Bei den Deutschen Meisterschaften in Dresden haben elf Athletinnen und Athleten erstmals einen nationalen Einzeltitel in der Aktivenklasse gewonnen. Einige gehören schon länger zur nationalen Spitze, andere feierten in diesem Sommer ihren Durchbruch. Wir stellen die neuen Deutschen Meisterinnen und Meister vor, heute Diskuswerferin Marike Steinacker.
Marike Steinacker
TSV Bayer 04 Leverkusen
Bestleistung:
Diskuswurf: 67,31 m (2024)
Erfolge:
Olympia-Vierte 2024
Olympia-Achte 2021
Silber Universiade 2015
Deutsche Meisterin 2025
Es ist fast 20 Jahre her, dass Marike Steinacker im Jahr 2006 die DLV-Bestenliste der Altersklasse W14 anführte. 2010 gewann die damals 18-Jährige den Titel bei der Jugend-DM in der Altersklasse U20. Lange Zeit blieb dies ihr einziges Gold bei Deutschen Meisterschaften. Die Konkurrenz war über Jahre stärker. Zwischenzeitlich hielt sich die Diskuswerferin nicht für leistungsfähig genug, um ganz vorne mitzumischen.
Im Alter von 26 Jahren war der Sport schon etwas aus dem Fokus gerückt, die Bestleistung von 59,03 Metern drei Jahre alt, der Durchbruch noch immer nicht gelungen. Da horchte die Athletin des TSV Bayer 04 Leverkusen in sich hinein und kam zu dem Schluss: „Das kann es noch nicht gewesen sein. In mir steckt mehr. Viel mehr.“ Sie setzte nochmal voll auf den Diskuswurf, verließ ihre Heimat in Richtung Neubrandenburg und schaffte es, sich noch einmal deutlich zu steigern.
Erste Würfe deutlich über die 60-Meter-Marke eröffneten die Chance auf einen der umkämpften Startplätze im DLV-Team bei internationalen Meisterschaften. Als Achte der Olympischen Spiele 2021 in Tokio (Japan) und Vierte im vergangenen Jahr in Paris (Frankreich) ist Marike Steinacker in der Weltspitze angekommen. Und auch national wurde das Festhalten am Leistungssport belohnt. Im vergangenen Jahr führte die mittlerweile 33-Jährige mit ihrer Bestleistung von 67,31 Metern erstmals wieder die DLV-Bestenliste an. Und in diesem Jahr sicherte sie sich in Dresden mit 65,56 Metern ihren ersten deutschen Meistertitel in der Frauenklasse – 15 Jahre nach ihrem Erfolg in der U20.
Von Anfang an beim TSV Bayer 04 Leverkusen
In ihrer Kindheit in Dabringhausen, einem Stadtteil von Wermelskirchen in Nordrhein-Westfalen, probierte sich Marike Steinacker wie ihre Schwestern in verschiedenen Sportarten aus. Dazu gehörten Schwimmen, Fußball und schließlich Handball. „Als sich dort keine Vereinsoption mehr in der Nähe ergab, hat mir mein Vater vorgeschlagen, es doch mal mit Leichtathletik zu versuchen.“ Der inzwischen verstorbene Wermelskirchener Trainer Willi Schmitz fuhr damals mit seiner kleinen Gruppe zum Training immer ins 20 Kilometer entfernte Leverkusen. So trat die damals 12-Jährige in den TSV Bayer 04 Leverkusen ein, für den sie bis heute startet.
Die guten Bedingungen und viele Mitstreiterinnen in ihrem Alter veranlassten die damalige Schülerin, sich einer Trainingsgruppe des Vereins anzuschließen. In diesem Umfeld fühlte sich Marike Steinacker so wohl, dass sie auch auf das Landrat-Lucas-Gymnasium in Leverkusen wechselte, aber weiterhin bei ihren Eltern wohnte. Sportlich stellten sich schnell die Wurfdisziplinen als größte Stärke heraus. „Werfen konnte ich schon immer gut.“ Neben Einzelwettkämpfen waren auch Mannschaftswettbewerbe mit dem großen und erfolgreichen Leverkusener Team eine große Motivation, weiter an sich zu arbeiten.
Internationalen Start in der Jugend knapp verpasst
Vor allem im Diskuswurf, aber auch im Kugelstoßen zählte die Nachwuchsathletin zu den Besten ihrer Altersklasse. Mit 35,91 Metern führte sie 2006 die DLV-Bestenliste der W14 im Diskuswurf an. Nach Rang vier bei der Jugend-DM 2009 in der U18 (45,37 m) folgten im ersten U20-Jahr mit Gold (50,02 m) und im zweiten U20-Jahr mit Bronze (54,38 m) Medaillen auf nationaler Ebene.
