| Neuer Meister

Henrik Janssen – Weichen früh Richtung Sportkarriere gestellt

In Kassel haben im vergangenen Sommer zehn Athletinnen und Athleten erstmals bei Deutschen Meisterschaften ganz oben gestanden. Dazu zählen viele junge, neue Gesichter in der DLV-Spitze. Wir stellen sie vor. Heute: Diskuswerfer Henrik Janssen (SC Magdeburg).
Jan-Henner Reitze

Henrik Janssen
SC Magdeburg

Bestleistung: 

Diskuswurf: 66,51 Meter (2023)

Erfolge:

Achter WM 2023
Zehnter EM 2022
Sechster U20-EM 2017
Zehnter U18-WM 2015
Deutscher Meister 2023

Im Moment wird viel darüber diskutiert, welche strukturellen Veränderungen nötig sind, um wieder mehr Erfolge in der Leichtathletik zu erzielen. Diskuswerfer Henrik Janssen ist ein Beispiel für einen Weg in den Spitzensport, der von den bisherigen Strukturen ermöglicht wird. Die Bausteine: Eine erste Trainerin, die Talent erkennt. Ein 15-Jähriger, der bereit ist, früh sein Elternhaus zu verlassen. Ein Sportinternat. Ein erfahrener Trainer dort mit einer Profigruppe. Und die berufliche Absicherung durch die Sportförderung der Bundespolizei.

Seine kontinuierliche sportliche Entwicklung hat den Athleten des SC Magdeburg in diesem Jahr in Kassel zu seinem ersten deutschen Meistertitel geführt, als Achter der WM in Budapest (Ungarn) stand der 25-Jährige außerdem erstmals im Endkampf einer großen Meisterschaft. Einen schweren Schicksalsschlag musste Henrik Janssen 2021 verarbeiten, als sein langjähriger Trainer und Förderer Armin Lemme verstarb. Seit vergangenem Herbst arbeitet er mit Trainer Jörg Schulte in Potsdam am angestrebten weiteren Aufstieg in die absolute Weltspitze.

Sportinternat Magdeburg war „beste Entscheidung meines Lebens“

Henrik Janssen wuchs in Ostfriesland auf und begann im Grundschulalter in seiner Heimat beim TV Norden mit der Leichtathletik. „Erst einmal ging es darum, Spaß zu haben und Freunde zu treffen“, erinnert er sich. Schnell stellte sich heraus, dass der Schüler vor allem im Hochsprung und den Wurfdisziplinen den Mitstreitern in seiner Gruppe bei Trainerin Susanne Eilers einiges voraus hatte. Den Ein-Kilo-Diskus schleuderte er etwa mit 14 Jahren auf 45,72 Meter und war damit in seiner Altersklasse der fünftbeste Athlet des Jahres 2012. Ein Jahr später gelangen dem großgewachsenen M15-Athleten schon 55,01 Meter, Rang vier im DLV.

„Meine Trainerin hat mich dann gefragt, ob es für mich etwas wäre, mehr als zweimal pro Woche zu trainieren“; erzählt der heutige Leistungssportler. „Sie hat mich ermuntert, dass ich aus meinen Fähigkeiten mehr als ein Hobby mache.“ Der Mittelstufenschüler informierte sich und stieß auf das Sportinternat im 400 Kilometer entfernten Magdeburg. „Dort habe ich eine Probewoche gemacht und es hat mir super gefallen.“ Schon im Alter von 15 Jahren von zu Hause wegzugehen, fiel ihm nicht schwer. „Meine Mama hat gesagt: Wenn du das machen möchtest, unterstütze ich dich. Und für mich hat es sich angefühlt wie eine Klassenfahrt, die nicht zu Ende geht“, erzählt Henrik Janssen, der schnell Freunde fand und sich wohlfühlte.

