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Nils Voigt – Umwege, Aufstieg und WM-Chancen

Zehn Athletinnen und Athleten, die noch nie einen Titel bei Deutschen Hallenmeisterschaften gewonnen haben, standen Ende Februar in Dortmund ganz oben auf dem nationalen Podium. Einige von ihnen sind schon länger Teil der DLV-Spitze, die meisten dagegen neue Gesichter. Wir stellen sie vor. Heute: Langstreckler Nils Voigt (TV Wattenscheid 01).
Jan-Henner Reitze

Nils Voigt
TV Wattenscheid 01

Bestleistungen: 

3.000 Meter: 7:51,07 (2022)
5.000 Meter: 13:31,20 min (2022)
10.000 Meter: 27:30,01 min (2023)
Halbmarathon: 61:35 min (2021)

Erfolge:

Achter EM 2022 (10.000 Meter)
Vierter U23-EM 2019 (10.000 Meter)
Deutscher Hallen-Meister 2023 (3.000 Meter)
Deutscher Meister 2021 (10.000 Meter)
Deutscher Meister 2021 (10 Kilometer Straße)

Einen Wettkampf auf der Unterdistanz, um sich mit einem harten Tempolauf auf seinen 10.000-Meter-Start Anfang März in Los Angeles vorzubereiten: Mit dieser Absicht fuhr Nils Voigt im Februar zu den Deutschen Hallenmeisterschaften nach Dortmund. Und der gewünschte Trainingseffekt stellte sich beim Rennen in den USA ein. In 27:30,01 Minuten näherte sich der 25-Jährige zwei Wochen später bis auf rund acht Sekunden dem deutschen Hallenrekord, steigerte seine Bestzeit um 19 Sekunden und sammelte wertvolle Punkte für das World Ranking und die WM-Qualifikation.

Da war es fast eine Nebensache, dass sich der Student in der 3.000 Meter-Entscheidung von Dortmund in einem Sololauf (7:56,80 min) seinen ersten Titel bei einer Hallen-DM sicherte. Es war eher ein Trainingswettkampf, der Gold mit sich brachte. Für alle anderen in dieser Serie vorgestellten Athletinnen und Athleten war die Hallen-DM dagegen der Höhepunkt ihrer Wintersaison. Und das ist nicht das Einzige, was den Wattenscheider von ihnen unterscheidet. Denn er tat sich lange schwer, in den Leistungssport hineinzufinden, und hat schon Berufserfahrung in allerlei Jobs.

Von Anfang an größtes Talent auf der Langstrecke

In seiner Heimat Münster war Nils Voigt in seiner Kindheit im Fußballverein, freute sich aber jedes Jahr auf einen 2-Kilometer-Schülerlauf, an dem er regelmäßig teilnahm. Es wuchs das Interesse an der Leichtathletik, und der Schüler begann bei der LG Ratio Münster mit dem Vereinstraining bei Sören Knigge. „Da war ich so etwa 13, 14 Jahre alt“, erzählt der heutige Leistungssportler, der schon damals auf der Langstrecke seine größten Stärken hatte und etwa im Jahr 2011 mit 17:32 Minuten den achten Platz in der DLV-Bestenliste der Altersklasse M14 im 5-Kilometer-Straßenlauf belegte.

Es folgten der Wechsel in die Laufgruppe von Jörg Riethus und Erfolge auf der Bahn, zum Beispiel Rang sechs bei der Jugend-DM in Wattenscheid 2014 über 1.500 Meter (3:59,67 min) in der Altersklasse U18 oder ein Jahr später U20-Bronze über 5.000 Meter (14:50,46 min) bei der Jugend-DM in Jena. Auf der Straße über 10 Kilometer war im Jahr 2016 kein U20-Athlet im DLV schneller als der damals 19-Jährige (30:33 min).

