| Kooperationsprojekt DLV und IAT

Spitzensport-Potenzial entdecken - Neue Wege in der Talentauswahl

Ein neues Kooperationsprojekt des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) mit dem Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig soll die Wirksamkeit der Talentauswahl für C- und D/C-Kader optimieren. Je nach Disziplin weisen nur rund die Hälfte der international erfolgreichen Top-Athleten herausragende Junioren-Erfolge auf. Woran - außer an starken Wettkampfergebnissen - kann man aber schon in jungen Jahren ein Talent mit Spitzensport-Potenzial erkennen? Das IAT lässt nun weitere Parameter in die Talent-Beurteilung einfließen.
Pamela Ruprecht

Die Wissenschaftler des Fachbereichs Nachwuchsleistungssport am Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT), Dr. Uwe Wenzel und Thomas Dreißigacker, gehen der Frage nach den Merkmalen von talentierten Sportlern nach. „Aus wissenschaftlichen Studien und Erfahrungen ist bekannt, dass die Talentfrage mehrperspektivisch betrachtet werden muss“, sagt Dr. Uwe Wenzel. Bisher erfolgte die Berufung der DLV-Nachwuchskader in erster Linie auf der Basis von Wettkampfergebnissen und dem „Trainerauge“. Das Auswahlverfahren soll nun um weitere Parameter wie konditionelle, koordinative und mentale Leistungsvoraussetzungen ergänzt werden.  

„Es gilt, die Idee des Talentbegriffs wissenschaftlich zu schärfen“, erklärt DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska und verweist auf den Trend internationaler Studien mit der Absicht, das eigene Fördersystem noch effizienter zu gestalten. „Man muss Konzepte weiterentwickeln, wenn man langfristig erfolgreich sein will.“ Das neue Motto lautet „Think outside the Box“, über die reine Wettkampfleistung hinaus. Welche weiteren Faktoren sind für eine „Gesamtbeurteilung des Spitzensport-Potenzials“ junger Athleten relevant?

Performer – Ja oder nein?

Gesucht wird die nächste Generation des DLV-TopTeams: Ist jemand der Typ „Performer“, der bei wichtigen Wettkämpfen im Trend zur Höchstform aufläuft, oder eher jemand, der nicht seine Saisonbestleistung abrufen kann? „Weltklasse-Athleten haben schon frühzeitig, unabhängig von der bis dahin entwickelten Leistungsfähigkeit, eine hohe Wettkampfkompetenz, das heißt, sie bringen die Bestleistung zum richtigen Zeitpunkt“, sagt Idriss Gonschinska. Außerdem agieren sie diszipliniert und außergewöhnlich zielstrebig und können Informationen in Drucksituationen schnell verarbeiten.

Spitzenathleten aller Sportarten werden häufig ähnliche psychische Charakteristika zugeschrieben. Unter Mitarbeit des Leitenden Verbandspsychologen Prof. Michael Gutmann sowie des Fachgebietes Sportpsychologie der Universität Leipzig unter Leitung von Frau Prof. Alfermann sollen diese wichtigen Merkmale identifiziert werden und im Rahmen des Kooperationsprojektes als messbare Faktoren in die Früherkennung der größten Leichtathletik-Talente fließen.

Die Stars von heute verbindet noch mehr: „Es zeigt sich, dass herausragende Athleten extrem koordinativ begabt sind“, erläutert der DLV-Cheftrainer. Koordinative Fähigkeiten demonstrieren etwa Zehnkämpfer <link https: www.facebook.com teamschrader _blank>Michael Schrader (SC Hessen Dreieich) beim Doppel-Rückwärtssalto auf dem Trampolin sowie die Speerwerfer <link https: www.instagram.com p bau8p77qwxm _blank>Thomas Röhler (LC Jena) beim regelmäßigen Handstandlaufen und Weltmeisterin Katharina Molitor (TSV Bayer 04 Leverkusen) in der zweiten Volleyball-Bundesliga.

Verschiedene Wege zum gleichen Ziel

Zwei Entwicklungstrends kennzeichnen die Karriereverläufe zum größten sportlichen Ziel – Weltmeister oder Olympiasieger: die Früh- und die Spätstarter. Kugelstoßer David Storl (SC DHfK Leipzig) zählt als U18- und U20-Weltmeister zu den Frühstartern. Bei den Olympischen Spielen 2012 schnappte ihm ein Spätstarter die Goldmedaille weg: Tomasz Majewski (Polen) kam erst mit 23 Jahren sprunghaft in der Weltspitze an.

