| Erfahrungsbericht

Franziska Reng: Von "Einfach mal loslaufen" bis "Wir fahren nach Amsterdam!"

Franziska Reng (LG Telis Finanz Regensburg) hat am vergangenen Sonntag in Barcelona ihren ersten Halbmarathon bestritten. Heraus kam in 1:12:33 Stunden auf Anhieb die EM-Norm für Amsterdam – im Übrigen ebenso wie für Anja Scherl und Katharina Heinig, die auf den Plätzen vor und nach ihr ins Ziel kamen. Für leichtathletik.de hat die 19-Jährige die Erlebnisse bei ihrem Debüt mit einem Augenzwinkern niedergeschrieben.
Franziska Reng

Mein Trainer hat gesagt, ich soll Windeln kaufen. Ich finde es ja rührend, wie er sich immer um mich sorgt. Denn dass ich zwei Tage vor meinem allerersten Halbmarathon ein bisschen nervös bin, ist wahrscheinlich irgendwie normal. Erst recht, wenn es gleich der Mitja Marató in Barcelona sein darf. Aber deswegen mach ich mir doch nicht in die Hosen!

Ich fahre trotzdem zum Einkaufen und bekomme währenddessen einen Anruf: Was ich mir denn für mein Debüt auf den 21,1 Kilometern vornehme, werde ich für einen Halbmarathon-Vorbericht gefragt. Ich muss grübeln... Ankommen? Schnell ankommen? Oder doch eher Traumabewältigung?

Es ist nämlich nicht so, dass ich bisher gute Erfahrungen mit Barcelona gemacht hätte: Als ich das letzte Mal aus der spanischen Stadt nach Hause kam, hatte ich kein Handy mehr und stattdessen Fieber. Deswegen bin ich überzeugt, dass es eigentlich nur besser werden kann. Ich kaufe also keine Windeln, sondern Schokolade und Tiefkühlbeutel.

Halbmarathon-Debüt mit Handgepäck

Die brauche ich für den Flug: Meine Vereinskollegin Anja Scherl, ihr Mann Marco und ich machen uns morgen nämlich gemeinsam auf in Richtung Spanien - und wir haben uns gegen eine Reise mit großen Koffern, nur mit Handgepäck entschieden. Laut Transportbedingungen benötige ich also diese durchsichtigen Plastiktüten für meine Kosmetik. Die findet darin erstaunlicherweise noch besser Platz als meine übrigen Sachen in der Tasche. Wie soll ich alle meine Klamotten in einem Gepäckstück von maximal 55x20x40 Zentimeter unterbringen? Meine beiden Begleiter meinten doch, das ginge problemlos.

Aber die sind eben echte Profis: Anja ist erfahrene Marathonläuferin und weiß deshalb natürlich nicht nur beim Packen ganz genau, worauf es ankommt. Zum Beispiel sollte man genauso in die Tücken der Rennstrecke eingeweiht sein. Dafür gibt es am Vorabend im Athletenhotel zum Glück noch eine Einweisung. Trainer, Betreuer, Pacemaker und natürlich die Läufer sitzen versammelt in einem Tagungsraum. Unter ihnen erkenne ich sogar ein paar Gesichter der deutschen Laufszene.

Start in den Tag um 5:20 Uhr

Der Rundkurs ist im Prinzip ganz einfach, verspricht man uns. Es gibt kaum Steigungen, alles total flach, keine scharfen Kurven. Nur an wenigen Stellen könnte es theoretisch schwierig werden – aber nur wenn es windig wird. Ich frage mal vorsichtshalber meine Wetter-App: „Schwacher Wind“ prophezeit sie für die Startzeit morgen. Klingt ja zumindest nicht dramatisch.

In der Nacht tobt allerdings ein ziemliches Gewitter über der Stadt. Wirklich gut geschlafen habe ich deshalb nicht, als um 5:20 Uhr der Wecker klingelt. Doch viel Zeit zum Weiterdösen bleibt nicht: Ich muss packen, frühstücken, nervös durchs Hotelzimmer tigern (ich hab' sicher irgendwas vergessen) und um 7 Uhr ist Abfahrt mit dem Bus-Shuttle zum Startbereich.

Dank spanischer Gemütlichkeit wird daraus 7:15 Uhr. Am Passeig de Pujades angekommen, strömen mit uns unzählige andere Läufer auf das Gelände um den Startbereich. Beim Aufwärmen muss man daher ein bisschen aufpassen, dass man nicht versehentlich über Trinkflaschen, Sporttaschen oder einen Yoga-Runner beim Sonnengruß stolpert. Egal: Spätestens wenn sich alle hinter der Startlinie versammeln, wird meine Körpertemperatur auf dem passenden Niveau sein, hoffe ich. Im Gedränge müsste einem ja eigentlich kuschelig warm werden.

Einfach mal loslaufen...

