Noch zwei Wettkämpfe. Noch zweimal dieses Kribbeln spüren. In Bad Langensalza, ihrem Lieblingsmeeting, und Dillingen, zu Hause im Saarland, nahm Bianca Kappler Abschied vom Leistungssport. Ein letztes Mal klatschte das Publikum für die Weitspringerin im Takt. Ein letztes Mal nahm die Weitspringerin vom LC Rehlingen den Rhythmus auf. Die 36-Jährige beendete eine beeindruckende Karriere, in der nur der Sieben-Meter-Sprung fehlte.
Das Publikum sitzt nicht mehr, es steht und applaudiert. Bianca Kappler rappelt sich auf, verneigt sich vor ihrem Publikum und winkt in die Menge. Es fließen Tränen bei der sympathischen Sportlerin, die sich auf Abschiedstour befindet. Bad Langensalza war ihr vorletzter Wettkampf in ihrer Karriere. Wie sehr hatte sie sich einen Abschied bei ihrem „Lieblingsmeeting“ gewünscht. „Wenn ich hier bin, das fühlt sich immer wie nach Hause kommen an.“ Wie schwer ihr der Abschied fiel, wurde deutlich, als sie ein paar Worte an die Zuschauer richtete und sichtlich gerührt nach nur wenigen Worten abbrechen musste. Mit ihren Fingern wischte sich Bianca Kappler die Tränen aus dem Gesicht.
Bad Langensalza und Bianca Kappler, das passte von Anfang an. 2002 ging sie hier erstmals an den Start. „Ich war beeindruckt vom Aufbau, von der Stimmung und dass die Athleten zu ihrer eigenen Musik springen konnten. Mit der Musik, das war für mich ein total neues Format, das ich so nicht kannte.“
Der erste Wettkampf verlief gut und war gewissermaßen der Start in ihre Weitsprung-Karriere. Bis 1999 hatte sie Leichtathletik mehr oder weniger nur als Breitensport betrieben – als Siebenkämpferin ohne professionelle Bedingungen bei der Halstenbeker TS. Vor etwa 14 Jahren begann sie intensiv zu trainieren und den Leistungsgedanken aufzunehmen.
2003 nach Rehlingen
Erste Erfolge stellten sich ein: zweiter Platz beim Europacup und die Nominierung 2002 für die EM in München. 2003 nach ihrem Examen an der Universität Hamburg, sie studierte Lehramt für Französisch und Germanistik, entschied sie sich gegen den Lehrberuf und für eine Profikarriere. Sie wechselte zum LC Rehlingen ins Saarland.
Einen ihrer schönsten Momente erlebte sie 2008 in Bad Langensalza. Sie spricht von einem „gigantischen Moment“, als sie bei 6,97 Metern in der Grube landete. Anerkannt wurde ihre Bestleistung nicht, der Wind blies mit 2,1 Metern pro Sekunde ein wenig zu kräftig. Ein Jahr zuvor war alles regelkonform, als sie ihre stärkste Freiluftsaison mit 6,90 Metern in Bad Langensalza und dem fünften Platz bei der WM krönte. „Beim Wettkampf in Osaka hat alles geklappt. Es war der beste meines Lebens.“
Olympia-Aus 2008
Ein Jahr später der Schock. Bei den Deutschen Meisterschaften in Nürnberg kam das Olympia-Aus beim Aufwärmen. Die schon nominierte Athletin zog sich einen Komplettabriss der Achillessehne zu. „Das war mein bisher schlimmster Moment im Leben, weil alle Träume und Hoffnungen dahin waren.“
Sie kämpfte sich zurück – in Rekordzeit. Nach elf Monaten sprang sie 6,81 Meter. „Darauf bin ich sehr stolz, weil ich sehr gut weiß, wie viel Disziplin, Arbeit und Entbehrungen der Weg zurück gekostet hat. Die Zeit war furchtbar.“ An ihre Glanzweiten vor der Verletzung konnte sie aber nie wieder anknüpfen. „Leider waren die ganz großen Weiten nach dieser Verletzung nicht mehr möglich, dafür war ich nicht mehr schnell genug.“
Faire Sportlerin
Berühmt geworden ist Bianca Kappler aber aus einem anderen Grund. Es war März 2005 bei der Hallen-EM in Madrid (Spanien): Ihr letzter Versuch wurde mit 6,96 Metern gemessen. Das hätte Gold bedeutet. Sie hat protestiert. „Ich habe instinktiv gehandelt, nicht viel nachgedacht, weil ich wusste, dass ich die Weite nicht springen kann.“ Der Fehler wurde entdeckt, es waren zwischen 6,66 und 6,70 Metern. Die Weite hätte mindestens für Silber und eventuell auch für Gold gereicht. Stattdessen gab es Bronze – und die Fair-Play-Trophäe.
„Ich bin so erzogen worden, ehrlich zu sein. Hätte ich es nicht gesagt und die Goldmedaille bekommen, dann hätte ich nicht mehr in den Spiegel schauen können.“ Ihre Karriere glich einem Wechselbad der Gefühle. Gern hätte sie ihr das i-Tüpfelchen mit der Sieben-Meter-Marke aufgesetzt. Die Chance war da.
Der letzte Sprung
Am vergangenen Sonntag hat sie beim Heimspringen in Dillingen Abschied genommen. Im allerletzten Sprung ihrer Karriere gelang Bianca Kappler der weiteste Satz des Jahres. Mit 6,36 Metern belegte sie bei ihrem Abschiedswettkampf den vierten Platz und war auf Tuchfühlung mit der erweiterten deutschen Spitze. Da war es auch egal, dass der Wind mit 2,1 Metern pro Sekunde (mal wieder) minimal zu stark war.
„Ich hatte mir im Vorfeld vorgenommen dieses Jahr zwischen 6,30 und 6,40 Metern zu springen, insofern kann ich sehr zufrieden sein“, bilanzierte sie. „Dass ich dafür jetzt ausgerechnet warten musste bis zum letzten Versuch, das hat der Dramatik natürlich keinen Abbruch getan.“ Bianca Kappler durfte in Dillingen als letzte Springerin des Tages mit ihrem letzten Sprung den Wettkampf beenden, während ihre Konkurrentinnen am Anlauf standen und klatschten. Entsprechend groß war der Jubel unter den Zuschauern, die Bianca Kappler mit Standing Ovations verabschiedeten.
Zwei Töchter
Langeweile wird nach der sportlichen Karriere nicht einkehren. Dafür sorgen ihre beiden Töchter im Alter von acht und einem Jahr. Noch bis Ende August läuft die Elternzeit, dann arbeitet sie wieder als Protokollchefin für die Ministerpräsidentin in der Staatskanzlei im Saarland. Sie organisiert Tagungen und Empfänge, betreut mit ihrem fünfköpfigen Team die auswärtigen Angelegenheiten. „Die Arbeit ist sehr vielseitig und interessant.“
Das Kribbeln vor dem Anlauf in die Weitsprunggrube wird Bianca Kappler aber noch eine ganze Zeit vermissen.
<link>Quelle: leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift