| Interview der Woche

Christina Hering: "In Berlin möchte ich wieder ganz oben stehen"

Pliezhausen zum Saisoneinstieg: Für Christina Hering (LG Stadtwerke München) seit vielen Jahren selbstverständlich. Auf ihrer „krummen“ Paradestrecke, den 600 Metern, wurde sie am Sonntag Zweite. Im Interview sprach sie anschließend über ihre weiteren Saisonziele, das CAS-Urteil im Fall Semenya und die Marschroute zu den Spielen von Tokio.
David Köndgen

Christina Hering – Rang zwei im ersten Saisonrennen auf der Unterdistanz: Wie zufrieden sind Sie mit den 600 Metern von Pliezhausen?

Christina Hering:

Natürlich hatte ich mir mehr vorgenommen. Unter zehn Grad und Graupelschauer sind einfach nicht mein Wetter. Dennoch weiß ich nicht, was passiert ist – ich war super fokussiert, bin aber irgendwie schon bei 200 Meter in meinen 800-Meter-Schritt gefallen und plötzlich haben mich alle überholt. Dann sind die 600 einfach zu kurz, da darf man einfach nicht schlafen – somit habe ich meinen Sieg verschenkt. Lore [Hoffman] hat das super gemacht. Sie ist schließlich auch eine sehr gute 800-Meterläuferin.

Das CAS-Urteil im Fall Caster Semenya beschäftigt die Leichtathletik in den vergangenen Wochen sehr. Sie sind bereits gegen die Südafrikanerin angetreten – wie sehr steckt der Sport durch das Urteil nun im Dilemma?

Christina Hering:

Natürlich ist das eine sehr kontroverse Diskussion und ein sensibles Thema. Aus Sicht der Konkurrentinnen begrüße ich die Entscheidung. Weil es nach rund zehn Jahren einfach an der Zeit war, eine Entscheidung zu treffen. Das Urteil sorgt endlich für Klarheit – ob es das richtige ist, sei dahingestellt. Dennoch finde ich es schade, weil ich sie kennenlernen durfte und sie wirklich eine total sympathische und faire Sportlerin ist, die nichts falsch gemacht hat. Es ist daher schade, dass das Thema nicht von ihr losgelöst werden konnte. Wir werden sehen, ob und wie es die 800 Meter verändern wird. An der Weltspitze wird sich definitiv etwas tun. Aus meiner Sicht – die ich in London und Peking jeweils im Halbfinale stand – ist es natürlich ausschlaggebend, wenn die Läuferinnen ganz vorne nicht mehr unerreichbar stark sind. Wie sensibel das Thema wirklich ist, zeigt sich auch daran, wie lange es gedauert hat, eine Entscheidung zu fällen.

Stichwort Entscheidung: Wir alle erinnern uns noch an die „Wimpernschlag-Entscheidung“ im Finale der Hallen-DM über 800 Meter. Wie gut haben Sie diese mittlerweile verdaut?

Christina Hering:

Verdaut habe ich das auf jeden Fall. Ich habe es Kathi [Trost] wirklich total gegönnt. Für mich war es aber insgesamt einfach ein richtig doofer Tag – denn am Abend habe ich mir noch mein Außenband im rechten Fuß gerissen. Am Montag nach der Diagnose kam die ganze Enttäuschung nochmal hoch. Wir sehen uns tagtäglich im Training und pushen uns da gegenseitig. Heute hat Kathi über die 1.000 Meter auch eine tolle Vorstellung gezeigt; bei ihr ist denke ich noch eine Menge drin. Eigentlich habe ich daraus also nur Motivation geschöpft und bei den <link>Deutschen Meisterschaften im Sommer in Berlin möchte ich auf jeden Fall wieder ganz oben stehen.

Wie hat sich die Trainingsgruppen-Dynamik in München nach dem Abschied der zweimaligen DM-Fünften über 800 Meter Christine Gess entwickelt?