Dazu kam, dass er in seiner Probewoche auch schon den erfahrenen Magdeburger Diskus-Trainer Armin Lemme von seinem Talent überzeugte. Der Neuzugang durchlief nicht die Nachwuchsgruppen, sondern trainierte von Anfang an in der Leistungsgruppe um den WM-Vierten von 2013 Martin Wierig (SC Magdeburg). „Dass ich nach Magdeburg gegangenen bin, war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt der Diskuswerfer rückblickend. „Sonst wäre ich vermutlich kein Leistungssportler geworden.“

Finalteilnahmen bei U18-WM und U20-EM

Der Wechsel in das professionelle Trainingsumfeld brachte den nächsten Leistungsschub. Jeweils in seinem zweiten Jahr in der Altersklasse U18 und U20 war Henrik Janssen der beste Diskuswerfer im DLV. 2015 sicherte er sich einen Startplatz bei der U18-WM in Cali (Kolumbien). „Mit Vorbereitungs-Trainingslager in Florida und Freistellung in der Schule war das die nächste tolle Erfahrung.“ Das Ergebnis der Reise: Bestleistung mit dem 1,5-Kilo-Diskus in der Qualifikation (59,10 m) und Platz zehn im Finale (55,76 m). Die U20-EM zwei Jahre später in Grosseto (Italien; 56,54 m) brachte Platz sechs mit dem 1,75-Kilo-Diskus.

Nach seinem Abitur im Jahr 2018 ermöglichte ein Ausbildungsplatz bei der Bundespolizei, die sportlichen Ziele mit einer beruflichen Perspektive zu verbinden. „Acht Monate im Jahr war ich für den Sport freigestellt. In den vier Monaten mit Ausbildung früh anzutreten und zu trainieren hat den Alltag dann voll ausgelastet“, erzählt der Diskuswerfer, der 2022 seinen Abschluss gemacht hat. „Es war eine coole Zeit, in der ich auch Athleten aus anderen Sportarten wie Judo oder Kanu kennengelernt habe.“ Aktuell ist er komplett für den Sport freigestellt, außer für ein vierwöchiges Praktikum pro Jahr.

Sportlich war erst einmal Geduld gefragt, um den schwierigen Anschluss an die Spitze der Männerklasse herzustellen. Es zählte noch nicht der Vergleich mit der Weltklasse, sondern die eigene Entwicklung. Und die zeigte nach einer Unterbrechung im Jahr 2018 stetig nach oben. Silber bei der U23-DM 2019 (58,87 m) oder DM-Bronze (59,88 m) und der erste 60-Meter-Wurf (61,16 m) im coronabedingt schwierigen Jahr 2020 konnten als Erfolge verbucht werden, alles parallel zur Ausbildungszeit bei der Bundespolizei.

Schwere Zeit: Tod von Trainer Armin Lemme

Im Jahr 2021 geriet die Welt des aufstrebenden Athleten aus den Fugen. Sein langjähriger Trainer Armin Lemme konnte die Trainingsgruppe aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr betreuen, im Sommer verstarb der Erfolgstrainer. „Lange war mir nicht klar, wie ernst die Lage war. Schlechte Nachrichten sollten so lange wie möglich von mir ferngehalten werden“, erzählt Henrik Janssen. „Das war eine sehr schwierige Zeit.“ Das Training übernahm vorübergehend Jürgen Schult.

Die sportliche Entwicklung ging trotz des Schicksalsschlags weiter. 2021 flog der Diskus regelmäßig über die 60-Meter-Marke und zur neuen Bestleistung von 64,05 Metern. Im vergangenen Jahr gelang dank der Steigerung auf 66,25 Meter und DM-Silber in Berlin (62,88 m) die Qualifikation für die WM in Eugene (USA) und die Heim-EM in München. Beim ersten EM-Einsatz in der Männerklasse ging es gleich ins Finale (62,60 m), in dem es aber nicht für den Endkampf reichte (61,11 m).

Zwischen Magdeburg und Potsdam

Da es in Magdeburg für ihn keine Perspektive gab, musste sich Henrik Janssen um einen neuen Trainingsstandort kümmern. Er entschied sich für Potsdam und die Gruppe von Jörg Schulte um die Olympia-Zweite Kristin Pudenz und die Brüder Clemens und Henning Prüfer (alle SC Potsdam). „Jörg Schulte verfolgt ein ähnliches Technikbild, wie ich es von Herrn Lemme gekannt habe“, erklärt der Magdeburger. Im vergangenen Herbst begann die Zusammenarbeit.

