Bei der Merck Laufgala am Samstag in Pfungstadt katapultierte sich Alexander Stepanov (VfL Sindelfingen) mit einer Steigerung um zwei Sekunden auf 1:44,17 Minuten in eine neue Leistungsdimension über 800 Meter. Im Interview spricht der 20-Jährige über das bisher beste Rennen seiner Karriere, die Familiengeschichte rund um die Mittelstrecke und seinen tempozentrierten Trainingsansatz.
Alexander Stepanov, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer famosen Steigerung auf 1:44,17 Minuten über 800 Meter bei der Merck Laufgala am Samstag in Pfungstadt.
Alexander Stepanov:
Vielen Dank.
Haben Sie geglaubt, dass eine solche Zeit in Ihren Beinen steckt? Schließlich haben Sie in diesem Rennen Ihre Bestzeit gleich um zwei Sekunden verbessert.
Alexander Stepanov:
Die Steigerung war natürlich krass. Aber schon in Rehlingen eine Woche zuvor habe ich gezeigt, was möglich ist. Da bin ich bei schlechtem Wetter schon 1:46,08 Minuten gelaufen und konnte einige deutlich schnellere Läufer bezwingen. Bundesstützpunkttrainer Georg Schmidt hat mir danach gesagt, dass ich noch schneller laufen können müsste.
Wie haben Sie das Rennen in Pfungstadt erlebt?
Alexander Stepanov:
Der Tempomacher hat einen tollen Job gemacht. Er ist die erste Runde in 50,5 Sekunden angelaufen, ich war weit hinten im Feld, also ungefähr eine, anderthalb Sekunde dahinter. Dann bin ich nach vorn gegangen und konnte zwei vergleichbar schnelle Runden laufen. In der Zielkurve habe ich sogar ein paar Meter zu viel gemacht, weil ich auf Bahn zwei überholt habe. Als ich im Ziel die Zeit gesehen habe, konnte ich es nicht fassen.
Seit diesem Jahr halten Sie auch den Familienrekord. Ihr Vater Oleg ist 1997 die 800 Meter in 1:46,29 Minuten gelaufen …
Alexander Stepanov:
… ja, mir wurde die Mittelstrecke quasi in die Wiege gelegt. Auch meine Mutter Elvira war eine gute Mittelstrecklerin mit einer Bestzeit von 2:01 Minuten über 800 Meter. Schon als Kind war ich mit meinem Vater zusammen im Trainingslager.
Da war der Weg auf die 800 Meter also quasi vorgezeichnet?
Alexander Stepanov:
Ja, schon als Grundschulkind habe ich Leichtathletik betrieben, mit etwa 17 Jahren ging es dann auf die Mittelstrecke. Da haben sich erste Erfolge eingestellt, unter anderem mit dem Hallen-DM-Titel 2024.
Ihre starke Form haben Sie vor Rehlingen schon am 1. Juni in Schorndorf mit der neuen 400-Meter-Bestzeit von 46,85 Sekunden gezeigt. Sind Sie eher der Sprint- als der Ausdauertyp?
Alexander Stepanov:
Auf jeden Fall (lacht). Mein Vater legt im Training sehr viel Wert auf Schnelligkeit. Darum sind meine Umfänge auch nicht sehr hoch, in der Vorbereitung laufe ich vielleicht 50 bis 60 Kilometer pro Woche.
Das ist tatsächlich nicht besonders viel für einen Mittelstreckler. Trotzdem sind Sie mit erst 20 Jahren 1:44,17 Minuten und damit WM-Norm gelaufen. Planen Sie mit einem Doppelstart bei der U23-EM in Bergen, bei der Sie nun zu den Medaillenkandidaten zählen, und bei der WM in Tokio?
Alexander Stepanov:
Das ist mein Plan, auch wenn zwei Monate zwischen den Meisterschaften liegen. Bei der Steuerung vertraue ich voll auf meinen Vater. Vielleicht kann ich mich ja auch noch für die 4x400-Meter-Staffel bei der U23-EM empfehlen. Die Konkurrenz in Bergen wird extrem stark sein. Bei den Rennen in Karlsruhe und Pfungstadt waren einige schnelle U23-Läufer schon dabei. Zwar führe ich die europäische U23-Bestenliste nun an. Aber dahinter kommen zehn Läufer innerhalb einer Sekunde, auch Malik Skupin-Alfa. Es wird also richtig eng.
Sie sind auf Platz sieben der ewigen deutschen Bestenliste nach vorn gelaufen, obwohl Sie in den vergangenen Monaten ein paar Probleme hatten. Welche genau?
Alexander Stepanov:
Im Winter hat mich vor der Hallen-DM eine Grippe erwischt. Da war ich froh, in Dortmund überhaupt auf der Bahn zu stehen und konnte mich als Zweiter gut behaupten. Im Frühjahr kam dann ein Patellaspitzensyndrom hinzu. Da konnte ich das Knie nicht belasten. Das hat man speziell bei den Sprints und im Krafttraining gespürt. Wir mussten gut überlegen, welche Einheiten wir machen.
Wann haben Sie gespürt, dass Sie in dieser Freiluftsaison so gut in Form wie noch nie sind?
Alexander Stepanov:
Das war schon beim Rennen in Karlsruhe. Da konnte ich gut mitlaufen und bin mit Mut in die nächsten Rennen gegangen.
Nach Ihrer famosen Steigerung hat Ihnen Nils Schumann auf Instagram gratuliert. Haben Sie schon realisiert, dass Sie von der Bestzeit her nur eine Hundertstel langsamer sind als der Olympiasieger von Sydney?
Alexander Stepanov:
Es kommt so langsam an, aber richtig verstehe ich es noch nicht. Ich kenne Nils und seinen Sohn Andor Rik sehr gut, wir sind auch regelmäßig in Kontakt. Es ist eine Ehre, nun direkt hinter ihm in der Liste zu stehen.
Nils Schumann – und natürlich auch der deutsche Rekordhalter Willi Wülbeck – sind ihre Zeiten noch ohne die modernen Carbon-Spikes gelaufen. Welchen Vorteil bringen die auf den 800 Metern?
Alexander Stepanov:
Das kann man nicht in Sekunden ausdrücken. Aber natürlich sind sie fördernd, wenn man technisch sauber läuft. Das zeigt auch die Leistungsentwicklung in der Weltspitze. Wenn man aber technisch nicht sauber läuft, bringen sie nichts.
Welche Starts stehen bei Ihnen als Nächstes an?
Alexander Stepanov:
Ich hoffe natürlich auf einen Start bei der Team-EM. Danach folgen die U23-EM und die Deutschen Meisterschaften. Vielleicht komme ich dazwischen noch in ein schnelles Meeting rein. Es ist ein Traum von mir, irgendwann in der Diamond League zu starten.
Ist dieses Jahr noch eine weitere 1:44er-Zeit möglich?
Alexander Stepanov:
Das hoffe ich doch sehr. Aber natürlich ist das sehr tagesabhängig. Die Form muss passen, das Wetter, die Konkurrenz. Doch ich glaube, dass es möglich ist.