| Interview

Shanice Craft: "Bei der WM in Tokio will ich um eine Medaille kämpfen"

© Gladys Chai von der Laage
Gleich bei drei Wettkämpfen hintereinander hat Shanice Craft einen glänzenden Eindruck hinterlassen. Nach 66,65 Metern in Halle ließ sie eine persönliche Bestleistung in Wiesbaden folgen: 68,10 Meter – so weit hatte seit neun Jahren keine deutsche Athletin mehr geworfen. Wir sprachen mit der 32-Jährigen nach dem Goldenen Oval, bei dem sie mit 64,07 Metern beste DLV-Diskuswerferin war, über ihre starke Frühform und die Ziele für den Sommer sowie die Olympischen Spiele 2028.
Jane Sichting

Shanice Craft, noch einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Fabelweite von 68,10 Metern beim Werfermeeting in Wiesbaden. Wo haben Sie diesen Wurf zu einem solch frühen Saisonzeitpunkt hergeholt?

Shanice Craft:
Vielen Dank. Für Außenstehende wird diese Weite sicherlich überraschend sein. Für mich nicht. Der Unterschied ist, dass ich die letzten Jahre immer wieder körperliche Probleme hatte und somit nie ein konsequentes Training möglich war. Da konnte ich eine oder zwei Wochen werfen und hatte wieder Adduktorenschmerzen. So konnten wir nichts kontinuierlich aufbauen und mussten immer wieder von vorne anfangen. Daran haben wir jetzt die letzten Jahre gearbeitet – das war sehr viel Arbeit. Jetzt bin ich körperlich auf einem Niveau, auf dem wir an kleinen Details arbeiten und gut trainieren können, weil ich gesund bin. Darum war es für mich die logische Schlussfolgerung, dass ich dann auch weit werfe.

Haben Sie in der Vorbereitung auf die Saison sonst noch etwas anders gemacht als die Jahre zuvor?

Shanice Craft:
Eine stabile Gesundheit ist erst einmal die Grundlage. Dazu habe ich noch mit Ballett angefangen – aber das sind alles nur Zubringer. Das Wichtigste ist einfach, dass ich es mit meinem gesamten Team zusammen geschafft habe, dass ich einer guten körperlichen Verfassung bin. Alles andere werden kleine Details sein, an denen wir weiterhin arbeiten werden.

Ballett ist ein interessanter Aspekt. Auch Olympiasiegerin Valarie Allman hat eine enge Verbindung zum Tanz. Inwieweit profitieren Sie als Diskuswerferin davon?

Shanice Craft:
Zum einen macht es wahnsinnig viel Spaß. Zum anderen ist es koordinativ eine neue Herausforderung als das, was wir sonst im Training machen. Zwar versucht man immer besser zu werden, aber letztlich wiederholt man immer wieder das Gleiche. Durch das Balletttraining habe ich mich auch körperlich noch mal ein Stück weiterentwickelt – allein in Bezug auf die Körperspannung, das Drehgefühl und die Orientierung. Das ist das, was Balletttänzer perfektionieren. Da kann ich noch sehr viel mitnehmen.

Zurück zu Ihrem starken Wurf in Wiesbaden. Hatten Sie im Kopf, dass seit neun Jahren keine deutsche Athletin mehr so weit geworfen hat?

Shanice Craft:
Nein, darüber habe ich mir vorher keine Gedanken drüber gemacht. Auch bin ich nicht zum Wettkampf und habe mir gesagt, dass ich 68 Meter weit werfen will. Es geht zunächst darum, dass man im Wettkampf das widerspiegelt, was man im Training macht. Das hat erst mal geklappt. Dass Julia Harting 2016 zuletzt so weit geworfen hatte, war nichts, was so bei mir im Kopf war – auch wenn ich wusste, dass sie schon mal 68 Meter weit geworfen hat. Für mich ging es darum, so weit wie möglich zu werfen.