Christina Hering:

Auf jeden Fall hat sich schon viel verändert, seitdem Fabienne und Christine nicht mehr wirklich Teil der Trainingsgruppe sind. Fabienne war aber zum Beispiel nochmal eine Woche mit uns in Zinnowitz zur finalen Saisonvorbereitung. Eine weitere Veränderung war der Abschied von Daniel Stoll, der nun von Jonas Zimmermann abgelöst wurde und mit Andreas Knauer unser neues Trainergespann bildet. So hat sich auch das Training an sich etwas verändert. Jana (Reinert) ist im Herbst pünktlich dazu gekommen und wir sind sehr schnell zusammengewachsen. Wir haben durchweg immer Spaß im Training. Das ist für mich eine tolle Situation: So freue ich mich immer aufs Training, weil ich auch mit allen befreundet bin.

Wenn wir den Blick schon einmal etwas weiter voraus werfen, wie sieht der Weg nach Tokio mit dem neuen System – zwischen Normerfüllung und Punkten für die Weltrangliste – aus?

Christina Hering:

Zugegebenermaßen habe ich mich noch nicht hundertprozentig damit vertraut gemacht, da es diese Saison noch nicht wirklich eine Rolle spielen wird. Mit Erfüllung der A-Norm würde man sich aber ja nach wie vor direkt qualifizieren – die direkt meiner Bestzeit entspricht und somit nicht außer Reichweite ist. Liefe ich diese also ab diesem Juli, würde dies ja bereits reichen. Es wäre ideal, wenn ich schon dieses Jahr wüsste, dass ich sicher mit Tokio rechnen kann. Auf jeden Fall bin ich gespannt, wie sich das System entwickeln wird. Für mich persönlich sehe ich es jedenfalls nicht als Verschlechterung, weil nach wie vor diese etwa 45-48 Plätze über 800 Meter bleiben und ich in den vergangenen Jahren immer unter den Top 50 war. Woher sollten also plötzlich so viele Läuferinnen kommen, die mich aus der Weltrangliste verdrängen, wenn ich weiterhin meine Leistungen zeige? Allerdings motiviere ich mich im Training eher mit kurzfristigen Zielen. Und da liegt der Fokus auf Doha.

Dennoch ist die diesjährige ja eine ungewohnt lange Saison mit dem Höhepunkt erst im Oktober. Wie unterscheidet sie sich also von anderen Jahren?

Christina Hering:

Da ich auch bei der Universiade noch startberechtigt bin und diese auf dem Weg nach Doha liegt, habe ich mich entschieden, eine zweigeteilte Saison zu planen. Daher bin ich auch im Gegensatz zu einigen anderen Athleten ganz normal in die Saison eingestiegen, um die Norm für die Universiade möglichst schnell zu erfüllen und dort ein tolles Ergebnis zu erreichen. Danach werde ich nochmals ins Training gehen und mich über die Deutschen Meisterschaften versuchen, perfekt auf Doha vorbereiten.

Wie fit fühlen Sie sich denn aktuell mental und körperlich für diese lange Saison?

Christina Hering:

Klar, es wird vor allem vom Kopf her schwierig sein, die Motivation hochzuhalten. Aber ich fühle mich topmotiviert. Die letzten Monate seit den Deutschen Hallenmeisterschaften vergingen superschnell. Dass ich nach dem Außenbandriss überhaupt schon wieder auf der Bahn stehe, darüber bin ich sehr glücklich. Dennoch merke ich, dass ich noch nicht bei 100 Prozent bin und noch ein Ungleichgewicht zwischen den Füßen zu spüren ist. Im rechten Fuß fehlt mir noch etwas die Spritzigkeit. Natürlich bin ich mittlerweile schmerzfrei, sonst wäre ich noch nicht in die Wettkämpfe gestartet. Deswegen bin ich schon gespannt und freue mich sehr auf meinen „richtigen“ Saisoneinstieg über 800 Meter nächstes Wochenende in Karlsruhe und die anschließende Saison.

Mehr:

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