Schon zu dieser Zeit war das Laufen für den jungen Athleten mehr als ein Hobby. Ihm war aber noch nicht klar, wie er eine möglichst optimale Leistung erzielen konnte. „Ich habe mal einen Monat hart trainiert, es dann aber wieder schleifen lassen.“ Besonders nach dem Schulabschluss brauchte es einige Versuche und Jahre, um herauszufinden, wie Alltag, Sport und berufliche Zukunftsplanung zusammenpassen können. „Ich kannte auch niemanden, der mir den richtigen Weg zeigen konnte.“

Findungsphase führt nach Wattenscheid

Der Abiturient begann, in verschiedenen Jobs Geld zu verdienen. „Ich war bei einer Zeitarbeitsfirma, habe als Zusteller gearbeitet, als Parkettleger oder in einem Paketlager“, erzählt Nils Voigt. „Alles Jobs, die keine Zukunft hatten.“ 2017 ging er für ein Semester in die USA, erkannte aber schnell, dass ihn auch ein Studium in Verbindung mit Sport dort nicht weiterbringen würde, und kehrte nach Münster zurück. „Ich bin ein bisschen verlorengegangen.“

Das Leistungsniveau stagnierte in dieser Findungsphase. Auch der Versuch, über die Hindernisse den Anschluss an die nationale Spitze herzustellen, brachte 2018 keinen Durchbruch. Der Athlet ging noch einmal in sich und überlegte: „Was kann ich tun, um wirklich gut zu werden? So bin ich auf den TV Wattenscheid gekommen, mit Tono Kirschbaum als Trainer und einer damals sehr starken Läufergruppe.“

Erfolgserlebnis U23-EM, dann Corona-Pandemie    

Die Entscheidung für den Umzug nach Bochum und den Vereinswechsel zum TV Wattenscheid 01 erwies sich schnell als sehr förderlich für das Leistungsvermögen. Schon nach dem ersten systematischen Aufbau unter Tono Kirschbaum purzelten die Bestzeiten, und im ersten 10.000-Meter-Rennen gelang gleich die Qualifikation für die U23-EM in Gävle (Schweden). Dort blieb Nils Voigt als Vierter erstmals unter 29 Minuten. In 28:54,16 Minuten fehlten nur vier Sekunden zu Bronze.

„Da habe ich gedacht, jetzt bin ich endlich im Leistungssport angekommen“, so der Langstreckler. „Aber dann kam Corona.“ Alltag und Training wurden erneut durcheinandergewirbelt. Im Jahr 2020 ging nicht viel, 2021 kam trotz der Umstände wieder ein Leistungsschub. Beim 10.000-Meter-Europacup in Birmingham (Großbritannien) steigerte sich der 25-Jährige als Vierter auf 27:49,04 Minuten. Außerdem holte er in Mainz den deutschen Meistertitel über 10.000 Meter (28:11,54 min) und im Herbst in Uelzen auch den DM-Titel über 10 Kilometer auf der Straße (28:46 min). Das Halbmarathon-Debüt in Dresden verlief mit einer Zeit von 61:35 Minuten ebenfalls vielversprechend.

Beruflich hatte zu diesem Zeitpunkt ein BWL-Studium an der Uni Bochum begonnen. Die Corona-Pandemie brachte hier einen Vorteil. Im Online-Betrieb ließ sich das Studium gut mit Trainingslagern verbinden. Das änderte sich mit dem Ende der Corona-Beschränkungen und der Rückkehr zur Präsenzpflicht. Deshalb ist der DLV-Athlet inzwischen an die Hochschule Ansbach gewechselt, die speziell auf Spitzensportler ausgerichtet ist.

Nach dem Aufwärtstrend 2021 begann das Jahr 2022 mit einer Corona-Infektion, aus der sich eine Herzmuskelentzündung entwickelte. Das bremste den kontinuierlichen Aufbau wieder aus. Und es wurde nichts mit der Qualifikation für die WM in Eugene (USA). Für die Europameisterschaften in München wurde der Student aber rechtzeitig fit. Der achte Platz (28:02,19 min) dort bestätigte, dass die hartnäckigen Versuche, den Anschluss an die internationale Spitze herzustellen, Aussicht auf Erfolg haben.