Die Trainingswoche verbringt Henrik Janssen seitdem in einer Zweitwohnung in Potsdam, in Magdeburg behielt er die gemeinsame Wohnung mit seiner Frau Maria. „Außer in der Saisonpause leben wir in einer Wochenend-Beziehung. Meine Frau arbeitet bei der Landespolizei in Magdeburg. Es ist nicht so einfach für sie, das Bundesland zu wechseln. Das ist aber in die Wege geleitet, und unser kompletter Umzug nach Potsdam geplant.“

Stabilität auf hohem Niveau führt ins WM-Finale

Auch im neuen Umfeld setzte sich die positive Leistungsentwicklung fort. Trainer und Athlet setzten sich als erstes Ziel, das Grundniveau zu stabilisieren und konstant größere Weiten abzurufen. Das gelang. Nach drei Resultaten im Jahr 2022 gingen im Jahr 2023 sieben Leistungen von 64 Metern und mehr in die Ergebnislisten ein, auch wenn die absolute Bestleistung nur leicht auf 66,51 Meter verbessert wurde.

Bei den Deutschen Meisterschaften in Kassel ging es einen weiteren Platz nach oben. Nach Silber im Vorjahr reichte es mit 63,93 Metern zum ersten nationalen Titel. Ähnliche Weiten führten ein Jahr nach dem Quali-Aus in Eugene bei der WM in Budapest zuerst ins Finale (63,79 m) und dort auf Rang acht (63,80 m). „Das war ein nächster Schritt, auch wenn ich im Endkampf gut sehen konnte, dass zur absoluten Spitze der 70-Meter-Werfer noch etwas fehlt“, so der Deutsche Meister.

Direkte Olympia-Norm das Ziel

Die kontinuierliche Entwicklung soll im anstehenden Aufbau fortgesetzt werden, der gerade mit einem ersten Trainingslager in Latsch (Italien) begonnen hat. „Ich kann mich noch in allen Bereichen verbessern, also Kraft, Schnelligkeit und Technik“, sagt Henrik Janssen, der kleine Veränderungen im Training vornehmen möchte.

„Eine Idee von mir ist es, gezielter an der Beinkraft zu arbeiten und mich im Krafttraining mehr auf einzelne Übungen wie tiefe Kniebeugen zu konzentrieren. Im vergangenen Aufbau habe ich eher viele unterschiedliche Übungen in einer Einheit gemacht.“ Details werden noch gemeinsam mit Trainer Jörg Schulte abgestimmt.

Neben dem Durchschnittswert der Wettkampf-Weiten soll auch eine deutliche Steigerung der Bestleistung her. „Die direkte Olympia-Norm von 67,20 Metern möchte ich auf jeden Fall übertreffen, damit ich nicht wieder zittern muss, ob es über das Ranking-System für die Qualifikation reicht“, erklärt der 25-Jährige. „Nach den Deutschen Meisterschaften soll für Paris schon feststehen: Janssen ist dabei.“

Video-Interview: Henrik Janssen: "Die Ränge haben ganz schön getauscht"

Das sagt Bundestrainer René Sack:

Mit seiner Steigerung auf 66,25 Meter hat Henrik im vergangenen Jahr schon gezeigt, in welche Richtung es gehen kann. In diesem Sommer hat er sein Niveau stabilisiert. Mit seinem achten Platz in Budapest hat er sich besser verkauft als im vergangenen Jahr bei der WM in Eugene und der EM in München. Es bleiben aber Reserven. 66 Meter in der Spitze und 63 Meter im Schnitt reichen nicht mehr für die Weltspitze.

Körperlich fehlen Henrik noch ein paar Kilo Muskelmasse im Vergleich zu Athleten wie Daniel Stahl, Kristjan Ceh oder Mykolas Alekna. Auch in Sachen Athletik, Schnelligkeit und Technik gilt es, dass Trainingsniveau anzuheben. Der nächste Schritt wäre das Durchschnittsniveau auf 65 bis 66 Meter und in die Spitzenleistung auf 67 bis 68 Meter zu steigern. Zu einer weiteren positiven Entwicklung beitragen kann auch, wenn Henrik in seiner Persönlichkeit dazulernt und sich noch besser fokussiert und organisiert.

In Potsdam ist er gut angekommen und in der Trainingsgruppe dort gut aufgehoben. Er hat die Chance, ganz oben anzukommen und noch etwas Zeit, um dies zu erreichen.

Teilen
#TrueAthletes – TrueTalk

Hier finden Sie alle Folgen des Podcasts des Deutschen Leichtathletik-Verbandes!

Zum Podcast
Jetzt Downloaden
DM-Tickets 2024