| Interview

Willi Klaus: "Beim Gedanken an meinen Masters-Weltrekord bekomme ich Gänsehaut"

© Werner Meschede
Der 86-jährige Willi Klaus wurde aufgrund herausragender Mehrkampf-Leistungen zunächst europaweit, dann sogar weltweit zum „Masters-Mann des Jahres“ 2024 gekürt. Die höchstmögliche Auszeichnung in der Masters-Leichtathletik nimmt der Hallen-Fünfkampf- und Zehnkampf-Weltrekordler in wenigen Tagen in Gainesville (US-Bundesstaat Florida) entgegen, wo am 23. März die Hallen-WM beginnt. leichtathletik.de hat zuvor mit ihm gesprochen.
David Deister

Willi Klaus, "Masters-Athlet des Jahres" – nicht nur in Europa, sondern sogar weltweit: Höhere Auszeichnungen gibt es international betrachtet nicht. Herzlichen Glückwunsch! Blicken wir auf Ihr Jahr 2024 zurück. Den Hallen-Weltrekord haben Sie mit 3.664 Punkten auf einen neuen Superlativ in der Altersklasse M85 geschraubt. 14,06 Sekunden über 60 Meter Hürden, 3,29 Meter im Weit- und 1,21 Meter im Hochsprung, 8,87 Meter im Kugelstoßen und abschließend 5:00,47 Minuten über 1.000 Meter. Wie stehen die Aussichten, dass „Willi Klaus 2025“ gegen „Willi Klaus 2024“ die Oberhand behält und schließlich die eigenen Leistungen erfolgreich attackiert?

Willi Klaus:
Fit gehalten habe ich mich, ähnlich wie sonst, im vergangenen halben Jahr zuhause im Brandenburgischen und ab und zu in Spanien, vor allem mit Läufen und Gartenarbeit. Wo ich gerade technisch stehe, weiß ich nicht so recht. Wenn ich mir heute die einzelnen Teilleistungen von vor einem Jahr anschaue, wähne ich mich ein wenig im Hintertreffen. Ich werde das machen, was ich kann, und werde wieder mein Bestes geben. 

Wann und wie haben Sie zur Leichtathletik gefunden?

Willi Klaus:
In der Schule und im Studium war ich schon immer ein guter Sportler, allerdings ohne leistungsorientiertes Training. Vor 46 Jahren bin ich in die Leichtathletik eingestiegen. Ein Biertischgespräch mit zwei Freunden  ich war damals 40 Jahre alt  sollte den sportlichen Teil meines Lebens einläuten. Aus spontaner Bierlaune heraus wettete ich, dass ich beim berühmten Marathon-Rennsteiglauf, mit immerhin mehr als 1.400 Höhenmetern, das Ziel erreichen würde. Ich hatte nur drei Monate, um zu trainieren. Die Wette habe ich gewonnen, danach schaffte ich es dort in meiner Altersklasse noch einige Male aufs Podest.

Eingestiegen also als talentierter, doch spätberufener Ausdauercrack. Und wie fanden Sie den Weg zur Stadionleichtathletik?

Willi Klaus:
Bis zum Alter von 47 und 48 Jahren versierte ich mich zunächst auf verschiedene Marathons, unterbot die 2:50-Stunden-Marke. Dann folgten Jahre, in denen ich nichts anderes machte, als zweimal pro Woche im Wald zu laufen, fünf bis acht Kilometer. Mit 59 fand ich zur Mittelstrecke, schaffte prompt vordere Plätze bei Europa- und Weltmeisterschaften über 400, 800 und 1.500 Meter. 

Was führte Sie zum Zehnkampf?

Willi Klaus:
Das war vor 21 Jahren, im Alter von 65. Ich hatte ein Faible fürs Springen, das bereitete mir schon immer Freude. Komplettes Neuland war aber der Stabhochsprung. Eine technisch höchst knifflige Disziplin, die ich für mich als Nadelöhr erkannte. Im Selbstgespräch hatte ich mir ein Ziel gesetzt: Wenn es dir gelingt, innerhalb von vier Wochen das Stabhochspringen zu erlernen und die zwei Meter zu knacken, dann … ja dann melde ich mich für einen Zehnkampf an. 

Offenbar haben Sie auch diese Wette gewonnen?

Willi Klaus:
Und wie. Ich hatte richtig Glück und einen großartigen Kindertrainer an der Hand, der mir den Umgang und das Springen mit dem Stab beibrachte. Er zeigte mir, wie man diesen Stock hält, wie man anläuft und den Stab einsticht. Gut rennen konnte ich und Kraft in den Armen hatte ich auch. Ich überraschte mich selbst, übersprang schon am Ende der allerersten Trainingseinheit 2,20 Meter. Mein Zehnkampf-Projekt konnte starten.