Wegen der starken Konkurrenz reichte es aber nie für einen Start bei internationalen Nachwuchsmeisterschaften. Insbesondere die ein Jahr jüngeren Shanice Craft (SV Halle), Anna Rüh (damals SC Neubrandenburg) und Kristin Pudenz (OSC Potsdam) machten teilweise auch international die Medaillen unter sich aus.
„Das hat sich immer wie eine Enttäuschung angefühlt und ich dachte, dass ich gar nicht so gut bin. Ich habe nie für möglich gehalten, dass ich diese Supertalente einmal schlagen kann“, erinnert sich Marike Steinacker. „Auf der anderen Seite war es eine Motivation. Ich wollte beweisen, was in mir steckt. Deshalb bin ich dabei geblieben.“
Jahre ohne Durchbruch
Nach ihrem Abitur absolvierte die Nachwuchsathletin eine Ausbildung zur Bürokauffrau bei Bayer und arbeitete im Anschluss in Teilzeit 25 Stunden pro Woche. Parallel blieb das Training unter Anleitung von Helge Zöllkau fester Bestandteil des Alltags. Gerade mit dem reduzierten Arbeitspensum ging es mit der sportlichen Leistung aufwärts. Im Jahr 2015 flog der Diskus bis auf 59,03 Meter. Um an der Universiade in Gwangju (Südkorea) teilnehmen zu können, schrieb sich Marike Steinacker an der Uni Wuppertal für den Studiengang Chemie ein. Ihr erster internationaler Start brachte gleich die erste Medaille ein: Silber mit einer Weite von 58,83 Metern.
Dann fiel der Entschluss, mit der Aufnahme des Studiums der Design-Ingenieurin für Mode in Mönchengladbach den beruflichen Herzenswunsch zu verfolgen. Das brachte neben dem Studienplan mit Präsenzveranstaltungen auch längere Fahrtzeiten mit sich, sodass wieder nur Zeit für höchstens eine Trainingseinheit pro Tag blieb. Die Leistung stagnierte. „Das habe ich drei Jahre lang gemacht. Aber es hat mir keinen Spaß mehr gemacht, zweigleisig zu fahren und Achte bei Deutschen Meisterschaften zu werden. Ich hatte auch keinen Kaderstatus mehr und musste mich selbst finanzieren.“
So wollte die damals 26-Jährige nicht weitermachen, denn sie war sich sicher, dass deutlich mehr in ihr steckt. Sie verließ ihre Heimat, um in Neubrandenburg bei Dieter Kollark noch einmal zu hundert Prozent auf den Sport zu setzen. „Da haben in meinem Umfeld nicht mehr so viele gesagt: Super Idee. Es war vor allem meine Überzeugung. Und nur das zählt.“ Das Studium stellte sie hinten an, zum Abschluss fehlt bis heute noch die Bachelorarbeit. Die Vereinsfarben blieben trotz des Wechsels gleich.
Anschluss an internationale Spitze gelingt doch noch
Schon nach dem ersten Aufbau am neuen Standort und mit Claudine Vita (SC Neubrandenburg) als Trainingspartnerin war ein neues Level erreicht. Gleich im ersten Wettkampfwurf des Jahres segelte der Diskus auf 61,08 Meter, zwei Meter weiter als je zuvor. Das Jahr brachte noch eine Steigerung bis auf 63,24 Meter, Rang vier bei den Deutschen Meisterschaften und damit endlich das Niveau, mit dem es um einen Startplatz im Nationaltrikot geht.
Nach dem schwierigen Corona-Jahr 2020 und einem weiteren Trainerwechsel zu Gerald Bergmann gelang im Jahr 2021 der endgültige Durchbruch. Als DM-Zweite (64,02 m) fehlten nur fünf Zentimeter zu Siegerin Kristin Pudenz (64,07 m), der erste ganz große Einsatz auf internationaler Bühne bei den Olympischen Spielen in Tokio brachte gleich Rang acht (62,02 m).
