier oder 4:05 Minuten zu rennen. Ich weiß nicht, wieviel Kraft der Fuß noch hergibt. Aber das macht es interessant.“
Diese Ungewissheit treibt sie sogar an: „Jetzt will ich es erst recht wissen.“ Sollte ihr Fuß die schnellen Mittelstrecken-Rennen nicht mehr so gut verkraften, wäre auch ein Umstieg auf die 10.000 Meter eine Option.
Rio 2016 ist der große Traum
Fest steht für sie aber schon jetzt: „Ich kann hoffentlich wieder mit voller Power durchstarten. Wenn mein Fuß wieder alles aushält und ich wieder voll ins Training reinkomme, dann glaube ich, dass ich stärker zurückkomme denn je.“
Trotzdem bleibt Corinna Harrer vorsichtig, Olympia 2016 ist für sie momentan noch „mehr Traum als Realität“. Sie sagt: „Ich weiß, dass ich momentan weiter weg bin denn je von Olympischen Spielen. Trotzdem ist dieses Ziel für mich unglaublich wichtig. Ich weiß für mich, dass ich noch mehr kann, als ich bislang gezeigt habe. Ich weiß auch, dass es für mich nicht nur Rio gibt, sondern danach auch noch weitergeht.“
Eins wird mit diesen Worten ganz deutlich: Ihren Tiefpunkt hat sie hinter sich gelassen, ihr Blick geht jetzt wieder voraus. Sie will es wieder wissen!