Stattdessen weht uns Läufern kühle Luft entgegen, die ich persönlich nicht mehr der Kategorie „schwacher Wind“ zugeordnet hätte. Scheint wohl Ansichtssache zu sein. Doch ich habe kaum Zeit,
mich groß darüber zu ärgern: Schon fällt der Startschuss und die Menge setzt sich in Bewegung. Ich entscheide mich, einfach mal drauf loszulaufen. Das mit dem Anfangstempo habe ich mir ohnehin nicht so genau überlegt. Außerdem stehen am Rand lauter Leute, die klatschen, trommeln und „Hola, Chica!“ rufen, wenn ich vorbeikomme. Da läuft es sich wie von ganz allein. Mich beschleicht allmählich das ungute Gefühl, dass ich dieses Tempo nicht bis zum Schluss halten kann. Also mal lieber nicht auf die Uhr schauen.

Eine andere Chica rennt sogar noch ein ganzes Stück weiter vor mir: Anja, um einiges kleiner als ich, ist bald nicht mehr zu erkennen. Sie hat sich gut in einem Männerfeld versteckt und macht da vorne ein klasse Rennen. Ich bleibe dahinter in einer Gruppe, die leider immer mehr in sich zusammenschrumpft. Den beiden übrigen Herren spende ich geradezu großzügig Schatten vor dem Wind, der sich so stürmisch anfühlt, dass ich bezweifle, noch besonders flott unterwegs zu sein. Ich wage es wieder nicht, einen Blick auf die Zeit zu werfen.

Stimmt die Uhr?

Mich beschäftigen ohnehin andere Dinge. Meine Beine zum Beispiel . Die machen mittlerweile nämlich keinen besonders frischen Eindruck mehr auf mich, im Gegenteil: Sie werden immer schwerer. Ich versuche das Ganze so gut wie möglich auszublenden und mich stattdessen an den kleinen Dingen zu erfreuen. Sei es eine Gerade, die auf ein goldenes McDonalds-M zuläuft oder ein Mann im Bratwurst-Kostüm am Streckenrand, alles super interessant. Nur nicht an die Beine denken. Mit dieser Strategie schaffe ich es bis zu einer Linkskurve, hinter der plötzlich das Zieltor auftaucht – zwar noch in einiger Ferne, aber jetzt ist es gleich geschafft!

Als ich näher komme, entdecke ich eine große Uhr. Bald kann ich sogar die Zahlen lesen, die sie anzeigt. Doch sie geben mir ein Rätsel auf: Ist das die vergangene Zeit? Verwirrt laufe ich noch schnell über die Ziellinie und drücke den Stopp-Knopf meiner Armbanduhr, um sie dann zum ersten Mal seit dem Startschuss eines Blickes zu würdigen. Noch bevor ich die Endzeit ablesen kann, umarmt mich jedoch schon eine erschöpfte, dafür umso glücklichere Anja: „Franzi, wir fahren nach Amsterdam!“

Da ich mir Zahlen ohnehin nur schlecht merken kann, glaube ich ihr einfach mal, dass wir beide die EM-Norm unterboten haben. Genauso übrigens wie die jubelnde Katharina Heinig, die kurz nach mir ins Ziel kommt. Wo auch immer diese ominöse Qualifikationsnorm liegen mag, wir waren scheinbar schneller. Was für ein Rennen! Das hätten wir wohl alle Drei nicht gedacht!

Belohnung mit Stadtbummel und Lieblings-Schokolade

Eine letzte Challenge wartet aber noch auf Anja und mich: Wir kämpfen uns zwischen hunderten verschwitzten Läufern, Powerrade-Flaschen und Bananen hindurch, um eine Teilnehmer-Medaille als Erinnerung zu ergattern. Grund zur Eile gibt es allerdings nicht: Der Bus fährt bestimmt wieder später als geplant. Gegen spanische Gemütlichkeit habe ich jetzt nichts mehr einzuwenden.

Passend dazu macht sich das mesolimbische System, besser bekannt als Belohnungszentrum des Gehirns, langsam bei allen Halbmarathonis bemerkbar: Während Katharina Heinig ausgiebig Sauna und Pool des Hotels austesten möchte, wollen Anja und ich nun ein bisschen die sonnige Seite von Barcelona genießen. Außerdem kommt jetzt endlich meine Lieblings-Schokolade (Sorte: Edelrahm-Salzbrezel) zum Einsatz, die ich vorgestern zusammen mit den Tiefkühlbeuteln gekauft habe.

Beim Mittagessen trifft das ganze deutsche Team noch ein letztes Mal aufeinander, bevor wir uns in alle Richtungen zerstreuen: Für die einen geht es jetzt schon wieder ins Trainingslager, andere bleiben noch länger in Barcelona. Anja und ich reisen dagegen zurück in die Regensburger Heimat.

Next Stop: Amsterdam

Am nächsten Morgen wartet das Taxi ungewohnt pünktlich um 5 Uhr vor dem Hoteleingang. Völlig übermüdet lasse ich mich auf die Rückbank fallen. Anja und Marco machen ebenfalls keinen ausgeschlafenen Eindruck. Der Weg durch die langen Gänge am Flughafen kommt uns vor wie ein zweiter Halbmarathon. Mühselig ziehe ich meine kleine Tasche hinter mir her. Die vielen Leute am Gate neben uns warten auf einen Flug nach Amsterdam.

Dieses Ziel heben Anja und ich uns für den Sommer auf – da nehme ich dann sicher einen größeren Koffer mit. Windeln finden aber sicher auch dann keinen Platz darin.

Mehr:

<link news:45941>DLV-Läuferinnen glänzen in Barcelona

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024