Nur zwei Wochen nachdem Mohamed Abdilaahi (Cologne Athletics) über 5.000 Meter den deutschen Uralt-Rekord von Dieter Baumann geknackt hat, ließ er beim ISTAF in Berlin eine weitere starke Zeit folgen. In seinem ersten Rennen über die Meile lief er Sonntag in 3:49,32 Minuten als Fünfter ein. Wir haben mit dem 26-Jährigen über den Umgang mit Druck, seine Familie und die Erfolge und Ziele seiner Sommersaison gesprochen.
Mohamed Abdilaahi, herzlichen Glückwunsch zu einem starken fünften Platz über die Meile beim ISTAF Berlin. Wie haben Sie das Rennen erlebt?
Mohamed Abdilaahi:
Es war unfassbar. Es waren so viele Menschen im Stadion – das hat uns auf der Bahn sehr beflügelt. Ich bin dankbar, hier laufen zu können. Obwohl es das Meeting schon so lange gibt, war das mein erster Start beim ISTAF. Oftmals lag es für mich zum falschen Zeitpunkt, aber dieses Mal hat es eine Woche vor den Deutsche Meisterschaften als eine letzte harte Einheit perfekt gepasst.
Nicht nur das starke Rennen in Berlin dürfte Ihnen Rückenwind für die nationalen Meisterschaften in Dresden geben, sondern auch Ihr Erfolg vor zwei Wochen, als Sie über 5.000 Meter in 12:53,63 Minuten den deutschen Uralt-Rekord verbessert haben. Zeigt diese Dichte an Bestzeiten, dass Sie aktuell stabil auf einem hohen Niveau laufen können?
Mohamed Abdilaahi:
Definitiv. Die Saison lief sehr gut für mich. Schon in der Halle bin ich deutschen Rekord über 5.000 Meter gelaufen. Zu Beginn der Sommersaison bin ich mit zwei Top-Acht-Platzierungen in der Diamond League eingestiegen. Dann der deutsche Rekord über 5.000 Meter und jetzt Fünfter auf einer Strecke, die ich noch nie gelaufen bin. Und das mit der drittschnellsten deutschen Zeit, die jemals gelaufen wurde, und WM-Norm über die kürzere Strecke – ich glaube, das sagt alles.
Das stimmt, mit 3:49,32 Minuten über die Meile haben Sie auch die WM-Norm unterboten, die für einen Start über 1.500 Meter gefordert ist. Doch kommen wir auf Ihren Rekord auf Ihrer Spezialstrecke, den 5.000 Metern, zurück. Drei Jahre haben Sie dem Rekord hinterhergejagt. Was hat sich verändert, dass es jetzt endlich funktioniert hat?
Mohamed Abdilaahi:
Ich habe gemeinsam mit meinem Vater, der auch mein Trainer ist, herausgefunden, was gut für mich funktioniert und was nicht. Wir haben lange dafür gebraucht und mit verschiedenen Coaches gearbeitet. Wir haben überall etwas mitgenommen. Alles, was wir falsch gemacht haben, versuchen wir jetzt zu unterlassen. Alles, was gut funktioniert und mich nicht zum Übertraining verleitet, setzen wir gerade um. Und das funktioniert fantastisch.
Ein großer Traum eines jeden Athleten ist die Teilnahme an Olympischen Spielen. Nach Platz zwölf im Halbfinale bei den Spielen 2021 haben Sie die Qualifikation für Paris letztes Jahr verpasst. Denken Sie bereits jetzt an Olympia 2028 in Los Angeles (USA)?
Mohamed Abdilaahi:
Ja, alles ist auf L.A. ausgelegt. Dann bin ich im besten Läuferalter und hoffentlich gesund und munter. Da möchte ich auf jeden Fall vorne mitlaufen können – unabhängig davon, ob es für eine Medaille reicht. Ich hoffe, dass ich mich unter meinem Vater behutsam weiterentwickeln und der deutschen Laufszene viel Spaß bereiten kann.
Behutsam ist ein gutes Stichwort. Denn die im Langstreckenlauf nötige Geduld hatten Sie nicht immer. Haben Sie aus Ihren Fehlern gelernt und sich in Geduld geübt?