Mentor Tono Kirschbaum

An das Hin und Her zwischen Erfolgen und Rückschlägen hat sich Nils Voigt inzwischen gewöhnt. Wichtigster Unterstützer ist Trainer Tono Kirschbaum. „Ich würde ihn auch als meinen Mentor bezeichnen.“ Nachdem die Läufergruppe in Wattenscheid kleiner geworden war und im Herbst auch Amanal Petros (SCC Berlin) und Hendrik Pfeiffer (TK Hannover) den Verein verließen, machte das Duo das Beste aus dieser Situation und richtete das Training noch einmal etwas individueller auf die Bedürfnisse von Nils Voigt aus. „Ich habe den Umfang an schnellen Kilometern erhöht, also mehr im Tempodauerlauf gearbeitet.“

Auch darauf führt der Athlet seine Steigerung der 10.000-Meter-Bestleistung zurück. Außerdem ließ er sich nicht aus der Ruhe bringen, als vor der Hallen-DM wegen Problemen mit der Wade zwei Wochen kein Lauf-, sondern nur Alternativ-Training möglich war. „Ich habe schon viel durchgemacht. Das hilft, wenn jetzt mal wieder eine Hürde auftaucht.“

Nach seinem erfolgreichen Rennen in Los Angeles blieb der Deutsche Hallenmeister in den USA und trainierte unter anderem in einer Gruppe seines Ausrüsters, betreut von Alistair und Amy Cragg, der WM-Dritten im Marathon von 2017. In einem Testwettkampf über 5.000 Meter am vergangenen Wochenende konnte der Wattenscheider sein Tempo in der zweiten Hälfte des Rennes nicht halten (14:01,74 min). „Tono sagt, die Form ist da. Aber die Beine müssen das intensive Training noch verarbeiten.“

WM und Olympia im Visier

Nach der bevorstehenden Rückkehr nach Europa sind Starts bei der Langstrecken-DM in Mittweida (6. Mai) sowie der „Night of the 10.000m PBs“ in London (Großbritannien; 20. Mai) geplant, wo noch einmal Punkte fürs World-Ranking her sollen. „Damit ich eine Chance auf die WM habe, brauche ich noch so ein Rennen wie in Los Angeles“, sagt Nils Voigt, der nach der aktuellen Prognose des Weltverbandes World Athletics für seine Qualifikation über das Ranking noch einige wenige Plätze weiter nach oben rücken muss. Die festgelegte Norm für die direkte Qualifikation für die WM in Budapest (Ungarn; 19. bis 27. August) liegt mit 27:10,00 Minuten wohl außer Reichweite und mehr als zehn Sekunden unter dem gut 25 Jahre alten deutschen Rekord von Dieter Baumann (27:21,53 min).

Auch das Olympia-Jahr 2024 mit den Spielen in Paris (Frankreich) beeinflusst schon die Wettkampfplanung. „Im Herbst möchte ich einen ernsthaften Qualifikationsversuch im Marathon unternehmen“, sagt der Wattenscheider. Ihn schreckt es nicht ab, dass die Konkurrenz groß ist, nicht nur mit dem Deutschen Rekordler Amanal Petros und Europameister Richard Ringer (LC Rehlingen). „Es gibt ja auch noch einen dritten Platz. Um den möchte ich mitkämpfen.“ Anderseits könnte ein gutes WM-Ergebnis über 10.000 Meter auch eine gute Basis für die Olympia-Qualifikation auf der Bahn darstellen.

Video-Interview: Nils Voigt: "Deutscher Meister wird man nicht jeden Tag"
Video: Nils Voigt wird Deutscher Hallenmeister über 3.000 Meter

Das sagt Teamleiter Lauf/Gehen Werner Klein:

Nils hat schon einige Rückschläge in seiner Karriere verkraften müssen, ist aber immer wieder gestärkt daraus hervorgegangen. Er hat sich kontinuierlich weiterentwickelt und ist bis auf acht Sekunden an den deutschen Rekord über 10.000 Meter herangelaufen.

Nils ist ein zielstrebiger Athlet und ich bin sicher, dass er noch nicht am Ende seiner Leistungsentwicklung auch über 10.000 Meter angekommen ist. Langstreckler entwickeln sich mit den Jahren und er hat die besten Jahre noch vor sich. Ich bin gespannt, wohin es noch geht.

Er ist bei Tono Kirschbaum, der die Methodik der Langstrecke beherrscht, in den besten Händen. Tono hat schon mehrfach bewiesen, dass er jüngere Athleten an die Langstrecke und große Erfolge heranführen kann, wie etwa Jan Fitschen oder Amanal Petros zeigen.

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