Zehnkampf-Bundestrainer Rainer Pottel tritt Ende März nach 37 Jahren im Trainer-Beruf in den Ruhestand. Die Entwicklungen in der deutschen Leichtathletik wird er künftig gemeinsam mit seiner Familie in Australien verfolgen.
Ein Leben für die Leichtathletik – von der eigenen sportlichen Karriere über das Sportstudium bis hin zum Trainerberuf. Viele Trainer im Spitzensport haben eine ähnliche Vita, denn dieser Beruf ist eine Lebensaufgabe. Und dennoch verabschiedet sich mit Rainer Pottel aus dem Kreis dieser Trainer in diesen Wochen eine ganz besondere Persönlichkeit. 65 Jahre alt wurde er im vergangenen Sommer, die Europameisterschaften in seiner Heimatstadt Berlin aber wollte er noch einmal miterleben. Ende März geht er nun in den Ruhestand.
Rainer Pottel ist Leichtathlet durch und durch. In Berlin geboren, trug er sich schon als Jugendlicher bei den ersten Wettkämpfen in die Siegerlisten ein, holte sich in der DDR zunächst den Jugendmeister-Titel über die Hürden, bevor er sich dem Zehnkampf verschrieb und zu einem der Besten seiner Zeit wurde. Drei nationale Meistertitel holte er im Trikot des TSC Berlin, nahm 1980 an den Olympischen Spielen in Moskau (Russland) teil und führte im Jahr 1981 mit nach heutiger Wertung 8.334 Punkten die Weltranglisten an.
Seit 1982 als Trainer tätig
Das Medizinstudium, das er damals begonnen hatte, war nur von kurzer Dauer. „Ich konnte ja nie vor Ort sein“, erinnert er sich heute, „ich habe alles aus Büchern gelernt, dort hätte ich dir alles zeigen und erklären können.“ Aber: Die erste Prüfung am menschlichen Körperteil zeigte ihm schnell die Grenzen auf. Naheliegend war da das Sportstudium, das Rainer Pottel in Berlin abschloss.
Das Jahr seiner Bestmarke war auch das letzte in seiner leistungssportlichen Karriere, die 1982 nahtlos in die Trainerkarriere überging. Auf die ersten Jahre im Beruf folgte 1990 die Wende – und damit für Rainer Pottel rückblickend die einzige Phase der beruflichen Unsicherheit. Zugleich war es der Auftakt eines vieldiskutierten und noch immer nicht final abgeschlossenen Prozesses, in dem die Dopingvergangenheit der DDR aufgearbeitet wurde.
Rainer Pottel zählte zu den Trainern, die sich im Zuge einer im Sport beispiellosen Erklärung zu dieser Vergangenheit bekannten und dafür entschuldigten. Zudem räumte er ein, als Athlet selbst zu leistungssteigernden Mitteln gegriffen zu haben. An der vielbeachteten Aufarbeitung im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) war Rainer Pottel aktiv beteiligt, auch im Zehnkampf-Team setzte er sich fortan für einen dopingfreien Sport ein.
Bundestrainer im Weitsprung und Zehnkampf
Der Startschuss für seine Beschäftigung als DLV-Bundestrainer fiel 2001. Der ausgewiesene Sprung-Experte betreute zunächst die männlichen Weitspringer, arbeitete nach 2007 kurzzeitig in Berlin als Bundesstützpunkttrainer und übernahm dann 2010 den Zehnkampf-Kader. In seine Amtszeit fallen zwei Vize-Weltmeister-Titel, zwei WM-Bronzemedaillen, Silber und Bronze bei Hallen-EM und Hallen-WM sowie zwei Europameistertitel im Freien – davon zuletzt Gold von Arthur Abele (SSV Ulm 1846) bei der Heim-EM in Berlin.
Die emotionalsten Erfolge aber, die erlebte der Mann mit dem markanten Schnäuzer, von dem er sich erst vor wenigen Jahren trennte, mit seinen Heimathleten. Zum Beispiel mit André Niklaus, der 2006 überraschend Hallen-Weltmeister im Siebenkampf wurde. Oder mit Martin Buß.