Mohamed Abdilaahi:
Definitiv. In den letzten Jahren habe ich im Training oft übertrieben. Alle Trainer haben immer versucht mich zu stoppen. Aber ich war viel zu hungrig. Ich wollte schon mit 16 Jahren Olympiasieger werden. Das geht einfach nicht, kein Weltmeister fällt plötzlich vom Himmel, und auch kein Olympiasieger. Ich muss einfach geduldig sein, dann wird das was.
In wenigen Tagen sind in Dresden die Deutschen Meisterschaften. Dreimal haben Sie in der Vergangenheit bereits den Titel gewonnen. Über welche Strecke werden Sie an den Start gehen und was ist Ihr Ziel?
Mohamed Abdilaahi:
Nachdem ich jetzt über 1.500 und 5.000 Meter die WM-Norm habe, was verrückt ist, muss ich mich erst einmal mit meinem Papa zusammensetzen und gucken, was in Dresden ansteht. Ich bin für beide Strecken gemeldet, aber wir wollen es nicht übertreiben, und wir müssen auch gucken, wie sich mein Körper von dem schnellen Rennen in Berlin erholt.
Die Deutschen Meisterschaften werden nicht Ihr Saisonhöhepunkt sein, das ist die WM in der japanischen Hauptstadt Tokio im September. Verspüren Sie nach Ihrem Rekordlauf über 5.000 Meter mehr Druck, nehmen Sie eine größere Erwartungshaltung von außen wahr?
Mohamed Abdilaahi:
Es wird immer viel erwartet, wenn man schnell läuft. Am Ende des Tages versuche ich, das alles auszublenden und nur auf mich zu achten. Ich musste erstmal lernen damit umzugehen. Wenn man in der Öffentlichkeit steht und viel über einen geredet wird, musst du lernen, nicht an dem Druck kaputt zu gehen.
Hat Ihnen bei diesem Lernprozess auch Ihr Vater geholfen? Seit zwei Jahren ist er wieder Ihr Trainer – war er selbst auch Läufer?
Mohamed Abdilaahi:
Mein Vater hat in jungen Jahren Schulvergleichswettkämpfe gemacht, aber das war früher auch ganz anders. Ich bin einfach froh, dass er nicht nur mein Vater, sondern auch mein Trainer ist. Mein Vater ist für mich ein Lehrer, ein Psychologe, ein guter Freund – es ist einfach nur cool, dass ich das hier alles gemeinsam mit ihm erleben kann.
Wie sieht das bei Ihren fünf Geschwistern aus? Ihr jüngerer Bruder Yassin ist ebenfalls erfolgreich in der deutschen Laufszene unterwegs. Begeistern sich auch Ihre vier Schwestern für das Laufen?
Mohamed Abdilaahi:
Mein Papa hat alles versucht, konnte meine Schwestern bisher aber nicht vom Laufen überzeugen. Wir haben aber noch die Hoffnung, dass meine jüngste Schwester damit anfängt, denn es wurde uns allen das Laufen in die Wiege gelegt. Doch bei uns wird keiner zu etwas gezwungen, und meine Schwestern haben dafür unter anderem in der Schule und im Studium große Erfolge. Ich finde es schön, dass mein Bruder und mein Papa mit mir die Leidenschaft für das Laufen teilen. Aber auch meine Schwestern machen voll mit, und zwei von ihnen waren in Berlin mit meiner Cousine im Stadion und haben mich unterstützt.
Das ist sicherlich auch mental ein guter Support. Wie sieht es da bei Ihnen aus? Sie haben einmal gesagt, dass Sie sich Ihre Rennen im Vorfeld gedanklich visualisieren. Arbeiten Sie dahingehend mit einem Sportpsychologen oder Mentalcoach zusammen?
Mohamed Abdilaahi:
Mein Mentalcoach sind meine Familienmitglieder und mein Glaube. Sie geben mir viel mentale Kraft, ohne die ich schon längst unter dem Druck zusammengebrochen wäre. Ich glaube, dass jeder etwas braucht, um mit diesem Druck klarzukommen. Bei mir sind es die Familie, der Glaube und meine Freunde. Das reicht mir voll und ganz. Wenn irgendwann mal ein Mentalcoach dazukommt, warum nicht?