In den Jahren 2022 und 2023 war die nationale Konkurrenz wieder so stark, dass es nicht für einen Start bei den Weltmeisterschaften reichte. Marike Steinacker reagierte mit einer weiteren Steigerung. Der Olympiasommer 2024 begann mit der Bestleistung von 67,31 Metern, gleichzeitig Rang eins in der DLV-Jahresbestenliste. Bei zwei weiteren Wettkämpfen übertraf die Athletin des TSV Bayer 04 Leverkusen die 66-Meter-Marke und wurde bei der DM wieder Zweite (64,49 m) hinter Kristin Pudenz (65,93 m). Bei den Olympischen Spielen in Paris bedeuteten 65,37 Meter als beste DLV-Starterin und zweitbeste Europäerin Platz vier.
Bei der DM endlich Gold, aber kein Finale bei der WM
In der zurückliegenden Saison blieben zum Auftakt große Weiten aus. Bei der DM in Dresden war Marike Steinacker dann aber nicht nur auf den Punkt topfit, sondern konnte ihr Potential auch in der großen Drucksituation abrufen und sich mit 65,56 Metern ihren ersten nationalen Titel sichern. „Das wollte ich in meiner Karriere unbedingt einmal erreichen. Ich war gut drauf und hatte mir im Training das nötige Selbstvertrauen erarbeitet. Meine mentale Einstellung hat zu hundert Prozent gestimmt. Das war der Unterschied zu den Jahren davor.“
Danach ging es nahtlos weiter mit der WM-Vorbereitung. Das erklärte Ziel war, noch eine Schippe draufzulegen, um in den Kampf um die Medaillen einzugreifen. Allerdings zeichnete sich trotz aller Anstrengungen ab, dass diese Planung nicht voll aufging. „Nach den Deutschen Meisterschaften hätte ich besser eine kleine Pause machen sollen, statt voll durchzuballern.“ Ein Infekt im Vorfeld der WM deutete an, dass der Körper nicht voll da war. Auch am Tag der WM-Qualifikation waren Krankheitssymptome wieder da, dazu kamen noch technische Fehler, sodass der Finaleinzug mit einer Weite von 57,43 Metern weit entfernt war.
Trotz aller Enttäuschung darüber liegt auch in diesem erklärbaren Rückschlag wieder neue Motivation. „Ich hatte wieder große Ziele, musste aber einsehen, dass es in dem Moment nicht möglich war. Auch wenn ich es mir ganz anders vorgestellt hatte.“ Die EM im kommenden Jahr in Birmingham (Großbritannien; 10. bis 16. August) wird einen Monat früher ausgetragen als die späte WM im zurückliegenden September in Tokio. Und nachdem Marike Steinacker auf nationaler Ebene ihren Titel gewonnen hat, ist nun der Wunsch geblieben, auch international einmal auf dem Treppchen zu stehen.
Video: 65-Meter-Wurf bringt Marike Steinacker den ersten DM-Titel
Video-Interview: Marike Steinacker: "Ich bin gekommen, um Deutsche Meisterin zu werden"
Das sagt Bundestrainer Markus Münch: |
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Marike hat gezeigt, dass es sich lohnt, mit Biss weiter zu trainieren und im höheren Athletenalter noch einmal eine Veränderung zu wagen, um neue Impulse zu suchen. Nach ihrem Wechsel nach Neubrandenburg hat sie in der speziellen Kraft zugelegt und sich über schwere Geräte eine gute Wurfkraft erarbeitet. Auch der Trainingsumfang hat noch einmal zugenommen. Darüber hat sich Marike nochmal steigern können und ihr ist der Schritt in die internationale Spitze gelungen.
Das ist für jüngere Athleten ein Beispiel, dass sich auch erst mit Ende 20 größere Erfolge einstellen können. Mit Platz vier bei den Olympischen Spielen hat Marike im vergangenen Jahr ihren bisher größten Erfolg gefeiert, der sie motiviert hat, ihre Karriere noch weiter zu verfolgen.
Mit dem deutschen Meistertitel in diesem Jahr ist so ein weiterer Erfolg dazugekommen. In die Saison hatte sie sich reingekämpft, nachdem zu Beginn noch ganz große Weiten gefehlt hatten, obwohl die Form stimmte. Bei der WM hatte Marike leider einen schwarzen Tag. Technisch hat das Timing nicht gestimmt und so konnte sie ihre Kraft nicht einsetzen. Das in den drei Würfen der Qualifikation zu korrigieren, ist nicht gelungen. Da kommt es auf Zentimeter und Millisekunden an, wenn etwas nicht passt sind schnell ein paar Meter weg. Das Ergebnis bei der WM ist aber eine Motivation, es im nächsten Jahr auch beim internationalen Höhepunkt wieder besser zu machen. Marike bringt dafür alles mit.