Der Hochspringer sorgte 1999 für einen der wenigen Momente, in denen der sonst so souveräne Rainer Pottel kurz in Panik verfiel – in der Qualifikation der WM mit zwei ungültigen Versuchen bei seiner Anfangshöhe. Und er schaffte 2001 die Sensation: In Edmonton (Kanada) wurde Martin Buß mit 2,36 Metern Hochsprung-Weltmeister. „Das war der schönste Erfolg meiner Trainerkarriere“, sagt Rainer Pottel heute noch. Auch an der Entwicklung des WM-Dritten im Zehnkampf Kai Kazmirek (LG Rhein-Wied) war er in Zusammenarbeit mit dessen Heimtrainer Jörg Roos maßgeblich beteiligt.
Bewegende Worte zum Abschied
Seine ehemaligen Athleten wie Niklaus, Buß und Kazmirek, aber auch Weitspringer und Sprinter Lucas Jakubczyk, Hochspringer Raúl Spank oder Weitspringerin Urszula Gutowicz-Westhoff sowie Trainerkollegen und Wegbegleiter aus dem Physio- und Ärzte-Team haben Rainer Pottel zuletzt in einem kleinen Buch persönliche Worten für den Ruhestand mit auf den Weg gegeben. Im Kreise der Bundestrainer-Kollegen wurde Rainer Pottel im Rahmen der Hallen-DM in Leipzig verabschiedet. Hier fand der DLV-Generaldirektor Sport Idriss Gonschinska bewegende Worte.
"Rainer Pottel ist ein außergewöhnlich vielseitiger Trainer, der mit seinen Athleten in vielen Disziplinen Erfolge gefeiert hat", sagt er, "und er hat es geschafft, sich trainingsmethodisch immer wieder neu zu erfinden." Als Zehnkampf-Bundestrainer habe er die Zusammenarbeit mit Spezialtrainern in Kadermaßnahmen integriert – unter ihnen zu Beginn auch Idriss Gonschinska selbst als damaliger Hürden-Bundestrainer. "Rainer hatte immer Mut für Experimente und neue Wege. Gemeinsam haben wir die Blockperiodisierung für den Mehrkampf und den Sprint entwickelt."
Mentor für Nachfolger Christopher Hallmann
Das Ruder im deutschen Zehnkampf wird nun Christopher Hallmann übernehmen – auch daran war Rainer Pottel maßgeblich beteiligt. Er hatte den studierten Sportwissenschaftler schon als Athleten kennengelernt und ihn wenige Jahre später als Zehnkampf-Trainer ins Gespräch gebracht, noch bevor Hallmann in Ulm die Mehrkampf-Gruppe um Europameister Arthur Abele übernahm.
Der neue Zehnkampf-Bundestrainer findet eine Disziplingruppe vor, die stärker ist als wohl jemals zuvor, mit zwei Vize-Weltmeistern, einem WM-Dritten, einem Europameister, einem U20-Weltrekordler und mit einem Kader von insgesamt elf 8.000-Punkte-Athleten. „Sobald feststand, dass ich sein Nachfolger werde, hat Rainer alles dafür getan, um mich bestmöglich auf diese Aufgabe vorzubereiten“, sagt Christopher Hallmann. „Er hat mich angeleitet und einbezogen, er hat mich geführt und unterstützt. Er hat mich machen lassen, aber er stand mir für Fragen immer zur Verfügung. Die Übergabe hätte nicht besser laufen können.“
Rainer Pottel wird die Entwicklungen im deutschen Zehnkampf weiterverfolgen – allerdings aus der Ferne. Der Hausverkauf in Berlin ist in den letzten Zügen, der Container mit Hab und Gut schon fast beladen, in Deutschland stehen nur noch einige Formalitäten und letzte Termine auf dem Programm. Im Sommer soll es nach Australien gehen. Dort lebt eine von Rainer Pottels zwei Töchtern, die andere plant ebenfalls gerade die Auswanderung. In „Down Under“ will die Familie gemeinsam den nächsten Lebensabschnitt bestreiten. „Für meine Töchter war nicht immer genug Zeit“, muss Rainer Pottel rückblickend feststellen. „Dafür möchte ich mir jetzt viel Zeit für meine Enkelkinder nehmen.“