Matthias Kohls ist seit Jahresanfang im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) der neue Marathon-Bundestrainer der Männer und Frauen. Der 62-Jährige ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Düsseldorf. Er war einst selbst erfolgreicher Läufer über 3.000 Meter Hindernis, seine persönliche inoffizielle Bestzeit von 8:22,99 Minuten erzielte er 1987 in Koblenz – damals fehlte jedoch das erste Hindernis auf der Bahn.
ÜberJahrzehnte hinweg assoziierte man den Namen Matthias Kohls mit einem großen Sportartikel-Hersteller, für den Sie lange im Sports-Marketing tätig waren. Wie kam es dazu, dass Sie nun Marathon-Bundestrainer wurden?
Matthias Kohls:
Dass ich mehr als 30 Jahre lang für einen Sportartikel-Hersteller tätig sein würde, hatte ich ursprünglich nicht geplant. Denn eigentlich war ich auf der Trainer-Spur. Doch nachdem ich an der Trainer-Akademie der Sporthochschule Köln studiert hatte und bereits als Landestrainer des Verbandes Nordrhein tätig war, gab es zur Zeit der Wende 1990 keine Perspektive auf eine hauptamtliche Stelle. Dann kam das Angebot, im Bereich Sports-Marketing zu arbeiten. Vor einigen Jahren hätte ich dann andere Rollen übernehmen sollen, was ich aber nicht wollte. So habe ich mich stattdessen neu orientiert, Ende 2021 eine Fortbildung für meine A-Trainerlizenz absolviert und Kontakt zum DLV aufgenommen. Im Laufe des vergangenen Jahres zeichnete sich ab, dass der Verband einen neuen Marathon-Bundestrainer braucht, zunächst für die Männer und später auch für die Frauen. Für mich hat sich jetzt nach langer Zeit ein Kreis geschlossen.
Ist der neue Bundestrainer-Job ein Sprung ins kalte Wasser?
Matthias Kohls:
Nein, ich würde sogar sagen, es ist eher ein Sprung ins warme Wasser. Denn ich war während meiner Zeit im Sportmarketing durchgängig auch noch punktuell als Trainer im Marathon- und Langstreckenbereich tätig. So habe ich zum Beispiel den Marathonläufer Martin Grüning [Anm. d. Red.: Bestzeit von 1990: 2:13:30 h, heute Chefredakteur der Zeitschrift Runner’s World] betreut und später Tendai Chimusasa aus Zimbabwe, der bei Olympia 2000 im Marathon Platz neun belegte. Für Zimbabwe arbeitete ich während internationaler Meisterschaften auch als Headcoach für die Bereiche Marathon und Langstrecken. Hinzu kommt, dass ich natürlich in meiner bisherigen Rolle eng mit vielen Topläufern zusammengearbeitet habe. Aber ich hatte durch meinen Job auch einen guten Einblick in die Arbeit von anderen nationalen Verbänden, zum Beispiel im Triathlon, Volleyball und im Hockey.
Einige Athleten und Trainer kannten Sie sicherlich aufgrund Ihrer früheren Tätigkeit sehr gut, andere vielleicht eher nur flüchtig. Ging es in den ersten Monaten für Sie zunächst auch darum, zu allen eine persönliche Verbindung herzustellen?
Matthias Kohls:
Ja, das ist richtig. Einige kannte ich sehr gut, mit einigen hatte ich schon Kontakt, und zu ein paar gab es keine Verbindung. Daher habe ich in den ersten Monaten viele Einzelgespräche geführt, mit Heimtrainern und Athleten. Alle arbeiten sehr professionell, und sie haben auch gemerkt, dass ich aus einem professionellen Bereich komme. Viele Themen und Details, die für Athleten und Trainer wichtig sind, kenne ich aus meiner bisherigen Tätigkeit. Natürlich hat der eine oder andere Coach bezüglich meiner Erfahrungen als Trainer gefragt, da sie meinen Hintergrund nicht richtig kannten. Ich habe keine Zweifel an meiner Kompetenz gespürt.
Sie waren nicht Heimtrainer eines Marathonläufers oder einer Athleten-Gruppe und sind nicht über diese Schiene Bundestrainer geworden. Könnte es sein, dass es durch diese andere Position sogar einfacher ist, das Vertrauen aller Athleten zu gewinnen?