Weil es so starke individuelle Unterschiede und nicht-lineare Leistungsentwicklungen gibt,
müssen neben den reinen Wettkampfergebnissen im U18- und U20-Bereich auch Leistungsvoraussetzungen und Potenzial betrachtet werden. Der „Spagat zwischen Prognose-Unsicherheit bei frühzeitiger Talentauswahl und Einflussnahme durch gezielte langjährige Talentförderung“ ist dabei die Herausforderung für die Leistungssport-Verantwortlichen.

Vision Athletenprofil - Überarbeitung der Kaderkriterien

Als Ergebnis des Projektes soll ein Athletenprofil entstehen. Grafisch veranschaulicht durch ein Spinnennetz-Diagramm stellt es die Ausprägungen der einzelnen Faktoren wie „Kondition“ oder „Technik“ in Farbabstufungen dar. „Grün“ signalisiert, dass eine bestimmte Leistungsvoraussetzung in besonderem Maße vorhanden ist, „rot“ hingegen, dass sie eher als Defizit eingestuft werden muss.

Das Profil soll disziplinspezifisch für jeden Sportler entworfen werden und objektive Beurteilungskriterien für eine Kaderberufung schaffen. „Die Auswahl wird neben der empirischen Erfahrung von Trainern künftig von einem wissenschaftlichen Team begleitet“, hebt Idriss Gonschinska die Chancen der neuen Herangehensweise hervor. Unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse sollen die C-Kader-Kriterien überarbeitet werden. Und zwar so, dass das Spitzensport-Potenzial (= A-Kader) und nicht die Jugend- und Junioren-Leistung im Vordergrund steht.

Vernetztes Arbeiten

Das Gelingen des Projekts setzt eine komplexe Zusammenarbeit voraus: Nachwuchs-Bundestrainer, Landestrainer, spitzensportfördernde Vereine und Trainingswissenschaftler sind eingebunden. „Es braucht für diese Idee ein vernetztes Arbeiten“, sagt Idriss Gonschinska. Die Koordination liegt bei U18-Bundestrainer Jörg Peter. Neben den D/C- und C-Kaderathleten soll im zweiten Schritt die Zielgruppe auch auf die Landeskader der Altersklasse U16 ausgeweitet werden. Dabei ergeben sich Schnittstellen mit den Forschungsprojekten über die Deutschen U16-Einzelmeisterschaften.

Auf Grundlage der Ergebnisse sollen die Nachwuchs-Kader in der Zukunft durch die Talente mit dem vergleichsweise höchsten Potenzial für Spitzenleistungen bestückt werden. Eine Garantie für Top-Resultate sind exzellente Zubringerwerte aber nicht: „Wenn man dreißig Meter fliegend schnell läuft, bedeutet das nicht automatisch, dass man den Balken trifft und abspringt“, erklärt der Cheftrainer am Beispiel des Weitsprungs.

Speed über Unterdistanzen ausprägen

Mit den Leistungsvoraussetzungen im Laufbereich beschäftigt sich Thomas Dreißigacker, Bundes-Nachwuchstrainer der Mittelstrecklerinnen. „Wir wollen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass die Athleten ausgewählt werden, die später auch erfolgreich sind“, sagt der Trainer und Wissenschaftler.

Oft vernachlässigt werden in jungen Jahren die Unterdistanzen. Das hat Folgen, denn: Für Weltspitzenleistungen müssen 800-Meter-Läufer fast so schnell sein wie Sprinter. Der Korridor für die passende 100-Meter-Zeit bei den Männern bewegt sich zwischen 10,5 und 10,7 Sekunden, der für 400 Meter reicht von 45 bis 46 Sekunden. Vorbildlich schnell auf der Stadionrunde (53,19 sec) war die 800-Meter-Vize-Europameisterin der U20 Sarah Schmidt (LAZ Mönchengladbach), die sich auf ihrer Spezialstrecke der Zwei-Minuten-Marke angenähert hat. Daher werden im Rahmen des Kooperationsprojektes vor allem Schnelligkeit und Schnelligkeitsausdauer (60 m, 30 m fliegend und 100/150 m) sowie kontinuierlich überprüft. Eine größere Gewichtung erhält auch die Überprüfung der maximalen Sauerstoffaufnahme beispielsweise durch einen kurzen Tempodauerlauf.

Weitere Disziplinen unter der Lupe sind in der Pilotphase des Projekts bis 2017 Kugelstoß, Sprint sowie Weit- und Dreisprung. Ist die Testbatterie der IAT-Wissenschaftler für die verschiedenen Indikatormessungen fertig, sind im Herbst erste Einsätze bei Kaderlehrgängen geplant. Interessant ist neben dem Transfer auf die übrigen Disziplinen auch die langfristige Entwicklung der Talente. Konnten die Leistungsvoraussetzungen in Erfolge umgemünzt werden?

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