20 Jahre später, im vergangenen Jahr also bei der Freiluft-WM in Göteborg hatten Sie weniger Glück. Das Kampfgericht erklärte jeden Ihrer drei Speerwürfe für ungültig: null Punkte. Kann man sagen, dass Sie erst das Pech von Göteborg fünf Wochen später zu einer 6.401-Punkte-Sensationsleistung im fränkischen Herzogenaurach motivieren sollte?

Willi Klaus:
Das kann man so sagen. Zwar hatte ich eine Goldmedaille um den Hals, doch nach dem Ärger stöberten meine Frau und ich noch am selben Abend im Internet. Ich wusste, dass ich den M85-Weltrekord deutlich verbessern kann. Schließlich stießen wir auf einen Jedermann- und Jederfrau-Zehnkampf in Herzogenaurach, eigentlich nur für bis 70-Jährige gedacht. Den Organisatoren bin ich noch heute für die Ausnahme dankbar. Auch dafür, dass man mich auf meinen Wunsch hin die ersten neun Disziplinen nicht so ins Rampenlicht stellte und in Ruhe ließ. Zu viel des Aufhebens um meine Person hätte mich einfach unnötig nervös gemacht. Wenn ich dann an den Zieleinlauf im abschließenden 1.500 Meter-Lauf denke, bekomme ich immer noch eine Gänsehaut. Weit mehr als 100 Sportler und Schaulustige standen da an der Seite Spalier und feuerten mich an. Am Ende zweier langer Tage waren das echt pure Glücksmomente.

Was fasziniert Sie so am Mehrkampf? 

Willi Klaus:
Der Zehnkampf ist die absolute Königsdisziplin der Leichtathletik, wo Abwechslung und Vielseitigkeit gefragt sind. In den Mehrkämpfen kann ich allem voran meine Fähigkeiten in den Lauf- und Sprungdisziplinen ausspielen und zeigen, was ich alles so beherrsche.

Wie definieren Sie Erfolg?

Willi Klaus:
Anders als in kompensatorischen Sportarten, wo Subjektives entscheidet, weiß ich an unserer Sportart das vorrangig Objektive und „Ehrliche“ zu schätzen. Was mich an den Mehrkämpfen interessiert, das sind die messbaren und vergleichbaren Leistungen. Alles dreht sich um Zahlen und Punkte, die ich für meine Zeiten, Weiten und Höhen bekomme. 

Dieses Streben, in einer Altersklasse belegbarerweise der bis dato absolut beste Mensch auf dem Planeten zu sein, ist das Ihr Antrieb?

Willi Klaus:
Eine Medaille, am besten eine goldene, zu bekommen für Herausragendes in einem bestimmten Jahr, hat unwidersprochen einen großen Stellenwert. Doch Weltrekordinhaber in einer Altersklasse zu sein  das ist mir noch wichtiger. 

Und welchen Anteil hat Ihre Ehefrau an den Erfolgen? 

Willi Klaus:
Meine Ehefrau Dagmar ist bei Wettkampfreisen ständige Wegbegleiterin, betreut mich und hilft mit Tipps und technischen Hinweisen. In der Nachbereitung ernte ich schon die ein oder andere kritische Bemerkung. Ein Lob von Dagmar ist eher selten, da muss schon viel Gutes zusammenkommen (lacht). 

Offenbar sind Sie beide auch sportlich ein super Tandem. In wenigen Tagen geht es für Sie beide nach Florida in die USA. Gleich am Sonntag, dem ersten Wettkampftag, steht der Fünfkampf auf dem Programm. Mit welchem Gefühl blicken Sie nach Gainesville bzw. Alachua County?

Willi Klaus:
Für einen 86-Jährigen ist das schon alles sehr aufregend und spannend. Ich freue mich schon auf ein bestimmt herausragendes Sportereignis, das die Amerikaner da auf die Beine stellen werden. Der Hürdenlauf, die erste Disziplin, ist mein Nadelöhr. Ich weiß, dass ich im Fünferrhythmus mit meinem Dribbeln einiges an Zeit liegen lasse. Vielleicht steige ich auch mit dem Vierer ein, den ich leider nicht gut genug beherrsche. Ich tue mich mit dem Schwungbeinwechsel schwer, dem richtigen Maß an leichter Oberkörpervorlage und auch die Sache mit dem gekonnten und noch dazu wechselnden Gegenarmeinsatz – das sind meine ganz eigenen Herausforderungen.

Sie haben bereits angekündigt, dass diese Hallen-Weltmeisterschaften die letzten Ihres Lebens sein werden. Ihre Entscheidung ist unumstößlich?

Willi Klaus:
Ja, so ist es. Ich bin fest entschlossen, dass ich mich in den USA nach dem abschließenden 1.000 Meter-Lauf von der großen internationalen Mehrkampf-Bühne verabschiede. 

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