Matthias Kohls:
Das ist schwer zu sagen für mich. Es gibt viele Beispiele für erfolgreiche Bundestrainer mit Heimtrainer-Funktion. Aber ich denke, dass es für die Athleten sicherlich kein Nachteil ist, wenn ein Bundestrainer aus einer völlig neutralen Perspektive auf die Athleten schauen kann. Mir liegt auch viel daran, dass ich alle Athleten gleichzeitig mit Informationen versorge und alle auf einem gleichen Stand sind. Ich will mir nicht nachsagen lassen, dass ich irgendjemanden bevorzugt behandele.
Besonders die deutschen Männer haben in den letzten Jahren eine sehr gute Entwicklung gezeigt. Die Frauen hatten über lange Zeit immer wieder Erfolge, doch in der Breite der Spitze sind auch sie deutlich stärker als noch vor einigen Jahren. Wie sehen Sie die Situation und welche Hoffnungen haben Sie zunächst für die WM?
Matthias Kohls:
Wir haben zurzeit ein historisches Niveau bezüglich unserer Qualität im Marathon. Das war auch mit ein Grund, der die Herausforderung, den Bundestrainer-Posten zu übernehmen, für mich so attraktiv machte. Bei den Frauen gilt das zurzeit nicht für die absolute Spitze, aber für die Breite in der Spitze schon. Mein Ziel ist natürlich, diese Entwicklung weiter voranzutreiben. Was die Weltmeisterschaften angeht, so ist das Interesse hier in diesem Jahr natürlich aufgrund der laufenden Qualifikations-Situation für Olympia in Paris 2024 eingeschränkt. Aber wir sind immerhin mit drei Männern und einer Frau dabei. Ich denke, dass Haftom Welday und Melat Kejeta einen Platz unter den Top 15 erreichen können, vielleicht ist sogar ein Rang unter den ersten Zehn möglich. Tom Gröschel zuletzt in London und Johannes Motschmann bei den Europameisterschaften haben schon gezeigt, dass sie in starken Feldern bestehen können.
Wie sehen Sie das Rennen um die olympischen Startplätze?
Matthias Kohls:
Der Kampf um die jeweils drei olympischen Startplätze ist im vollen Gange. Nachdem das Qualifikations-Prozedere anfangs schwer zu durchblicken war, wissen wir jetzt, dass die Zeit entscheidend ist. Wir haben bisher vier Athleten, die die Normen unterboten haben. Aber mit Ausnahme von vielleicht Amanal Petros können sich die Läufer nicht sicher sein, dass es für die Olympia-Nominierung reicht. Das beeinflusst natürlich auch die Wettkampfplanung. Eine größere Gruppe von Athleten wird sicherlich den Berlin-Marathon laufen, einige werden in Frankfurt starten, und dann könnte Valencia noch eine Chance bieten. Ich gehe davon aus, dass die jeweils drei deutschen Starter feststehen, wenn nach dem 30. Januar 64 der 80 Startplätze durch den internationalen Verband World Athletics vergeben werden.
Einige Athleten haben derzeit keinen festen Trainer oder keinen Coach mit besonderem Marathon-Hintergrund. Inwieweit können Sie hier unterstützen?
Matthias Kohls:
Momentan ist es so, dass die meisten eine gute Heimtrainer-Betreuung haben. Dies hängt auch damit zusammen, dass sich Tono Kirschbaum nach seinem Rücktritt bereit erklärt hat, doch noch einige Athleten weiter zu betreuen. Andere wie Haftom Welday oder Melat Kejeta schließen sich Trainingsgruppen in Äthiopien beziehungsweise Kenia an. Wenn sie allerdings in Deutschland sind, dann ist es schwieriger. Wir werden Lösungen finden.
Die erfolgreichsten Marathonläufer des DLV – Amanal Petros, Richard Ringer und Melat Kejeta – schließen sich regelmäßig internationalen Trainingsgruppen an. Ist das ein Weg, den der DLV unterstützt?
Matthias Kohls:
Internationale Teams, die es auch von Ausrüstern verstärkt gibt, bieten einen starken Support für Athleten und Verband und werden an Bedeutung gewinnen. Dabei ist es aber wichtig, dass wir einen engen Kontakt halten, um sicherzustellen, dass die wesentlichen Ziele nicht aus den Augen verloren werden. Vereine wie beispielsweise in Regensburg und Berlin bilden jetzt schon starke Trainingsgruppen. In Hannover entsteht ein interessantes Projekt vereinsübergreifend. Wir begrüßen und unterstützen jede Initiative und fördern das Gruppentraining in zentralen Trainingslagern.