Mit den Wettkämpfen in Halle, Wiesbaden und jetzt in Dresden hatte Sie drei eng aufeinanderfolgende Wettkämpfe mit hoher Intensität. War das bewusst so gewählt und eine Art Belastungstest?

Shanice Craft:
Es ist in der Regel immer so, dass wir noch einmal im Trainingslager waren bis Anfang Mai und dann einen ersten Wettkampfblock folgen lassen. Da geht es einfach darum, Wettkampferfahrung zu sammeln. Zwar steht man im Training nahezu täglich im Ring, aber im Wettkampf ist das durch die äußeren Faktoren noch einmal etwas anderes. Weil man dann so weit wie möglich werfen will. Darum ist es wichtig zu sehen, wie man im Wettkampf reagiert und woran man noch arbeiten muss. Diese Woche habe ich keinen Wettkampf und wir werden ein bisschen mehr werfen, um an Feinheiten zu arbeiten.

Mit Weiten von 66,65 Meter aus Halle und 68,10 Meter in Wiesbaden haben Sie bereits früh in der Saison deutlich die Norm (64,50 m) für die Weltmeisterschaften in Tokio (Japan; 13. bis 21. September) erfüllt. Gibt das etwas Sicherheit oder müssen Sie angesichts der starken Konkurrenz der anderen DLV-Athletinnen trotzdem um das WM-Ticket bangen?

Shanice Craft:
Das mit dem Ticket ist bei uns Werferinnen immer so ein Thema, weil wir national sehr gut aufgestellt sind. Ich wusste immer, dass wenn ich gesund bin und gut durchkomme, mein Ziel ist, um eine Medaille zu kämpfen. Und genau das ist es dieses Jahr auch: Ich will bei der WM um eine Medaille kämpfen. Da geht es dann bei uns nicht um die Norm, sondern darum, nach vorne zu schauen: Wer ist die Beste in der Welt und wie kann ich da eine Konkurrenzsituation herstellen, um auch mal vorne zu liegen? Am Wochenende hatte ich es noch nicht geschafft, Valarie Allman ein bisschen zu ärgern, aber in die Richtung geht es. Das sind die Ziele, die ich jetzt habe.

Auch wenn es gegen die Olympiasiegerin noch nicht für ein Vorbeikommen gereicht hat, waren Sie in Dresden immerhin beste Deutsche. Gibt das noch einmal extra Motivation in Hinblick auf die Deutschen Meisterschaften, die dieses Jahr ebenfalls im Heinz-Steyer-Stadion ausgetragen werden?

Shanice Craft:
Auf jeden Fall. Der Wettkampf war auch gut, nur war ich von Freitag noch ein wenig platt. Trotzdem war es konstant und eine gute Weite. Ich werde jetzt nicht jeden Tag 68 Meter werfen, das ist mir durchaus bewusst. Natürlich ist es gut, beste Deutsche gewesen zu sein und Erfahrung in dem Stadion und dem Ring gesammelt zu haben, weil die Deutschen Meisterschaften für uns ein extrem wichtiger Wettkampf sind. Die ersten beiden Athletinnen mit WM-Norm werden für Tokio voraussichtlich direkt qualifiziert sein. Mein Ziel ist es, dort Deutsche Meisterin zu werden. Auch damit man in Richtung Weltmeisterschaften in der Vorbereitung besser planen kann.

Wie haben Sie das Dresdner Stadion empfunden, ist es ein gutes Pflaster für den Wurf?

Shanice Craft:
Schon bei der Ankunft mit dem Bus war ich sehr beeindruckt, da ich so ein Stadion zuvor noch nie gesehen hatte. Da habe ich dann echt Lust bekommen auf den Wettkampf. Auch von der Architektur her ist das Stadion sehr besonders und ich weiß nicht, ob es das in dieser Form noch mal irgendwo anders gibt. Da es recht offen ist, ist das Stadion sehr anfällig für Wind. Da wird es drauf ankommen, von wo er kommt und von welcher Seite geworfen wird. Aber letztendlich haben wir bei den Deutschen Meisterschaften alle die gleichen Bedingungen und dann wird das für den Wettkampf an sich keinen Unterschied machen. Insgesamt war es am Sonntag sehr schön und auch die Stimmung war super, das hat viel Spaß gemacht.

