Hochkarätige Gastredner, spannende Vorträge, konstruktive Diskussionen und ein mündiger Athlet, der den Spiegel vorgehalten hat. Die DLV-Laufkonferenz und gleichzeitiges Bundestrainerforum am vergangenen Wochenende in Mainz stieß auf positive Resonanz – sowohl im Vorfeld bei der Anzahl der Anmeldungen, als auch beim Teilnehmerfeedback. Mittelstrecken-Bundestrainer Jens Boyde kam in einem Punkt zu einem etwas überraschenden Fazit: „Arne hat uns den Spiegel vorgehalten.“
Gemeint waren Inhalte aus dem Vortrag von Noch-Tübinger Arne Gabius. Deutschlands Läufer des Jahres hatte sich nicht gescheut, auch Kritikpunkte im System Leistungssport anzusprechen. „Das Beste kommt zum Schluss“, hatte Boyde Gabius angekündigt. Der Tübinger enttäuschte die rund 70 Zuhörer in der DLV-Akademie nicht und gab einen interessanten Einblick in seine Wandlung vom Mittelstreckler zum Marathonläufer. Insgesamt zog Boyde eine sehr positive Bilanz: „Wir hatten hochqualitative Inhalte und hohe Kompetenz im Raum. Das wollen wir besser ausnutzen.“
Damit spielte Boyde auf einen zentralen Punkt in Gabius’ Vortrag an. Der 33-Jährige nannte Offenheit und Kommunikationslust als zentrale Größen seiner erfolgreichen Karriere. „Ich habe schon in Trainingslagern erlebt, dass sich beim Mittagessen die anwesenden Nationen vermischt haben und die Deutschen abseits alleine an einem Tisch saßen“, erzählte Gabius, der in anderen Ländern auch schon Thema eines Running Gags war. „Wir erhalten an Zuschüssen 300 Euro für Trainingslager im Jahr. Nicht im Monat. Darüber macht sich die Konkurrenz schon mal lustig.“
Einsehbare Trainingspläne
Zu seiner Offenheit gehört auch, dass er seine Trainingspläne für Jedermann einsehbar online stellt. „Ich habe keine Geheimnisse. Auf meiner Homepage könnt Ihr alles nachlesen“, betonte Gabius mehrfach.
Vorgelebt hat ihm das unter anderem Renato Canova. Der italienische Weltenbummler reiße die Aufmerksamkeit bei jedem Gespräch an sich, könne drei Stunden ohne Punkt und Komma reden – auch über Trainingspläne von Weltklasse-Athleten. Er fungierte als maßgeblicher Ratgeber in Gabius’ Marathonvorbereitung, aus der der mehrfache Deutsche Meister detailliert berichtete. Beispielsweise von seinem trainingsreichsten Tag mit 54 gelaufenen Kilometern, aufgeteilt in zwei Einheiten.
Keine Grenzen setzen
Gabius ermunterte auch dazu, dass Trainer und Athleten mehr Selbstbewusstsein an den Tag legen. „Mauern existieren nur im Kopf. Ich habe kürzlich in Trier auf einer Pressekonferenz gesagt, dass ich den Silvesterlauf dort gewinnen will. Den Deutschen Marathonrekord möchte in den nächsten Jahren angreifen“, nannte der gebürtige Hamburger zwei Beispiele für seine forschen Töne.
In Sachen Trainingslehre forderte er auf, neue Reize und Impulse zu setzen. Jede Saison kritisch zu hinterfragen, sich mit vielen Athleten und Trainern austauschen seien wichtige Faktoren. „Junge Athleten sollten auch darüber nachdenken, ob sie den Schritt ins Ausland wagen. Denn wir sollten uns immer an den Besten orientieren. Nimmt man den Sonderfall Kenia aus, sind das momentan die US-Amerikaner.“
Vieler Erfahrungen gesammelt
Gabius holte sich in seinen fast 15 Jahren Leistungssport Rat von vielen Trainern und Athleten ein; letztlich führte dies dazu, dass er sich vor drei Jahren in der Lage sah, sein eigener Trainer zu werden. „Ich hatte mich nicht für die WM qualifiziert. Außerdem gab es Spannungen in der Gruppe von Dieter Baumann, und Dieter selbst wollte nicht weiter als Coach zur Verfügung stehen“, erklärte Gabius, der aber dennoch oft auf eine „Trainerin“ setzen kann. „Meine Freundin sieht beim Bahntraining schon in der ersten Runde meine Fehler und korrigiert mich.“
Der mehrfache Deutsche Meister sprach außerdem über die Wichtigkeit seiner Handballerlaufbahn im Jugendalter („das hat mir sehr viel für meine Laufkarriere gebracht“), seine lediglich neun Wochen Vorbereitung auf den Frankfurt-Marathon („dadurch hatte ich keine Zeit zum Nachdenken, ob ich das überhaupt schaffe“) und Hauptveränderung im Training im Vergleich zur Baumann-Ära: „Die Zeit der langsamen Dauerläufe ist vorbei.“ Seine zentrale Erkenntnis bei der Umfangserhöhung: „Mehr Kilometer schaden nicht der Geschwindigkeit.“
Vorträge von Patrick Sang
Zwei Vorträge hielt der Kenianer Patrick Sang, der internationale Gast der Konferenz. Der Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele von 1992 über 3.000 Meter Hindernis legt mehr Wert auf Umfang als auf Schnelligkeit, setzt auf Crossläufe und unterscheidet zwischen zwei Läufergruppen: diejenigen, die mehr Umfang brauchen und diejenigen, die mehr Kraft benötigen. Zudem erläuterte er die Bedingungen in Kenia und gab weitere wertvolle Tipps zur Trainings- und Wettkampfplanung.
Der erfolgreiche Trainer lernte unter anderem bei Kongressen von Günter Lange, dem Senior Manager und Referenten der IAAF. Lange sprach in Mainz über die Funktion der Crossläufe im Leistungsaufbau, erläuterte die unterschiedlichen muskulären Belastungen je nach Untergrund und spannte den Bogen zum Hindernislauf.
Praxisbeispiele in der Halle
Nachwuchs-Mittelstrecken-Bundestrainer Georg Schmidt vom Wiesbadener LV zeigte zunächst in der Theorie das Training von Koordination und Schnelligkeit für jugendliche Mittelstreckler auf, ehe seine Athleten in der Halle eine exemplarische Einheit unter den Augen der Konferenz-Teilnehmer absolvierten. „Ich habe aufgezeigt, warum Schnelligkeit in allen Laufbereichen wichtig ist“, sagte Schmidt, der unter anderem den zweifachen Deutschen U20-Hallenmeister über 800 Meter, Marc Reuter, trainiert.
Sehr theoretisch war der Vortrag vom Mainzer Professor Dr. Mark Pfeiffer über wissenschaftliche Trainingssteuerung und Regenerationsprozesse, während Michael Schwenkedel die Entwicklung seines sehr erfolgreichen Schützlings Alina Reh aufzeigte. Ergebnisse zur Studie zum Krafttraining für Mittelstreckenläufer präsentierte Melanie Schulz, die Sportwissenschaftlerin und frühere deutsche Rekordhalterin im Hindernislauf.
Geehrt für ihre erfolgreiche Trainertätigkeit in diesem Jahr wurden Beate Conrad und Eckhardt Sperlich. Conrad coacht die einzige EM-Goldmedaillengewinnerin aus dem Laufbereich, Antje Möldner-Schmidt (SC Cottbus); Sperlich den Deutschen 5.000- und 10.000-Meter-Meister Richard Ringer (VfB LC Friedrichshafen).