Beste Voraussetzung also für die Titelkämpfe. Wie empfinden Sie die starke nationale Konkurrenz: Fluch und Segen zugleich?

Shanice Craft:
Ich finde es überwiegend positiv, weil es unser Niveau hochtreibt. Man muss jedes Jahr neu gucken: Wo kann man sich noch verbessern und was kann man noch herausholen? Denn man weiß, dass man sich erst einmal national durchsetzen muss. Auf der anderen Seite sind die Deutschen Meisterschaften schon mal ein erster Höhepunkt, auf den man hinarbeitet. Da ist immer ein bisschen die Gefahr, dass danach etwas de Spannung verloren geht – das Problem haben andere Nationen oder Disziplingruppen nicht. Dort können sich die Athletinnen und Athleten mit der Norm mit hoher Sicherheit auf den eigentlichen Saisonhöhepunkt vorbereitet. Wir haben zwischendurch noch mal einen Höhepunkt, was in der Planung und auch in der mentalen Vorbereitung einen Unterschied macht. Deswegen ist es gut, wenn man sich frühzeitig schon mal in eine gute Position bringen kann.

Die Sommersaison ist dieses Jahr mit der späten WM im September wieder sehr lang. Wie sieht bis dahin Ihr Fahrplan aus? Folgt nach der DM zunächst noch mal ein Trainingsblock?

Shanice Craft:
Da ich letztes Jahr nicht bei den Olympischen Spielen in Paris dabei war, komme ich dieses Jahr auch nicht so leicht in die Diamond League rein. Daher sind es bis jetzt noch nicht so viele Wettkämpfe. Bis zu den Deutschen Meisterschaften werden jetzt noch ein paar Wettkampfblöcke sein und wenn der Plan dann aufgeht, fahren wir sicherlich noch mal nach Kienbaum ins Trainingslager, um uns dort auf die Weltmeisterschaften vorzubereiten.

Wie sieht es langfristig aus? Ist es ein Ziel von Ihnen, 2028 noch einmal die Olympischen Spiele 2028 in Los Angelas (USA) anzugreifen?

Shanice Craft:
Ja. Das will ich aber nicht nur angreifen, sondern dort möchte ich dann meine olympische Medaille holen.

Eine sehr gute Einstellung! Insbesondere nach der verpassten Chance 2024 in Paris. Wie haben Sie inzwischen verarbeitet, dass Sie die Spiele in Frankreich nur als Zuschauerin erleben durften? Gilt für Sie nun: „Jetzt erst recht!“?

Shanice Craft:
Dadurch, dass ich seit vielen Jahren immer wieder körperlich Probleme hatte und oft schon als Vierte zu Hause bleiben musste, hatte ich das jedes Jahr. Und dadurch auch immer wieder neue Motivation: „Ich weiß, ich kann das! Ich weiß, ich kann weit werfen und greife noch einmal neu an.“ Wenn ich diese Perspektive nicht gehabt hätte, dann hätte ich längst aufgehört. Weil man irgendein Ziel haben muss, um sich jeden Tag im Training zu quälen. Das machst du nicht, um Schmerzen zu haben und anderen dabei zuzuschauen, wie sie weit werfen und zu den Olympischen Spielen zu fahren. Das ist nicht meine Motivation. So war das im letzten Jahr dann auch. Es hat wehgetan, nicht mit nach Paris fahren zu dürfen. Vor allem weil es das Größte für uns Sportler ist.  Aber ich wusste, dass ich das abhaken und einfach weitermachen und neu angreifen muss. Irgendwann kommt das dann alles.

Mehr: 
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